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akin-Pressedienst.
Aussendungszeitpunkt: Mittwoch, 7. Oktober 2009; 16:54
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Glosse/Technik:
> Klein und unberechenbar
Nanotechnologie ist DIE Zukunftstechnologie -- oder DIE 
Zukunftsgefahr?
Am Mittwoch, dem 16. September veranstaltete die Arbeiterkammer 
Salzburg eine Fachtagung zum Thema Nanotechnologie. Christian Mokricky 
(selbst Chemiker) von der "Umweltberatung Oesterreich" moderierte die 
Tagung. Es waren sechs ExpertInnen, die sich schon lange mit 
Nanotechnologie beschaeftigen, eingeladen worden, ihren 
Erkenntnisstand zu kommunizieren: Gernot Zweytick, FH Wr. Neustadt, 
Campus Wieselburg (seine Unterlagen trugen die Aufschrift "Austrian 
Marketing University"); Susanne Stark, Chemikerin, Verein fuer 
Konsumenteninformation; Stefan Goeweil, AK Salzburg, 
Konsumentenberatung; Hans Peter Hutter, Facharzt, Institut fuer 
Umwelthygiene Wien; Werner Brueller, wissenschaftlicher Mitarbeiter 
der Ages, Oesterreichische Agentur fuer Gesundheit und 
Ernaehrungssicherheit. Und Thomas Jakl von der Abteilung Chemiepolitik 
im "Lebensministerium", wie das Umweltministerium jetzt heisst.
Ich versuche, die Tagung zusammenzufassen, nicht das Thema oder die 
Technologie insgesamt zu beschreiben, im Rahmen der Zusammenfassung 
konnte ich dank der umfassend zur Verfuegung gestellten Unterlagen 
eine hermeneutische Herangehensweise waehlen.
Namensdefinition
Laut Zweytick wird Nanotechnologie als die Schluesseltechnologie des 
21. Jahrhunderts bezeichnet. Der Wortstamm nanos (griech.) bedeutet 
der Zwerg, Nanopartikel sind winziger als winzig.
Brueller formulierte: "Unter Nanotechnologie versteht man ganz 
allgemein die Visualisierung, Charakterisierung, Produktion und 
Manipulation von Partikeln, die kleiner als 100 Nanometer sind. Dazu 
zaehlen neben der Herstellung von so genannten Nanomaterialien auch 
die Nanomanipulation, bei der mit Hilfe von speziellen Mikroskopen 
einzelne Nanopartikel gezielt veraendert werden."
Einsatzmoeglichkeiten/erhoffter Nutzen
Die Einsatzmoeglichkeiten der Nanotechnologie sind vielfaeltig, 
Zweytick zaehlte unter anderem folgende Anwendungsgebiete auf: 
Energiegewinnung und Energiespeicherung, Elektronik, Textilien, 
Farben, Lacke, Landwirtschaft. Man brauche weniger Kosmetik, denn 
diese verteile sich schoener, weil gleichmaessiger auf der Haut, etwa 
Sonnencreme. Medizin: Nanosilber wirkt staerker antibakteriell. 
Lebensmittel: Verpackungen lassen sich stabiler produzieren, 
Beschichtungen verlaengern die Haltbarkeit der Lebensmittel. Eine 
weitere Einsatzmoeglichkeit sind Geschmacksverstaerkung und 
Farbintensivierung oder Bleichmittel bei Dressings.
Bei Salz oder anderen pulverfoermigen Lebensmitteln wird eine bessere 
Rieselwirkung erreicht. Kuechengeraete koennen mit staerkerer 
Antihaftbeschichtung hergestellt werden. Susanne Stark ergaenzte: 
Gummibereich, Baubereich, Autoindustrie, Metallindustrie, 
Computerindustrie, Babywindeln und Shampoos.
Zweytick erlaeuterte am Beispiel Salz, dass hier Nanopartikel 
beigesetzt werden, um das Verklumpen zu verhindern -- Salzpackungen, 
die damit werben, rieselfreudiges Salz zu verkaufen, koennen 
Nanopartikel beinhalten. Hutter empfiehlt die Verwendung von grobem 
Meersalz. Stark betonte, dass es Studien und Gegenstudien gaebe, der 
Nutzen von Nanotechnologie nicht abschaetzbar sei. Im Bereich der 
Wasseraufbereitung koennte Meersalz entsalzt werden, im Bereich 
erneuerbarer Energie koennten die Speicherkapazitaeten erhoeht werden.
Konzerne/Profite
Nachdem es keine Verpflichtung gibt, einen Nachweis zu erbringen, 
beruhen die Daten, die Zweytick praesentierte, auf Schaetzungen, es 
koennten demnach bislang etwa 150 bis 600 Lebensmittelproduke und etwa 
400 bis 500 Lebensmittelverpackungen zum Verkauf angeboten werden. 
Stark fuehrte aus, dass 2006 insgesamt bereits etwa 2000 mit 
Nanopartikeln versehene Produkte erfasst worden sind. Die ueblichen 
Verdaechtigen (Pepsi & Co, Nestle, Bayer, Shemen; Campbell Soup, Mars 
Inc., Northern Foods, United Foods, fuer die 
Lebensmittelverpackungsindustrie Evonik Industries, im Bereich der 
Lebensmittelzusatzstoffe BASF, bei den Nahrungsergaenzungmitteln 
fairvital) forschen nach Zweytick im Bereich der Nanotechnologie und 
wenden diese an. Laut Stark lag der Umsatz von Nanoprodukten weltweit 
2008 bei etwa 700 Milliarden Euro, fuer 2014 werden Profite in der 
Groessenordnung von 750 bis 2000 Milliarden Euro geschaetzt. 
Nanotechnologie wird laut Stark als bedeutsamer Wirtschaftsfaktor 
eingeschaetzt. Forschung in Bezug auf Anwendungsmoeglichkeiten wird 
intensiv betrieben. Hohe Umsaetze gibt es etwa bei Carbon Black in der 
Gummiindustrie, bei Farben und Lacken in der Autoindustrie oder im 
Baubereich.
Risiken
Die ExpertInnen sind sich darin einig, dass die Risiken insgesamt noch 
nicht einschaetzbar und wenig untersucht sind, die Forschung in Bezug 
auf Auswirkungen der Entwicklung und Anwendung der Nanotechnologie 
hinterherhinkt, ein hohes Risiko besteht beim Eindringen von 
Nanopartikeln in die Lunge. Gelangen Nanopartikel auf geschaedigte 
Haut (Sonnenbrand), koennen diese in den Koerper eindringen. Es gibt 
Sonnencremes, die mit Nanopartikel versetzt sind. Hutter 
verschriftlichte in seinen Unterlagen: "Wie sich die aufgenommenen 
Partikel ... im Organismus genau verhalten ... ist weitgehend ungeklaert. 
Gesundheitsrisiken koennen derzeit weitgehend nur aus 
Analogieschluessen abgeschaetzt werden ... Aus aerztlicher Sicht ist ... 
eindringlich ein vorsichtigerer Umgang mit der Nanotechnologie ... zu 
fordern." Nanopartikel koennen Entzuendungen ausloesen, zu 
Lungenerkrankungen fuehren, sie koennten Zellen zur Wucherung anregen, 
Krebserkrankungen waeren die Folge. Brueller formulierte, dass die 
Auswirkungen der Nanotechnologie im Lebensmittelbereich am wenigsten 
erforscht sind und dass es Nanostrukturen gibt, die aehnlich wirken 
wie Asbest.
Forderungen der ExpertInnen und der AK
Die ExpertInnen schwankten zwischen der Forderung nach 
Kennzeichnungspflicht und der ethischen Haltung, Produkte 
grundsaetzlich erst dann zuzulassen, wenn diese fuer Mensch und Umwelt 
keine Gefahr darstellen.
Rechtslage
Es gibt derzeit keine rechtliche Klaerung, bis 2012 will die 
EU-Kommission laut Jakl
Richtlinien fuer die Zulassung von Nano-Produkten erarbeitet haben, 
angewendet werden sie aber bereits heute. In wessen Sinne und 
Interesse bleibt der Phantasie des aufmerksamen Publikums ueberlassen.
Bedrohliche Interessen
Die ExpertInnen mutmassten, dass die Militaers in der Entwicklung der 
Nanotechnologie weiter fortgeschritten sein muessten; Vorteile werden 
primaer im Bereich der Panzerung (dichte Schutzbeschichtung) 
angenommen, die Spionage duerfte im Bereich der Minituarisierung ihr 
Interesse bekunden.
Interessensgleichklang
Jakl vom Lebensministerium vertrat den Standpunkt, dass ohnehin alle 
Produkte einem
aufwendigen Kontrollprozess unterzogen wuerden, dieser einen 
ausreichenden Schutz darstellen wuerde, um sich darauf selbst insofern 
zu widersprechen, als er eine EU-weite Regelung fuer 2012 in Aussicht 
stellte. Er vermutete, dass wir die Auswirkungen vielleicht in 
vielleicht 30 Jahren wissen koennten. Fortschritt, Innovation, die 
"freie Marktwirtschaft" wollte er verteidigt wissen. Vom Vertreter der 
Arbeiterkammer wollte er wissen, ob es wirklich im Interesse der AK 
sein koennte, Nanoprodukte als solche zu kennzeichnen, weil: dann 
wuerde sie ja niemand mehr kaufen. (!)
Resumee
Nach meiner erstmaligen Beschaeftigung mit diesem Thema und einer 
eintaegigen Fachtagung kann ich nicht beurteilen, wie bedrohlich diese 
Technologie fuer die Menschheit und Umwelt ist, ich habe aber 
ExpertInnen gehoert, die sich auf Studien berufen, wonach 
gesundheitliche Risken bzw. ernsthafte Erkrankungen vor allem im 
Bereich der Atemwege bereits festgestellt worden seien. Weitestgehend 
sind die Reaktionsweisen von Nanopartikeln im menschlichen Organismus 
und die Wechselwirkungen in der Umwelt unbekannt, die Datenlage zu den 
Risken ist aeusserst mangelhaft. Ich moechte kein menschliches 
Experimentierfeld fuer die Profitgier der Industrie und der Militaers 
sein. Die Forderung der Arbeiterkammer nach verpflichtender 
Kennzeichnung kann ich nur vollinhaltlich unterstreichen; der 
Handlungsrahmen, den die Arbeiterkammer Salzburg gewaehlt hat, scheint 
mir allerdings zu kurz gegriffen, ich vermisse eine breit angelegte 
Kampagne zur Durchsetzung der Kennzeichnungsverpflichtung. Die Debatte 
weist Aehnlichkeiten mit der Debatte um die Entwicklung der 
Atomenergie auf, so quasi: jetzt bauen wir die Atomkraftwerke 
zunaechst einmal, dann werden wir schon sehen, welche Effekte sie 
haben. Die Argumente der BefuerworterInnen sind immer die gleichen: es 
geht um Innovation, Fortschritt, wer will denn schon in Hoehlen leben. 
Ihre bereitwilligen Handlanger in der Politik findet die Industrie 
allemal und bei den kalkulierten Profitraten zahlt sich Lobbying schon 
aus. Ruestungsindustrie, Militaers und Spionage setzen auf 
Nanotechnologie. Um es mit den Worten der GruenderInnen von Greenpeace 
zu sagen: "Erst wenn der letzte Baum gerodet, der letzte Fluss 
vergiftet, der letzte Fisch gefangen ist, werdet ihr feststellen, dass 
man Geld nicht essen kann."
*rosalia krenn*
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