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  akin-Pressedienst.
  Aussendungszeitpunkt: Dienstag, 8. September 2009; 01:32
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  Demo/Reportage:
  
  > Klerikales Rollkommando
  
  Radikale Abtreibungsgegner draengen in den oeffentlichen Raum.
  Ermutigt von einem Brief Christoph Schoenborns an Wiens Buergermeister
  Michael Haeupl (SPOe) haben sie zu einer Demonstration aufgerufen, in
  der sie ein Ende der Fristenloesung fordern. Linke Parteien,
  Frauenrechtsorganisationen und Humanisten haben mit zwei
  Gegendemonstrationen gekontert. 
  Viktor Englisch war dabei.
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  Eine Frau bruellt durchs Megafon. Ueber die Polizeiabsperrung hinweg
  beschimpft sie Stadtraetin Sonja Wehsely und Frauenministerin Gabriele
  Heinisch-Hosek (beide SPOe), die in den Rathauskeller gehen wollen.
  Die Politikerinnen ehren die Mitarbeiterinnen von "pro woman". 30
  Jahre ist die Klinik am Fleischmarkt alt, sie steht wie keine andere
  Einrichtung fuer die Fristenloesung. Die Ehrung hat die Fundis auf die
  Strasse getrieben. "Eine solche Veranstaltung darf nie wieder
  stattfinden", sagt Rudolf Gehring, Obmann der "Christen", die zur
  Demonstration aufgerufen haben. "Toetung Unschuldiger" ist das
  harmloseste, was seine Anhaenger an Schmaehungen fuer die
  Politikerinnen bereit haben. Es steigert sich zur Mordanklage, e-Mails
  und Internetartikel sprechen vom "Babycaust", "Genozid am eigenen
  Volk", ziehen andere NS-Vergleiche oder sehen gar "Dachau-Rauch vor
  dem Wiener Rathaus".
  
  "Jetzt bekommen die von der SPOe endlich mit, was die Frauen
  durchmachen, die in das Ambulatorium gehen", raunt eine Aktivistin der
  Sozialistischen Linkspartei (SLP), die die Szene beobachtet.
  "Vielleicht gibt's jetzt mehr Druck fuer Schutzzonen".
  
  Seit gut zehn Jahren betreiben vor der Klinik so genannte Freibeter,
  meist von Human Life International (HLI), Psychoterror. Frauen, die
  zur Klinik wollen, werden angestarrt, manchmal haelt man ihnen
  Plastikfoeten vors Gesicht, manchmal ein Kreuz. Gelegentlich gibt es
  Beschimpfungen. Im Fundus sind Horrorbilder, die angeblich
  abgetriebene Embryonen zeigen. Die Betroffenen fuehlen sich von der
  von HLI als Dauerdemonstration oder Dauermahnwache bezeichneten
  Praesenz der Fundis eingeschuechtert. In Wien gibt es zwar
  mittlerweile ein Landesgesetz, das Abtreibungskliniken schuetzen soll,
  doch dies nur selten konsequent angewandt. Weist man die Fundis weg,
  wenn Patientinnen belaestigt werden, sind sie nach einer halben Stunde
  wieder da. In anderen Bundeslaendern existiert nicht einmal diese
  Moeglichkeit.
  
  Die SPOe-kritische Aussage ist symptomatisch fuer die Demonstrantinnen
  und Demonstranten, die heute gegen die Fundis auf die Strasse gegangen
  sind. Zu einer gemeinsamen Protestaktion hat man sich nicht
  durchringen koennen. SJ, Gruene, KPOe, diverse
  Frauenrechtsorganisationen, Aerztinnen und Aerzte, Freidenkerbund, die
  Allianz fuer Humanismus und Atheismus (AHA) und die
  Arbeitsgemeinschaft AtheistInnen und AgnostikerInnen fuer ein
  saekulares Oesterreich haben zu einer Demo aufgerufen. Die SPOe-Frauen
  zu einer zweiten. Verhandlungen um eine Zusammenlegung scheiterten.
  Aus unterschiedlichen Zugangsweisen und aus Zeitdruck. Am
  Dienstagnachmittag wurde bekannt, dass die Fundis vor dem Rathaus
  aufmarschieren wollen. Bis Donnerstag mussten die Gegenveranstaltungen
  stehen.
  
  Bei der Demo von SJ und Gruenen faellt die Kritik an der Wiener
  Sozialdemokratie heftig aus. Aus Sicht von Sigrid Pilz von Wiener
  Gruenen traegt die SPOe Mitschuld am taeglichen Psychoterror vor dem
  Fleischmarkt und anderen Einrichtungen, wo Schwangerschaftsabbrueche
  durchgefuehrt werden. "Wenn die SPOe endlich Abtreibung in allen
  oeffentlichen Spitaelern ermoeglichen wuerde, wuerde das den
  Abtreibungsgegnern den Boden fuer ihre erpresserischen Aktionen
  entziehen". In einem oeffentlichen Spital liessen sich schwer jene
  Frauen herauspicken, die dort einen Schwangerschaftsabbruch vornehmen
  lassen. Applaus von den gut 250 Teilnehmerinnen und Teilnehmern. Viele
  auch von der SJ, wie die in rot gehaltenen Schilde und die Fahnen
  dokumentieren. Auch Heidi Ambrosch von der KPOe spart nicht mit Kritik
  an der Sozialdemokratie. Die Fristenloesung, in der ein
  Schwangerschaftsabbruch innerhalb der ersten drei Monate nur straffrei
  gestellt aber immer noch verboten ist, ist fuer sie "ein Kniefall vor
  der Kirche". Die SPOe habe in der Alleinregierung 1975 nicht den Mut
  gehabt, mehr durchzusetzen. "Das ist eine taegliche Kriminalisierung
  von Frauen".
  
  Aehnlich der Tenor der Aussagen von Mona Vana, der Frauensprecherin
  der Wiener Gruenen, die die Demo organisiert hat. Es sei bezeichnend,
  dass die Feier fuer "pro woman" vom ersten Stock des Rathauses in den
  Rathauskeller verlegt worden sei. "Die Frauen werden sozusagen
  symbolisch in den Keller verbannt."Auch die Sprecherinnen von
  Frauenrechtsorganisationen sparen selten mit Kritik an der SPOe. Es
  gibt Momente, in denen man sich fragt, gegen wen hier demonstriert
  wird.
  
  Es bleibt Magdalena Schrott vom VSSTOe ueberlassen, an den gemeinsamen
  Gegner zu erinnern: Die langsam groesser werdende Demo der Fundis vor
  dem Rathaus. Zu sehen sind vor hier aus nur die riesigen Transparente
  der Fundis. "Wir duerfen uns als Linke nicht auseinanderdividieren
  lassen. Die Staerke der Konservativen gegen uns ist ihre Einigkeit".
  Ihre Kritik an den Fundis und der OeVP faellt heftig aus. Die
  Schwarzen hatten zuletzt Auflagen fuer die Fristenloesung gefordert.
  "Es geht nie um die betroffenen Frauen. Es geht immer nur um die
  Moralvorstellungen, die die Kirche den anderen aufzwingen will".
  Wenige Meter daneben steht eine junge Aktivistin der SJ mit einem
  Schild: "Kirche raus aus den Gebaermuettern".
  
  Inzwischen ist die Fundi-Demo gewachsen. Zwischen 50 und 70 Menschen
  haben "Die Christen" und HLI auf die Strasse gebracht. Die
  Transparente und ein aufblasbarer Foetus lassen sie zahlreicher
  aussehen als sie sind. Fotografen, Kameraleute, Journalisten tragen
  das ihre bei. Auf die ueblichen Schauerfotos wird nicht verzichtet.
  Ebensowenig auf den obligatorischen NS-Vergleich. "30 Jahre Holocaust
  am Fleischmarkt". Die Demonstranten sind das, was man Soehne und
  Toechter aus gutem Haus nennt. Teure Kleider und Anzuege, klassische
  Eleganz, leicht rustikal angehaucht. CV-Familien und sicher einige,
  die sich auch 91 Jahre nach dem Ende der Monarchie fuer adelig halten.
  Dazwischen eine Nonne, mehrere katholische Pfarrer, einige
  Pensionisten. Ein Foto im "Standard" zeigt
  BZOe-Nationalratsabgeordneten Ewald Stadler. Auch der Jugendsprecher
  der FPOe Simmering wird bei den Fundis gesehen. Dazu die Aktivistinnen
  und Aktivisten von Human Life International (HLI), das Rueckgrat der
  Strassenpraesenz der Abtreibungsgegner in Oesterreich. Private
  Securities bewachen die Demo.
  
  Auch wenn von den 350 Teilnehmern, die Gehring gesehen haben will,
  keine Spur ist: Die Fundis haben ihr Mobilisierungspotential genutzt.
  Der offene Brief von Christoph Schoenborn an Buergermeister Haeupl hat
  ihnen Auftrieb gegeben. In dem Schreiben fordert der Kardinal, dass
  die Feier fuer "pro woman" abgesagt wird und spricht diplomatisch
  davon, dass es offenbar "keinen Konsens fuer den Schutz des Lebens"
  gebe. Zu der Forderung, die Fristenloesung abzuschaffen, kann er sich
  nicht durchringen. Das besorgt Weihbischof Andreas Laun aus Salzburg,
  seit Jahren HLI und gleichgesinnten Organisationen verbunden. In einer
  Messe fuer dem Demonstrationsteilnehmer in der Karlskirche fordert er
  offen ein Aus fuer die Fristenloesung. Frauen, die sich aus welcher
  Notlage heraus auch immer gegen eine Schwangerschaft entscheiden,
  sollen nach seinen Vorstellungen wieder ins Gefaengnis muessen. Bei
  den "Christen" eine mehrheitsfaehige Position. Kardinal Schoenborn
  sind diese Aussagen zu wenig diplomatisch. Er verbietet dem Salzburger
  Verbalrabauken, an der Demo teilzunehmen. Wofuer sich Laun in seiner
  Predigt raecht. Im Stil herrscht Uneinigkeit in der Kirchenhierarchie
  und im konservativen Lager. In der Sache weniger, wie auch eine
  Presseaussendung des CV beweist. Aehnlich wie in Schoenborns Brief
  beschraenkt man sich darauf, "flankierende Massnahmen" zu fordern.
  Laesst man die Diplomatie weg, ist die Aussage klar: Wenn schon
  Zustaende wie vor 1975 politisch unmittelbar nicht durchgesetzt werden
  koennen, will man es Frauen so schwer wie moeglich machen, einen
  Schwangerschaftsabbruch durchzufuehren. So deutlich wie in den
  vergangenen Wochen ist das in Oesterreich schon lange nicht formuliert
  worden. Und dass radikale Abtreibungsgegner amtierende Politikerinnen
  und Politiker oeffentlich persoenlich angreifen, ist eine neue
  Entwicklung. Holocaust-Vergleiche, die direkt auf Menschen wie Haeupl
  gemuenzt sind, hat man bisher nur zu hoeren bekommen, wenn sich die
  Fundis unter ihresgleichen waehnten.
  
  In der SPOe zeigt man sich diesen Entwicklungen zum Trotz
  optimistisch, dass die Abtreibungsgegner egal welcher Radikalitaet
  nichts ausrichten koennen. "Die Fristenloesung kann uns niemand mehr
  nehmen", zeigt sich die ehemalige Frauenministerin Johanna Dohnal bei
  der Demo der SPOe-Frauen ueberzeugt. Dennoch sei es bedauerlich, dass
  man wieder gegen Fundis auf die Strasse muessen. Auch sie hat
  Forderungen an ihre Genossinnen und Genossen: Dass Abtreibungen
  endlich in allen oeffentlichen Spitaelern durchgefuehrt werden und
  dass ein Schwangerschaftsabbruch als medizinische Leistung gesehen
  werden sollte. Punkte, die von den derzeitigen
  Entscheidungstraegerinnen eher nicht angesprochen werden.
  
  In einer zentralen Forderung kommt Dohnals Nachfolgerin Gabriele
  Heinisch-Hosek ihr aber entgegen. "Ich habe Gespraeche mit
  Innenministerin Maria Fekter (OeVP, Anm.) gefuehrt, damit endlich
  Schutzzonen oder Bannmeilen vor den Einrichtungen eingerichtet werden,
  in denen Abtreibungen durchgefuehrt werden", sagt die kaempferisch
  auftretende Ministerin vor den gut 500 Demonstrationsteilnehmerinnen-
  und teilnehmern. Der Terror vor den Kliniken muesse ein Ende haben.
  Der Applaus ist heftig. Auch der derer, die kurz davor auf der Demo
  von SJ und Gruenen waren. In diesem Punkt herrscht Einigkeit unter den
  linken und liberalen Kraeften in Oesterreich. Bleibt abzuwarten, ob
  sich Heinisch-Hosek mit ihrem Vorstoss durchsetzt. Nicht nur viele der
  Demonstrantinnen und Demonstranten gegen die Fundis wuerden das als
  Fortschritt empfingen. Auch die Frauen, die etwa am Fleischmarkt Tag
  fuer Tag an den Abtreibungsgegnern vorbeimuessen. ###
  
  Bilder von den Demos:
  http://picasaweb.google.at/chrisbaumgarten30/Demos3909
  
  
  
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