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akin-Pressedienst.
Aussendungszeitpunkt: Mittwoch, 16. September 2009; 02:31
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Glossen:
> Lehren aus der Krise:
Wie linke Kritiker den Kapitalismus krisenfest & gerecht machen 
wollen.
Eine Analyse der *Gruppe Gegenstandpunkt*
Die Krise: Eine gute Gelegenheit, die Heimat besser kennen zu lernen. 
Voller Sehnsucht, der Kapitalismus moege wieder Wachstum produzieren, 
interessiert sich aber kaum jemand dafuer, was fuer eine feine 
Wirtschaft da - auch gerade in der Krise! - funktioniert. Auf ihre 
Weise eben:
Eine Wirtschaft, in der das Arbeiten zurueckgefahren wird und die 
Armut waechst, weil es zu viele Autos und Fluglinien und 
US-amerikanische Einfamilienhaeuser gibt - und deswegen die 
Kalkulationen diverser Kapitalbesitzer nicht mehr aufgehen! Gearbeitet 
wird, wenn die wirklichen Besitzer der Arbeitsplaetze davon 
profitieren - wenn nicht, werden die Kosten fuer die unrentablen 
Arbeitskraefte eingespart.
Eine Wirtschaft, in der jedes Geld bis zu den Spargroschen der 
normalen Leute laengst als ein Teil des Finanzkapitals unterwegs ist 
und sich vermehren muss, mit der schoenen Perspektive, dass auch das 
Ersparte und die Lebensversicherung kaputt gehen, wenn die Banken ihre 
Spekulationen nicht mehr hinkriegen.
Eine Wirtschaft, in der keine Branche so "systemrelevant" ist wie die 
Banken: Jede Regierung, die das noch kann, setzt mit ungewissem 
Ausgang ihre ganze Macht ueber das Geld ein und aufs Spiel, um den 
wertlosen "giftigen" Wertpapieren den Offenbarungseid zu ersparen! 
Spinner von liberal bis rechts halten das fuer eine Tendenz zum 
"Sozialismus".
Eine Weltwirtschaft, in der die Stellung der Nationen daran haengt, ob 
sie die Macht aufbieten koennen, um mit ihren Banken den Reichtum der 
Nation, also ihre eigenen oekonomischen Potenzen zu erhalten. Krisen 
sind Zeiten der oekonomischen und politischen Machtverschiebungen. 
Jede Regierung tut alles, damit "wir" "gestaerkt" und "als Gewinner" 
aus der Krise hervorgehen.
Eine Weltwirtschaft, in der die Voelker mit den faelligen Opfern fuer 
die Anstrengungen der Nationen in der Krisenkonkurrenz haften. Nach 
den Rettungsversuchen des Finanzkapitals durch die "explodierenden" 
Staatsschulden steht die "Sanierung" der Staatshaushalte an; die 
passende Mischung aus Steuererhoehungen und Einsparungen in den nicht 
so "systemrelevanten" Bereichen Soziales, Gesundheit, Bildung etc. 
wird sich finden. Die Medien fuehren in vorauseilendem Gehorsam schon 
Kampagnen gegen die aktuellen Sozialschaedlinge: Pensionisten, Lehrer, 
Beamte usw.
*
Waehrend alle nahtlosen Parteigaenger des "vernuenftigsten aller 
Wirtschaftssysteme" mit dem Stichwort "Gier", mit der Anprangerung 
einer "Entgleisung" der Figuren aus der Finanzszene den Kapitalismus 
weltanschaulich saniert haben, laengst bevor es praktisch wieder in 
Schwung kommt, kennen Linke eine Notwendigkeit der Krise und bringen 
es dabei zu vernichtenden Urteilen: "Schon Marx und Engels haben in 
ihren Untersuchungen eindrucksvoll dargelegt, wie die profane Logik 
des Kapitalismus zu Hunger, Ausbeutung und Unterdrueckung fuehrt, 
Armut produziert und verstaerkt. ... eine Krise wie aus einem 
marxistischen Lehrbuch ..." (KPOe- Bundesausschuss)
Die Abneigung gegen "komplizierte Finanzprodukte" bis hin zur 
Forderung nach deren Verbot lebt allerdings von der Wertschaetzung der 
Ausbeutung in der neuerdings auch von links so gelobten 
"Realwirtschaft". Eigenartig, denn es ist durchaus bekannt, dass in 
dieser Abteilung mit der Benutzung von Arbeitskraeften und dem Verkauf 
der Produkte derselbe Zweck verfolgt wird wie im Finanzsektor - aus 
Geld soll mehr Geld werden. Und nur weil die produktiven Kapitalisten 
in ihrer immensen Gier und Masslosigkeit darauf bestehen, mit viel 
mehr Kapital zu wirtschaften, als sie schon aus ihren Belegschaften 
herausgeholt haben, koennen Banken mit ihren Finanzierungsangeboten 
landen bzw. einem Betrieb die Finanzierung abdrehen, wenn die 
Aussichten auf Profit schlecht stehen.
Wenn Linke zur Kenntnis nehmen, dass die Staaten ohne Umstaende viele 
"Milliarden fuer die Banken" mobilisieren, aber nichts fuer die Armen, 
nehmen sie das nicht als eindeutige Auskunft darueber, worauf es 
demokratisch gewaehlten Machthabern ankommt, und zwar ueberall. Die 
bekennen sich damit offensiv zu einer Wahrheit ihres Systems: Der 
Kredit in allen seinen Formen ist unverzichtbares Lebensmittel des 
Kapitalismus und Motor seines Wachstums. Mit dessen Rettung will jeder 
Staat seine eigene Kreditmacht retten, und das verschaerft noch einmal 
den ohnehin notorisch sparsamen Umgang mit den Mitteln fuer die 
"sozial Schwachen".
Wenn Globalisierungskritiker erlaeutern, was statt dieser 
"Bevorzugung" der Banken faellig waere, ist eine beachtliche Ignoranz 
gegenueber den Eigenarten des kapitalistischen Reichtums am Werk, die 
sich gerade so unuebersehbar geltend machen: Angesichts dessen, dass 
es so immens viel Geld gibt, waere doch genug fuer alle da! Dass Geld 
nicht fuer beliebige Zwecke zur Verfuegung steht, dass es selbst einen 
Zweck hat, dass es sich naemlich verwerten, wachsen muss und sich so 
wie jetzt entwertet, wenn ihm das nicht gelingt - das haben diese 
Kapitalismusverbesserer allerdings auch entdeckt. Geld fuer 
"Investitionen und Konsum" waeren die bessere Wachstumsstrategie, 
meinen sie. Aber welche Investition ist denn unterblieben, weil das 
Geld "statt dessen" auf den Finanzmaerkten gelandet ist? In der 
Autoindustrie samt Lieferanten, im Maschinenbau, in der 
Papierindustrie und in diverse Fluglinien ist eindeutig zuviel 
investiert worden, natuerlich auf Kredit - ein Kapital, das jetzt 
vernichtet wird. Die Banken finanzieren in ihrer "Gier" doch alles, 
was Profit verspricht, und ab und an kreditieren sie mehr als die 
Realwirtschaft verkraftet! Die Einkommen der Beschaeftigten und deren 
Konsum, die stehen hingegen ganz eindeutig der "hohen Realrendite" 
entgegen, von der attac schwaermt:
"Geld gibt es nach mehr als 50 Jahren ununterbrochenem 
Wirtschaftswachstum in Huelle und Fuelle. Es ist unfair und fuer die 
Volkswirtschaft schaedlich, dass sich dieser Reichtum in wenigen 
Haenden konzentriert (10 Prozent besitzen in Oesterreich zwei Drittel 
des gesamten Vermoegens). Es wird nicht fuer Investitionen und Konsum 
ausgegeben, was die Beschaeftigung erhoehen wuerde. Statt dessen wird 
es auf die Finanzmaerkte geleitet, wo es nach hohen Renditen sucht und 
tendenziell zu Instabilitaeten, weniger Investitionen und weniger 
Beschaeftigung fuehrt. Eine oekonomisch sinnvolle und sozial gerechte 
Finanz-, Geld- und Steuerpolitik sollte daher fuer Umverteilung von 
oben nach unten, flaechendeckend guenstige Kredite, hohe Realrenditen 
und -einkommen und niedrige Finanzrenditen sorgen." (attac, 
Forderungen zum Thema "Finanzmaerkte")
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Da enteignet sich die Bourgeoisie in gigantischem Ausmass gerade 
selbst, muss vom Staat aufgefangen werden - und was faellt der 
bekannten Kapitalismuskritikerin Sarah Wagenknecht ein? "Ein 
schluessiges Gegenkonzept zum Kapitalismus gibt es nicht"; laut 
SPIEGEL, 11.5.09. Ja dann! Der Kapitalismus mag Scheisse sein, aber 
was wuerden wir ohne ihn bloss machen? Wenn der Kapitalismus sich 
selbst an die Wand faehrt, geht damit doch die einzige Wirtschaft 
kaputt, die es gibt! Einer von der franzoesischen LCR entdeckt, dass 
Lohnabhaengige ohne ein flottes (Finanz)Kapital ganz schoen 
aufgeschmissen sind: "Auf kurze Sicht haben die Lohnabhaengigen von 
einem Zusammenbruch des Finanzsystems nichts zu gewinnen, denn das 
wuerde das Ende des Kredits bedeuten. Und das Ende des Kredits 
bedeutet die Unmoeglichkeit, die realen Aktivitaeten der Produktion 
von Guetern und von Dienstleistungen zu finanzieren ... Es gibt daher 
keinen prinzipiellen Grund, sich der Rettung der Banken zu 
widersetzen" - so der revolutionaere Kommunist Durand in der "Jungen 
Welt", 29.10.08. Nun, auch auf lange Sicht haben alle 
Lohn-Abhaengigen, die es unbedingt bleiben wollen, von einem 
Zusammenbruch des Finanzsystems nichts zu gewinnen - die Frage ist 
doch, was haben sie von einem auf ihre Kosten funktionierenden und von 
einem auf ihre Kosten geretteten Kapitalismus zu erwarten!
Aber nachdem die normalen Leute nun einmal zu ihrem Schaden vom 
Kapital abhaengen und Alternativen einfach nicht angeboten werden, 
dann folgt daraus offenbar, dass immerhin der Kapitalismus die 
adaequate Alternative zu sich selbst sein muss! Indem das Kapital mit 
seiner "Logik" seine globalen "Handlungsspielraeume" nutzt, erzeugt es 
sehr unterschiedliche "Welten", das muss gerade von Linken endlich mal 
betont werden. Keiner braucht am Kapitalismus grundsaetzlich zu 
verzweifeln! Mitten im Kapitalismus ist ein anderer Kapitalismus 
moeglich, den es sogar schon gibt:
"Auch im Kapitalismus gibt es Handlungsspielraeume ... Auf die Ursachen 
und wirklichen Hintergruende der Misere hinzuweisen bedeutet fuer 
Linke und MarxistInnen zugleich, aufzuzeigen, dass selbst innerhalb 
der kapitalistischen Logik unterschiedliche Lebenswelten fuer 
Milliarden Menschen auf dem Globus machbar sind. Zwischen den 
arbeits-, sozial- und pensionsrechtlichen Systemen der USA, der 
skandinavischen Laendern oder z.B. Oesterreich bestehen riesengrosse 
Unterschiede ... Zwischen der Situation in europaeischen Staaten und der 
Situation in 'Dritte-Welt-Laendern' klaffen, obwohl in allen Laendern 
die kapitalistische Logik (in erster bzw. letzter Instanz) letztlich 
bestimmend ist, Welten." (KPOe-Bundesausschuss zu "Boersencrash, 
Finanzmarktkrise und die Folgen", November 08)
Das "Argument" kennt jeder, der sich mal ueber Schoenheiten des 
europaeischen Kapitalismus beschwert hat: Man moege froh und dankbar 
sein, weil es hier nicht so zugeht wie in den Hungerlaendern im 
Sueden - und deswegen die Schnauze halten! Auch von links kann so der 
Kapitalismus gewuerdigt werden, wie man sieht. Die Pleitewelle geht 
also weiter: Nach dem Finanzdebakel und dem Einbruch der 
"Realwirtschaft" ist der ideologische Bankrott dieser "marxistischen" 
Linken zu bilanzieren.
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