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akin-Pressedienst.
Aussendungszeitpunkt: Dienstag, 29. Oktober 2009; 23:51
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Glosse:
> Das Weitertragen der Fackel
Betrachtungen der Uni-Proteste eines Veteranen von 1987
Wenn mich auf den Tag genau vor 22 Jahren jemand gefragt haette, wo ich 
derzeit wohne, haette ich wohl gesagt: Im Audimax! Ich war damals dort ein 
bisserl sowas wie der Revolutionshausmeister, der, der am Podium 
Informationsdienst machte, wenn gerade kein Plenum war und die grossen 
Redner wo anders ihre Weisheiten zum Besten gaben, und der, der dann beim 
Plenum dafuer sorgte, dass die Mikros funktionierten. Und ansonsten war ich 
auf der Strasse -- von einer Aktion zur naechsten, von einer Demo zur 
naechsten oder gar zur gleichzeitig stattfindenden. Schlaf brauchte ich 
kaum, vielleicht irgendwann einmal drei Stunden irgendwo im Eck im Audimax 
oder im Informationsbuero -- das war dort, wo heute die Volkskueche ist. Ob 
Tag oder Nacht war, wusste ich nicht mehr; dass es manchmal draussen hell 
und manchmal dunkel war, hatte keinerlei Bedeutung.
Jahre spaeter, 2000, Schwarzblau war an der Regierung und die Einfuehrung 
von Studiengebuehren draeute. Wieder Proteste an der Uni. Ich galoppierte 
hin -- ich sah das volle Audimax und die alte Saite in meinem Herzen wurde 
wieder zum Klingen brachte. Ich fand es es wundervoll, auch wenn schon lange 
kein Student mehr, wieder diese Bilder zu sehen. Doch leider: Alles war 
irgendwie vororganisiert, die OeH (mit einem AG-Vorsitzenden) hatte sich an 
die Spitze des Protests gestellt, und ich war enttaeuscht -- das produktive 
Chaos, die brodelnde, zischende, fauchende Ideenkueche von 1987 war das 
nicht mehr.
Und jetzt das! Nein, die alte Saite klingt in mir nicht mehr, dazu ist alles 
zu lang her -- und trotzdem: Dieser Protest! Der brodelt und brennt wieder 
so richtig. Ein Lauffeuer geht um und diese Bewegung hat Chancen, auch 
EU-weit und international Aufsehen zu erregen oder sogar Nachahmung zu 
finden. Es hat sogar Chancen, auf andere Bereiche des Lebens und Arbeitens 
in Oesterreich ueberzugreifen -- auch wenn sie leider eher gering sein 
moegen.
Rueckblende zu 1987: Auch damals ging es nebenbei um ueberfuellte Hoersaele, 
vor allem aber um die soziale Lage der Studierenden -- obwohl wir es damals 
noch fast luxurioes hatten im Vergleich zu heute, denn Studiengebuehren 
spukten nur in den Koepfen von ein paar OeVPlern rum, die sich aber kaum 
trauten, diese Idee offen auszusprechen. Uns ging es vordergruendig noch um 
Dinge wie die Fortzahlung der Familienbeihilfe, die Oeffi-Freifahrt, die 
Anrechnung von Studienzeiten fuer die Pension und die Wiedereinfuehrung des 
Akademikertrainings. Wir trafen aber vor allem einen Nerv: Der beginnende 
Abbau des vor allem von der Kreisky-Aera gepraegten Sozialstaates, der 1983 
mit dem "Mallorca-Paket" von Kreisky selbst noch eingelaeutet worden war.
Und so gab es auch damals genau wie heute eben nicht nur 
Solidaritaetserklaerungen von Uni-Gruppen aus aller Welt, sondern auch von 
manchen Teilen der Gewerkschaft. Doch wir waren damals sehr naiv -- eine 
kleine Gruppe von uns war sogar der Ansicht, wir koennten, da ja die 
Sparmassnahmen fast alle Menschen in diesem Land betrafen, den OeGB zur 
Ausrufung eines Generalstreiks bewegen. Ja, wirklich, das haben wir 
geglaubt! Als es aber hiess, wir wollen die warnstreikenden Arbeiter bei 
ELIN mit einer Solidaritaetsdemo unterstuetzen, kamen gerade mal 30 Leute 
zusammen, um an der Wiener Peripherie sich die Strasse zu nehmen -- nunja, 
wir hatten so wenig Power, dass uns die Polizei sogar dazu zwingen konnte, 
auf dem Gehsteig zu bleiben. Die Bewegung, so kraftvoll sie war, bleib auf 
der Uni...
Wir schreiben das Jahr 2009 -- wieder geht es um die Rechte der 
Studierenden. Und wieder kann man ihnen vorwerfen, dass es ihnen nur um ihre 
Partikularinteressen geht. Der Vorwurf ist nicht unberechtigt, aber es geht 
auch darum, wohin unser Bildungswesen geht. Die Tendenzen zu Eliteunis 
einerseits und Billigstudien andererseits betreffen eben nicht nur die 
Studierenden, sondern natuerlich die gesamte Gesellschaft. Denn die 
beruechtigte Gratis-Massenuni konnte -- trotz immer vorhanden gewesener 
struktueller Diskriminierung von "Arbeiterkindern" -- doch so etwas wie 
universitaere Bildungsmoeglichkeiten fuer weite Bevoelkerungsschichten 
ermoeglichen.
Was ist anders 2009 als 1987? Viel war die Rede von Facebook und Twitter -- 
dieses Mediennarrativ praegt sehr die Debatte. Ja, wir hatten damals kein 
Internet und keine Laptops und keine Handies. Und? Das Audimax schaut jetzt 
fast genauso aus wie damals -- denn die neuen Medien moegen viele neuen 
Moeglichkeiten geschaffen haben, aber der grosse Hoersaal und die Gaenge 
drumrum sind vollgepflastert mit Plakaten und Transparenten. Flugis zuhauf 
kursieren und die Studierenden sind ganz real zu Tausenden in den Hoersaelen 
und auf der Strasse aktiv. Wir hatten weniger Kommunikationsmoeglichkeiten, 
doch auch die (zeitweise mehrmals taeglich erscheinende) Streikzeitung der 
SOAL war ausreichend fuer die indirekte Informationsweitergabe. Aber tragend 
war damals -- und ist auch heute -- die direkte Kommunikation: Das 
Miteinanderreden und die zentrale Anlaufstelle im Audimax der Wiener Uni. 
Und auch das Telefon war damals schon erfunden: Gab es in Wien etwas Neues, 
hat man halt nicht getwittert, sondern beispielsweise im besetzten Rektorat 
der Uni Graz angerufen -- ist auch gegangen und war genauso effektiv. Die 
neuen Moeglichkeiten sollte man nicht unterschaetzen, aber menschliche 
Frustration, Wut und auch Kommunikationsbereitschaft sind schon etwas aelter 
als die Mittel der modernen Technik.
Auch war die Kommunikation damals nicht schneller. Am Abend des 19.10.1987 
war das Audimax besetzt worden, der Streikbeschluss war schon in der Nacht 
klar -- und als ich am Tag darauf um 10 Uhr morgens zu meinem Institut 
eilte, um den Streikbeschluss zu verkuenden, war die Tuer verschlossen und 
ein Zettel klaerte mich darueber auf, dass das Institut wegen Streiks 
geschlossen sei. Am selben Tag erfolgte der Streikbeschluss in Salzburg; 
Graz folgte einen Tag spaeter.
Damals allerdings hatten wir neben der Regierung noch einen anderen Feind: 
Die Bundes-OeH, damals noch Zentralausschuss genannt, mit ihrem 
AG-Vorsitzenden Stefan Szyszkowitz (heute hochdotierter Manager), der uns 
nach Strich und Faden verarschte und hinterging, wie es ihm gerade gefiel. 
Er nutzte die finanziellen Mittel der OeH, um Flugis verteilen zu lassen, in 
denen der Protest fuer beendet erklaert wurde -- ein Protest und ein Streik, 
den die OeH nie mitgetragen hatte. Man muss ihm nachtraeglich gratulieren: 
Sein Beitrag zur Unterdrueckung des Protestes war kein geringer.
Heute sieht die Sache anders aus. Die Vorsitzende der OeH kommt von der GRAS 
und spielt das Spiel einfach nicht mit. Die OeH unterstuetzt den Protest im 
Hintergrund ohne ihn zu vereinnahmen. Es bestand in dieser Bewegung immer 
die Gefahr, dass die politischen Verantwortungstraeger sich irgendwelche 
"Sprecher" an die Brust nehmen, damit diese dann fuer sie als Gegenleistung 
fuer unverbindlichen Versprechungen den Protest abdrehen. Gegen dieses 
Ansinnen hat sich die OeH bislang erfolgreich zu Wehr gesetzt. Da kann man 
nur sagen: Respekt! Um dem diskreten Charme der Bourgeosie zu entkommen, 
gehoert schon einiges -- da koennten die "erwachsenen" Gruenen fast etwas 
davon lernen.
Unsere Proteste damals waren laut und intensiv; lauter, aber sicher auch 
hysterischer und verrueckter als heute. Den totalen Streik an den 
Universitaeten konnten wir nie ganz durchsetzen, dennoch war an den 
wichtigsten Unis Oesterreichs zumindest zwei Wochen lang fuer fast alle 
Studienrichtungen ein normaler Betrieb unmoeglich. Doch ein Streik von 
Menschen, deren einziges Produkt ihre eigene Bildung ist, konnte die Macht 
nicht beeindrucken. So waren die aktuell greifbaren Erfolge damals eher 
marginal. Ich weiss noch nicht, was die Folge dieser Proteste heute sein 
wird. Vielleicht wird es auch diesmal gar keine vordergruendig greifbaren 
Erfolge geben. Aber ist das massgeblich? Nur ganz selten hat die Politik in 
der zweiten Republik dem Widerstand von unten einen vordergruendigen Erfolg 
wie etwa bei Hainburg gegoennt -- und auch da nur, weil die Kronenzeitung 
mit von der Partie war. Nein, aber atmosphaerisch sind solche 
Protestbewegungen oft erfolgreicher, als man auf den ersten Blick sehen 
moechte. Denn vielleicht veraendert so ein Protest etwas im politischen 
Bewusstsein der Allgemeinheit, vielleicht sogar in den politischen Parteien. 
Und vielleicht wird es von der Politik auch als Schuss vor den Bug 
verstanden, dass sich die Untertanen nicht alles gefallen lassen.
Aber in Wirklichkeit haben die Studierenden schon gewonnen. Es ist ein Sieg, 
den ihnen niemand mehr nehmen kann, denn sie haben zusammen gekaempft und 
sie haben dafuer gesorgt, dass sie gehoert werden. Sie haben kaempfen 
gerlernt, sich praktische politische Bildung angeeignet und sie haben 
Netzwerke gebildet, die nicht so einfach verschwinden werden, wenn die 
heisse Phase vorbei ist. Denn die Netzwerke, die 1987 entstanden sind, 
bestehen teilweise bis heute, genauso wie die Netzwerke, die 1968/69 
enstanden sind. Und viele von den Studierenden, die heute Hoersaele 
besetzen, werden wir irgendwann wiedertreffen als Profs oder als 
Journalisten oder als Politiker und ein paar von diesen werden nicht 
vergessen haben, was Widerstand gegen Elitenbildung und Menschenvernutzung 
bedeutet.
Ein altes Wort sagt: "Wer kaempft, kann verlieren. Wer nicht kaempft, hat 
schon verloren." Das ist nicht ganz richtig. Denn wer kaempft, hat schon 
gewonnen -- und sei es nur den Kampf gegen den Opportunismus.
*Bernhard Redl*
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