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akin-Pressedienst.
Aussendungszeitpunkt: Mittwoch, 16. September 2009; 02:27
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Glossen:

> Erlebnis im Autobus

Dinge gibts, die sind kaum vorstellbar. Doch sie passieren
tatsaechlich. Etwa am Freitag, den 11. September im 5A der Wiener
Linien. Am Friedrich-Engels-Platz steigt ein alter Mann ein, etwa
einen Kopf groesser als ich, aber schon etwas schwaecher auf den
Beinen. Er setzt sich nicht auf einen der zahlreichen freien
Sitzplaetze, steht auch nicht direkt beim vorderen Ausgang, sondern
schraeg hinter dem ersten Sitz hinter diesem Einstieg - vor ihm stand
niemand. Im Nachhinein mag man sich fragen, ob die sonderbare Wahl des
eigentlich recht unbequemen Standortes vielleicht schon vorsaetzlich
war. Warum stellt man sich, die naechste Station wieder aussteigen
wollend, nicht gleich zur Tuer? Ich habe das aber nicht weiter
beachtet. Doch kurz nachdem der Bus losfuhr, erregte er die
Aufmerksamkeit aller Fahrgaeste. Mit den Worten "wirst du gefaelligst
aufhoeren" schlaegt er grundlos auf eine Frau suedlaendischer
Herkunft, die auf dem Sitz hinter der Tuer sitzt, ein. Nicht einmal,
sondern andauernd. Die Leute im Bus schauen gekuenstelt weg oder
einfach zu. Ich stehe zu der Zeit, mit Baby in der Trage am Bauch
neben dem Kinderwagen im Kinderwagenbereich. Ich zoegere nicht lange,
renne nach vorne, stelle den Typen zur Rede. Der regt sich auf, die
Frau habe sich mit der Zeitung Luft zugefaechelt und ihren Mief im
ganzen Bus verteilt. Das koenne sie daheim in Asien machen, aber nicht
"hier". Er selbst verstroemte uebrigens den lieblichen Duft alter
Maenner, die gepflegte junge Dame, auf die er soeben eingeschlagen
hatte, konnte das mit Sicherheit nicht toppen ...

Dass er sich ja woanders hinstellen koenne, wenn ihm was nicht passe,
haette ich sagen koennen, und seinen eigenen Koerpergeruch ansprechen.
Und dass es auch nicht zu den "hier" ueblichen Umgangsformen gehoere,
auf Leute einzuschlagen, sondern man seine Wuensche auch in Form einer
Bitte hoeflich artikulieren koenne. Doch bei derartigen Menschen sehe
ich rot. Dass wir hier keine Rassisten braeuchten und er sich
schleichen solle, sprudelte tatsaechlich aus mir heraus.

Die Reaktionen waren folgenschwer. Der Alte blitze mich mit Augen an,
die toeten haetten wollen. Er ballte die Faust zum Schlag. Ich bekam
Angst vor der eigenen Courage -- schliesslich war unser kaum 7 Monate
alter Serafim zwischen ihm und mir. War es das Baby oder doch soetwas
wie ein Hauch von Vernunft -- er besann sich eines Besseren.
Schliesslich haette ich ihn bei seiner koerperlichen Verfassung --
obgleich voellig unsportlich und nur mit den allernotwendigsten
Muskeln ausgestattet -- mit einer Hand umhauen koennen. Ein Baby
ernsthaft zu verletzen haette er wohl auch nicht geschafft, aber ich
moechte auch weniger ernsthafte Schlaege nicht -- ob auf Babys,
"Auslaender" oder Pensionisten.

Doch das war nicht alles. Eine Pensionistin regt sich auch auf. Ueber
mich. Weil die Auslaender erlauben sich ja schon allerhand. Was das
"Allerhand" auch sein moege, hier gabs nur einen abgehalfterten
Schlaegertypen, und der war offensichtlich Inlaender. Nein,
Argumentieren hilft gegen Dummheit nicht. Schimpfen befreit
wenigstens.

Der Rest der Businsassen bleibt stumm, inklusive Fahrer, dem das alles
auch vor der Roten Ampel nichts anging. Schliesslich ist er ja Fahrer,
nicht Security, und wenn in seinem Bus Leute verpruegelt werden, ist
das nicht sein Bier.

Handelskai. Endlich! Ich muss aussteigen. Der alte Schlaeger
ebenfalls. Noch auf dem Markt ruft er mir mehrmals nach: "Und sowas
muessma erhalten!" Irgendwann wird mir das zu viel. Ich dreh mich
um -- dass er gar niemanden mehr erhaelt, sondern wir ihn, hab ich ihm
noch gesagt. Und dass ich ihn auch lieber nicht erhalten moechtert,
wenn ich mir's aussuchen koennt. Eine junge Frau, die auch im Bus war,
sagt mir, ich soll doch den armen alten Mann in Ruh' lassen. Tja,
wahrlich, das arme Wuerstel, alt und gebrechlich, kann aber noch
zuschlagen. Sind solche Kommentare eigentlich Dummheit, oder sind sie
offene Zustimmung zu rassistischen Gewalttaten?
*Gregor Dietrich*


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