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akin-Pressedienst.
Aussendungszeitpunkt: Dienstag, 20. Oktober 2009; 16:20
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Polizei/EU:

> Debatte ueber innere Sicherheit spitzt sich zu

Stockholm-Programm: Waehrend die InnenministerInnen im Rat immer
weitere Befugnisse wollen, regt sich im EU-Parlament mittlerweile
Widerstand gegen eine Europaeische Ueberwachungsunion.
*

Die Europaeische Union plant seit 1999 die Zusammenarbeit im Bereich
der Polizei- und Justiz-Zusammenarbeit immer 5 Jahre im vorraus. Aus
diesen Plaenen werden Aktionsprogramme entwickelt, die in konkreten
Richtlinien und Projekten muenden.

In den letzten Jahren gehoerten dazu unter anderem die
Vorratsdatenspeicherung, die EURODAC-Datenbank mit Fingerabdruecken
von AsylwerberInnen, das Schengen-Informationssystem II, biometrische
Reisepaesse und aehnliche Projekte. Ende des Jahres laeuft das derzeit
gueltige "Haager Programm" aus.

Ab 2010 soll dann bis 2014 das "Stockholm-Programm" gelten, das
derzeit von der schwedischen Praesidentschaft mit den anderen
Regierungen verhandelt wird. Fuer dieses Programm wurde im Juni eine
Vorlage erstellt. Die Vorarbeiten dazu liefen im Rahmen der "Future
Group", einer informellen Arbeitsgruppe der InnenministerInnen, die
Wolfgang Schaeuble unter der deutschen Ratspraesidentschaft
eingerichtet hatte. Das Stockholm-Programm soll auf dem
EU-Gipfeltreffen Anfang Dezember in Bruessel verabschiedet werden.


Auf dem Weg zur Europaeischen Ueberwachungsunion?

Neben einigen sinnvollen Ideen, wie einer Harmonisierung des
europaeischen Familienrechts besteht das Stockholm-Programm derzeit
aus einem Sammelsurium von Ueberwachungsrichtlinien und
Grenzabschottung.

Es wird zwar angegeben, dass die BuergerInnen und ihre Rechte im
Zentrum der Erwaegungen stuenden, bei genauerem Hinsehen merkt man
aber schnell, dass eben diese BuergerInnen im Zentrum der Ueberwachung
stehen sollen.

Waehrend das "Haager-Programm" zum Prinzip erhob, dass den
StrafverfolgerInnen in ganz Europa die Daten ihrer KollegInnen
grundsaetzlich verfuegbar gemacht werden sollten, geht man nun einen
Schritt weiter. Mit dem "Stockholm-Programm" soll der Zugriff in
Teilen automatisiert geschehen, und viele Datenbanken, die
urspruenglich fuer vollkommen andere Zwecke aufgebaut wurden
(Asylantraege, Visa und Reisen, Zollkooperation,...), sollen der
EUROPOL und den nationalen Polizeibehoerden offen stehen.

Auch im Zuge der SWIFT-Verhandlungen (SWIFT = internationale
Genossenschaft der Geldinstitute) mit den USA wird derzeit hinter
verschlossenen Tueren diskutiert, ob die EU nicht auch selbst
saemtliche Bankueberweisungen in Europa ueberwachen und auswerten
sollte. Dafuer sind auch gemeinsame IT-Standards geplant, damit die
Rasterfahndung und der automatische Abgleich noch ungebremster von
statten gehen koennen. EUROPOL soll zu einer zentralen
Informationssammel- und auswertungsbehoerde ausgebaut werden. Auch mit
Drittstaaten soll EUROPOL in Zukunft Abkommen schliessen koennen, die
den Austausch personenbezogener Daten beinhalten.

Eine Reihe der im Entwurf der Kommission noch grob skizzierten
Massnahmen ist bereits vor der Verabschiedung des Stockholm-Programms
in konkrete Gesetzgebungsvorschlaege uebersetzt worden und wird
derzeit in Bruessel verhandelt. Dazu gehoeren unter anderem die
IT-Agentur fuer den Betrieb saemtlicher Datenhalden, der Zugriff von
EUROPOL auf diverse andere Datenbanken wie Fingerabdruck- oder
Zolldaten, der Datenaustausch zwischen EUROPOL und Drittstaaten (die
aktuelle Liste umfasst nun auch Laender wie Marokko, Kolumbien,
Russland oder China!) und einiges mehr. Die Vorgaenge bezueglich der
Sperrung von Webseiten, die Kinderpornografie enthalten, sind
akin-LeserInnen ja bereits bekannt.

Warum diese Eile mit diesem Abkommen? Kann man denn nicht warten, bis
die Staats- und RegierungschefInnen der EU das Stockholm-Programm im
Dezember endgueltig abgesegnet haben und dann in Ruhe ein
Aktionsprogramm daraus entwickelt wurde? Offensichtlich nicht.

Die Eile liegt wohl am Lissabon-Vertrag, dessen baldiges Inkrafttreten
mit dem irischen "ja" vor einer Woche so gut wie sicher ist und fuer
Anfang 2010 erwartet wird.

Dann hat naemlich das Europaeische Parlament endlich ein Veto-Recht im
Bereich Justiz- und Polizeizusammenarbeit. Dieser Bereich war bisher
den Regierungen vorbehalten, das Parlament hat man lediglich
konsultiert.


Welches Europa wollen wir?

Die Europa-Abgeordneten sind traditionell etwas
buergerInnenrechtsfreundlicher als der Rat der Regierungen, in
letzterem geben vor allem die InnenministerInnen den Ton an.

Und diese Europa-Abgeordneten sind im Vorgriff auf den
Lissabon-Vertrag deutlich selbstbewusster geworden und verlangen schon
jetzt Mitspracherechte oder ein Vertagen der Entscheidung, bis das
Parlament darueber mitbestimmen darf.

Die Debatten im Ausschuss fuer buergerliche Freiheiten, Justiz und
Inneres (LIBE) seit der Sommerpause ueber die oben genannten Vorhaben
zeigen bereits, dass eine wachsende Zahl der Abgeordneten ein
deutliches Unbehagen gegenueber noch mehr Ueberwachung und
Datensammlung verspuert. Dies gilt uebrigens nicht nur fuer die
Gruenen oder Liberalen, skeptische Stimmen hoert man auch von
SozialdemokratInnen und sogar Konservativen.

Die Vorsitzenden der Ausschuesse fuer buergerliche Freiheiten, fuer
Recht und Verfassungsangelegenheiten haben diese Woche nun den Entwurf
einer Resolution des Europaparlaments zum Stockholm-Programm
vorgelegt, der am Donnerstag gemeinsam mit VertreterInnen der
nationalen Parlamente diskutiert wurde.

Der Text ist etwas weniger ueberwachungsfreundlich als der Entwurf aus
der Kommission, beinhaltet aber immer noch merkwuerdige Stellen. So
wird immer noch davon geredet, dass Sicherheit und Freiheit
"ausbalanciert" werden sollten. Als gaebe es keinen Kernbereich von
Grundrechten, die solchen Abwaegungen nicht zugaenglich sein duerfen,
und als wuerde Sicherheit immer notwendigerweise mit
Freiheitsbeschraenkungen hergestellt werden muessen. Viele Abgeordnete
haben daher Aenderungsantraege angekuendigt.

Hier wird sich in den naechsten Wochen daher eine Diskussion ueber die
Frage zuspitzen, die bereits durch saemtliche Einzelmassnahmen in der
Luft liegt:

Welches Europa wollen wir? Eines von Ueberwachung und Misstrauen, von
Generalverdacht und flaechendeckender Speicherung bzw. Auswertung
harmloser und legaler Aktivitaeten, ein Europa in dem die
Sicherheitsbehoerden immer mehr Wissen und damit Macht bekommen?

Oder ein Europa, das die BuergerInnen- und Menschenrechte in den
Mittelpunkt stellt, Grundrechtsbeschraenkungen nur im Einzelfall nach
richterlicher Ueberpruefung erlaubt, und generell von Offenheit und
Vertrauen gekennzeichnet ist?


NGOs und AktivistInnen mischen sich ein

Dass diese Debatte von grosser Bedeutung ist, sieht man auch daran,
wie sich die Zivilgesellschaft hier einmischt. Waehrend beim "Haager
Programm" vor fuenf Jahren nur wenige ExpertInnenvereine
Stellungnahmen eingereicht haben, wird man beim Stockholm-Programm
foermlich erschlagen von Hintergrundpapieren, Kommentaren und anderen
Interventionen.

Von amnesty international ueber die Europaeische Menschenrechtsliga
und diverse Fluechtlingsverbaende, den Deutschen AnwaeltInnenverein,
die britische Rechtsvereinigung, bis hin zum Deutschen Industrie- und
Handelskammertag findet man teils knappe und zugespitzte Kommentare,
teils laengere Hintergrundpapiere.

Auch diverse nationale Parlamente, der Europaeische
Datenschutzbeauftragte und die EU-Grundrechteagentur haben sich zum
Thema geaeussert. Die Dokumente gehen ueberwiegend in Richtung "mehr
Rechtsstaat, weniger Ueberwachung".

Auch AktivistInnengruppen aus dem Antirepressions- und
Fluechtlingsbereich haben sich mit dem Stockholm-Programm intensiv
befasst. Der Informationsdienst Gipfelsoli.org macht seit ungefaehr
einem Jahr eine Kampagne dazu, das internationale "No-Border"-Camp in
Lesbos im August hat zu den Grenzabschottungs-Aspekten (die hier nicht
so ausfuehrlich behandelt werden konnten) intensiv gearbeitet, und
seit kurzem gibt es ja die Kampagne "Reclaim your Data!"* zu den
EU-Datenbanken, zu der netzpolitik.org mit aufruft. Fuer den EU-Gipfel
zur Verabschiedung des Stockholm-Programmes im Dezember in Bruessel
werden bereits Protestaktionen geplant.

Langsam tut sich die BuergerInnenrechtsbewegung also auch auf
europaeischer Ebene zusammen. Projektbezogen gibt es das zwar immer
wieder mal, aber was noch fehlt, sind feste Strukturen der
Zusammenarbeit, die auch kontinuierlich mit Leben gefuellt werden.

EDRi* oder ECLN* haben zwar eine Reihe von Mitgliedern, aber viel mehr
als ein Austausch ueber die einzelnen Aktivitaeten auf den nationalen
Ebenen laeuft da auch noch nicht wirklich.
(netzpolitik.org/no-racism.net/akin)
*

Quelle: http://no-racism.net/article/3144/ - Artikel von Ralf
Bendrath, zuerst veroeffentlicht am 10. Oktober 2009 auf
netzpolitik.org, von no-racism.net und akin bearbeitet. Original:
http://www.netzpolitik.org/2009/stockholm-programm-debatte-ueber-innere-sicherheit-in-der-eu-spitzt-sich-zu
*

> Links

EDRi - European Digital Rights ( http://www.edri.org/ ) ist eine
Vereinigung von 28 Buergerrechtsorganisationen aus 17 europaeischen
Laendern mit Sitz in Bruessel.
EDRI-Gram: http://www.unwatched.org/taxonomy/term/1

ECLN -- European Civil Liberties Network (hauptsaechlich auf
englisch): http://www.ecln.org/

Reclaim your data from the European police authorities! Campaign to
exercise the right to access European databases:
http://euro-data.noblogs.org/



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