**********************************************************
akin-Pressedienst.
Aussendungszeitpunkt: Dienstag, 20. Oktober 2009; 16:22
**********************************************************
Moderne Zeiten:
> Von Identitaetsschnuefflern und -erschaffern
Die oesterreichischen Big Brother Awards sind wieder ausgelobt. Die 
Gewinner der "Preise, die niemand haben will" (Selbstdefinition) 
werden am 25.10. in einer Gala im Wiener Rabenhof Theater 
bekanntgegeben und gewuerdigt. Doch leider kann halt nicht jeder der 
Nominierten diesen Preis gewinnen, denn verdient haetten sie ihn ja 
wohl alle. Um sie wenigstens ein bisschen ins Rampenlicht treten zu 
lassen, hier ein Rundblick ueber die ehrenwerten Damen und Herren.
*
In der Kategorie "Business und Finanzen" ist Clemens Steiner, 
Geschaeftsfuehrer von Tiger Lacke nominiert. Fuer ihn sollte es 
vielleicht einen Extrapreis fuer die gewagteste Ausrede geben: "Im 
Sinne des Erhalts der Zufriedenheit der Belegschaft" und um 
"Verbesserungen fruehzeitig durch geeignete Massnahmen einleiten zu 
koennen" habe die Geschaeftsfuehrung des Welser Unternehmens Tiger 
Coatings "regelmaessig die Kommunikation mit den betreffenden 
Mitarbeitern gesucht". Soll heissen: Die Mitarbeiter wurden ohne ihr 
Wissen videoueberwacht und bisweilen wurden auch ihre e-Mails 
mitgelesen. Grund dafuer: Das Verschwinden von Lackkontingenten. Das 
allerdings stellte sich nachtraeglich als Fehler der Buchhaltung 
heraus.
Auch die Betreiber des Zentralen Informationssystems des 
Versicherungsverbandes Oesterreichs (ZIS) haben einen gsunden Schmaeh. 
Denn dies ist nichts anderes als eine "Schwarze Liste" unerwuenschter 
Kunden. Ein aktueller Fall, der vor die Datenschutzkommission kam, 
hatte zum Ergebnis, dass medizinische Diagnosedaten ohne Zustimmung 
durch den Versicherungsnehmer von einem Institut an eine andere 
Versicherung uebermittelt wurden. Die lehnte daraufhin den Betroffenen 
als Kunden ab.
Aber das ist natuerlich alles ganz legal, denn die 
Versicherungsvertraege enthalten schliesslich Klauseln, die der 
Versicherung das gestatten. Die Datensaetze umfassen Name, 
Geburtsdatum, Adresse sowie sogenannte "Versicherungsfalldaten", was 
auch immer unter letzteren zu verstehen ist.
Weiteres nominiert wurden in dieser Kategorie OeBB-Chef Peter Klugar 
(fuer das Ueberwachen von Fahrgaesten -- per Videokamera in 
Nahverkehrszuegen -- und MitarbeiterInnen durch systematische 
Erfassung ihrer Krankenakten und andere schoene Dinge) sowie Irmgard 
Balint vom Industriezentrum NOe-Sued fuer das illegale Betreiben einer 
aus 27 Kameras bestehenden Ueberwachungsanlage, die 24 Stunden pro Tag 
den gesamten Verkehr auf den dortigen oeffentlichen Strassen 
aufzeichnete.
*
In der Kategorie "Politik" staut es sich naturgemaess und Favoritin 
ist wieder einmal unsere Innenministerin -- schliesslich hatte noch 
jeder und jede in diesem Amt seit Bestehen dieses Preises gute 
Chancen, geehrt zu werdem. Maria Fekter koennte im speziellen diesen 
Preis fuer ihre Vorstoesse in Richtung der polizeieigenen Handy-Ortung 
erhalten. Denn schon jetzt ist es problemlos moeglich, per Anforderung 
an die Mobilfunkbetreiber die Peilung der vielbemuehten vermissten 
Tourengeher zu bekommen -- aber diese Mobiltechniker sind halt doch 
Zivilisten und denen ist nicht zu trauen, da ist es doch viel besser 
die Polizei macht das selber. Es faellt dann auch nicht so auf, wenn 
die Skitourengeher ihr Verhalten radikal aendern und vor allem in den 
urbanen Ballungsraeumen verloren gehen.
Aber auch die SPOe Brigittenau ist gut im Rennen um den wenig 
begehrten Preis -- im 20.Wiener Gemeindebezirk (und wahrscheinlich 
nicht nur dort) fuehren SPOe-Beisitzer bei Wahlen neben der 
offiziellen Waehlerliste noch eigene, naemlich solche mit 
SPOe-Mitglieder. Schliesslich will man ja wissen, welcher Genosse zu 
faul war zu waehlen oder vielleicht ganz bewusst zuhausegeblieben ist.
Selbst die Gruenen kommen nicht ganz ungeschoren davon. So sind die 
oberoesterreichischen Landtagsabgeordeten Hirz, Wageneder und Schwarz 
nominiert, weil sie angesichts des Themas "Kampf gegen 
Kinderpornographie" mit allen 25 Abgeordneten der OeVP und einem der 
SPOe namentlich eine Resolution unterzeichneten, die von der 
Bundesregierung die dringende Einfuehrung von Internet-Sperren 
forderte.
Ansonsten stehen noch auf der Liste Wissenschaftsminister Johannes 
Hahn fuer sein Faible fuer Wahlcomputer bei den OeH-Wahlen und Jacques 
Barrot, Kommissar fuer Justiz, Freiheit und Sicherheit, dem es so 
wichtig war, dafuer zu sorgen, dass der Zugriff auf SWIFT-Finanzdaten 
von den europaeischen "Terrorfahndern" einfach und unbuerokratisch 
moeglich wird.
*
Im Bereich "Behoerden und Verwaltung" kommt man hingegen nicht an 
Guenter Schmid, Gymnasialdirektor der Sir-Karl-Popper Schule, einem 
Gymnasium fuer Hochbegabte, vorbei. Der wollte alle Schulgaenge 
videoueberwacht haben, weil akute "Lebensgefahr fuer die Schueler" 
bestuende -- schliesslich war schon mal ein Schweizerkracher in einer 
Klomuschel explodiert. Auch fand er nichts dabei, zwecks 
Alkoholkontrolle der Schueler deren Spinde vom Hausmeister 
aufschliessen und teilweise sogar aufbrechen zu lassen. Eines der 
wichtigsten Buecher Poppers hiess: "Die offene Gesellschaft und ihre 
Feinde" -- Schmid duerfte da etwas missverstanden haben.
"Befanden Sie sich waehrend der letzten fuenf Jahre oder sind Sie 
derzeit in psychiatrischer Behandlung? Nehmen Sie regelmaessig 
Alkohol, Medikamente oder Drogen?" Wer als Arbeitslose/r einen Kurs im 
Berufsfoerderungsinstitut Oberoesterreich [BFI] besuchen will, muss 
vorher einen Fragebogen ausfuellen, in dem solche Fragen gestellt 
werden. Diese sogenannte Sozial-Anamnese sei im Interesse der 
Kursteilnehmer, sagte Gerald Roithmeier, Regionalleiter des BFI, auf 
Anfrage. Die Schulungsprogramme zielten darauf ab, die Arbeitslosen 
fuer offene Stellen zu qualifizieren und daher werde auch die 
"Belastungssituation des Arbeitslosen eruiert". Das war natuerlich 
auch einen Nominierung wert.
Wiener Wohnen schaffte es auch heuer wieder auf die Liste -- war es 
letztes Jahr die Videoueberwachung von Mistkuebeln im Gemeindebau 
kommt heuer der Kampf gegen den grassierenden Waschkuechenmissbrauch 
hinzu. Gegen die Schwarz- und Falschwaescher haelt man eine zentrale 
Wiener Waschkucheldatenbank bereit mit Registrierung und ueber 
Funkchips und UMTS ferngesteuerte Tueren und Waschmaschinen, die 
bereits vor dem Waschschluss um 20 Uhr den Start von Programmen 
verweigern, die zu lange dauern wuerden.
Weiters nominiert: Das Finanzministerium, das Spendenabsetzbarkeit and 
die Sozialversicherungsnummer koppelt sowie selbstverstaendlich die 
SoKo Pelztier der Polizei, die mangels echter Terroristen einen 
Aufwand zur Tierrechtlerueberwachung an den Tag legte, wo das FBI 
blass wuerde. Und dann ist da noch Karin Spacek, Wiener 
Landessanitaetsdirektorin und Leiterin MA15: In einem als "dringend" 
titulierten Schreiben forderte dir MA15 im April alle Wiener 
Schulaerzte dazu auf, saemtliche Gesundheitsblaetter und 
Elternfrageboegen der 4. und 8. Schulstufen vollstaendig ausgefuellt 
mit Dienstpost in Kopie an den Schulaerztlichen Dienst (MA15) zu 
uebermitteln. Die Daten wuerden fuer eine Studie benoetigt. Die 
Unterlagen hatten neben Namen und Adressen auch eine Reihe von hoechst 
persoenlichen Angaben zum Gesundheitszustand (physisch und psychisch) 
und zur sozialen Lebenslage der Familien zum Inhalt. Betroffen waren 
insgesamt 24.000 Schueler/innen und deren Eltern. Die wurden allesamt 
nicht ueber die Weitergabe ihrer persoenlichen Daten informiert, die 
sie in gutem Glauben, sie seien nur fuer den Schularzt bestimmt, 
hergegeben hatten. Die Aerztekammer wies die Schulaerzteschaft 
daraufhin an, diese Daten nicht weiterzugeben, da es dafuer keine 
Rechtsgrundlage gebe. Die zustaendige Magistratsabteilung behauptete 
bis zum Schluss, dass man das Recht haette, diese Daten zu sammeln und 
auszuwerten. Begruendet wurde dies unter anderem mit Verweis auf 
Gesetze und Verordnungen, die in der Zeit des Nationalsozialismus 
erlassen wurden wie zum Beispiel die Durchfuehrungsverordnungen zum 
Gesundheitswesen.
*
Den Preis fuer "Kommunikation und Marketing" bekommt vielleicht Mark 
Zuckerberg, CEO von Facebook. Denn der Weg in die 
Ueberwachungsgesellschaft ist nicht mit guten Vorsaetzen gepflastert, 
sondern mit Bequemlichkeit asphaltiert. Das soziale Netzwerk 
Facebook -- mit seiner Datensammlung inclusive Namen, Photo, 
Geburtsdatum, Schulbesuch etcetera schon mal nicht unbedenklich --  
laedt den neuen Benutzer nach der Anmeldung gleich einmal ein, eines 
der wichtigsten Sicherheitsprinzipien der Informationsgesellschaft 
ueber Bord zu werfen: Niemals ein Passwort an Dritte weiterzugeben. 
Denn der einfachste Weg, Freundinnen und Freunde auf Facebook zu 
finden, sei die Eingabe von E-Mail-Adresse und Benutzerpasswort eines 
bestehenden, privaten E-Mail-Accounts, also die gesamten Zugangsdaten. 
Die zugehoerige Data-Mining-Applikation Friend-Finder rundet das Bild 
eines Geschaeftsmodells ab, das sowohl in den Methoden als auch in der 
Dreistigkeit des Vorgehens mit jedem Phishing-Kriminellen mithalten 
kann.
Auch Google kommt nicht davon -- der firmeneigene Browser Chrome 
uebermittelt schon dann Daten an die Suchmaschine, wenn man erst beim 
Eintippen des Suchbegriffs ist -- und nicht erst nach dem Druecken der 
Enter-Taste.
Die Oesterreichische Post AG ist Stammkunde bei den BBA-Nominierungen. 
Diesmal steht sie auf der Liste fuer ein spezielles Service an 
Verlage: "Die Post analysiert Namen und Adressen ehemaliger Abonnenten 
Ihres Verlages. Dabei werden Kriterien wie Kaufkraft, Bildung, 
Einkommen und Wohnumfeld unter die Lupe genommen." Man weiss ja bei 
der Post zum Beispiel, was der betreffende Kunde sonst noch abonniert 
hat und seit wann. Dazu muessen noch jede Menge weitere Daten kommen, 
sonst liesse sich eine "Profilbeschreibung Ihres typischen Kuendigers" 
oder "ein nach Alter und Geschlecht aufgestelltes Histogramm" wohl 
kaum erstellen.
Und auch Amazon ist mit von der Partie: Denn wie Updates auch 
funktionieren koennen, hat der Online-Einzelhaendler seinen Kunden 
heuer demonstriert. Nachdem die Rechteinhaber den Verkaufsstopp zweier 
E-Books verlangt hatten, wurden die beiden Titel aus dem 
Online-Angebot entfernt. Bereits bezahlte elektronische Buecher wurden 
von den Kindle-Lesegeraeten der Kunden rund um den Globus einfach 
geloescht. Bei den geloeschten Titeln handelte es sich ausgerechnet um 
George Orwells dystopische Romane "Farm der Tiere" und "1984". In 
letzterem lassen Zensoren systematisch Informationen verschwinden, die 
den Ueberwachungsstaat des "Grossen Bruders" in Frage stellen.
Last but not least: Russell E. List-Perry, Geschaeftsfuehrung von 
123people.at. Der Service bezeichnet sich als Personensuchmaschine, im 
Suchfeld gibt man denn auch Vorname und Nachname ein. Da werden 
"personenbezogene Informationen", die aus Bildern, Videos, 
E-Mail-Adressen, Telefonnummern und Extrakten aus verschiedenen, im 
Web bereits vorhandenen Profilen bestehen, aggregiert. Nur kann es 
auch passieren, dass da Ergebnisse von gefaehrlicher Beliebigkeit 
ausgespuckt werden -- gerade bei Leuten, die vorsichtig sind mit ihren 
Angaben im Netz und wo daher die Datenlage eher gering ist. Personen 
werden willkuerlich Parteien zugeordnet und Bilder falschen Personen, 
Personen werden verwechselt oder ueberhaupt neu erschaffen, indem 
Daten von mehreren Individuen zu einem Datensatz zusammengezogen 
werden.
(Big Brother Awards/akin)
Die Liste inclusive ausfuehrlicherer Beschreibungen sowie Linklisten 
zu den einzelnen Kandidaten findet sich unter 
http://www.bigbrotherawards.at/2009/Nominierungen
Big Brother Awards Gala: Theater Rabenhof (A-1030 Wien, Rabengasse 3, 
ca. 200m von der U-Bahnstation Kardinal-Nagl-Platz der Linie U3), So. 
25. Oktober 2009, Beginn: 20:00 [Einlass: 19:00]. 
Der Eintritt ist frei.
***************************************************
Der akin-pd ist die elektronische Teilwiedergabe der 
nichtkommerziellen Wiener Wochenzeitung 'akin'. Texte im akin-pd 
muessen aber nicht wortidentisch mit den in der Papierausgabe 
veroeffentlichten sein. Nachdruck von Eigenbeitraegen mit 
Quellenangabe erbeten. Namentlich gezeichnete Beitraege stehen in der 
Verantwortung der VerfasserInnen. Ein Nachdruck von Texten mit anderem 
Copyright als dem unseren sagt nichts ueber eine anderweitige 
Verfuegungsberechtigung aus. Der akin-pd wird nur als Abonnement 
verschickt. Wer versehentlich in den Verteiler geraten ist, kann den 
akin-pd per formlosen Mail an akin.buero{AT}gmx.at abbestellen.
*************************************************
'akin - aktuelle informationen'
a-1170 wien, Lobenhauerngasse 35/2
vox: ++43/1/535-62-00
(anrufbeantworter, unberechenbare buerozeiten)
http://akin.mediaweb.at
akin.buero{AT}gmx.at
Bankverbindung lautend auf: föj/BfS,
Bank Austria, BLZ 12000,
223-102-976/00, Zweck: akin