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akin-Pressedienst.
Aussendungszeitpunkt: Dienstag, 23. Juni 2009; 16:13
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Wien/Kinderbetreuung:
> Gratis ist ganz schoen teuer
Elternverwaltete Kinder-Gruppen wurden in jahrelanger Kleinarbeit 
aufgebaut. Durch die sozialdemokratische Massnahme 
«Gratiskindergarten» mutieren sie nun zur Einrichtung fuer 
Besserverdienende.
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Emil ist vier Jahre alt. Seit eineinhalb Jahren besucht er eine 
Kindergruppe im zweiten Wiener Gemeindebezirk. Er fuehlt sich dort 
sehr wohl, weswegen seine Eltern auch in Kauf nahmen, dass sie dafuer 
40 Euro monatlich bezahlen. 276 Euro hat die Magistratsabteilung 10 
zugeschossen, das ist der Hoechstbeitrag, den finanziell schwaechere 
Familien bislang fuer den Kindergarten beantragen konnten. Emils 
Eltern nahmen auch in Kauf, dass sie regelmaessig fuer die Kinder 
kochen und putzen, bei Reparatur- und Renovierungsarbeiten helfen, 
organisieren, besprechen und Elterndienste machen mussten. Insgesamt 
sind das etwa 10 bis 15 Stunden Gratisarbeit pro Monat. 
«Elternorganisiert» bedeutet nun mal mitarbeiten.
Durch diese Mitarbeit kann die Kindergruppe Kosten sparen, was 
wiederum die kleine Gruppengroesse moeglich macht. «So kann ein 
europaweit empfohlener Betreuungsschluessel umgesetzt werden», meint 
Barbara Turin vom Verein elternverwalteter Kindergruppen, «naemlich 
dass ein Betreuer nicht mehr als acht 3- bis 6-jaehrige Kinder 
betreuen sollte.» 14 Kinder duerfen maximal in einer Kindergruppe 
betreut werden, meist sind zwei Betreuerinnen bei den Kindern.
Jahrzehntelange Pionierarbeit
In den 70er Jahren entstanden im Amerlinghaus und im Kinderladen 
Huetteldorf die ersten Kindergruppen. Waehrend man im traditionellen 
Erziehungssystem davon ausgeht, dass ein Kind ein zu erziehendes Wesen 
ist, wird in der Kindergruppe die Kindheit als eine wichtige und 
gleichwertige Lebensphase wahrgenommen. Basis jeder Kindergruppe 
bildet die Gleichberechtigung zwischen Eltern, Betreuerinnen und 
Kindern, die enge Zusammenarbeit ohne Hierarchie und der rege 
Austausch zwischen allen Beteiligten unter Beruecksichtigung 
basisdemokratischer Prinzipien.
Die Arbeit wird geteilt, aber auch die Verantwortung. Liest man im 
Kindergruppenbuch ueber die Anfangszeit nach, klingt das nach viel 
Freude, aber auch nach anstrengender Aufbauarbeit. In den letzten 35 
Jahren konnten sich die Kindergruppen von Generation zu Generation 
professionalisieren. Man konnte Grundwissen weitergeben, bereits 
gemachte Fehler vermeiden, und 1992 schloss man sich schliesslich im 
Verein elternverwalteter Kindergruppen zusammen, der heute 37 Gruppen 
mit insgesamt 500 Kindern vertritt. Die Kindergruppen sind auch mit 
dem Anspruch sozialer Gleichheit gegruendet worden. Doch genau dieser 
Punkt ist aufgrund der Plaene der sozialdemokratischen Stadtregierung 
nun gefaehrdet.
Die Grossen gratis machen, die Kleinen kaputt sparen
Denn was Buergermeister Haeupl seit einigen Monaten als 
Gratiskindergarten bewirbt, bedeutet fuer Emils Eltern, dass sie ab 
Herbst statt bisher 40 Euro etwa 140 Euro zahlen muessen. Den 
«Gratiskindergarten» werden nur die grossen Traeger anbieten koennen, 
wie etwa die parteinahen Kinderfreunde (SPOe) oder die 
KiWi-Kindergaerten (OeVP), denn sie bekommen monatlich eine Pauschale 
von 1500 Euro pro Gruppe, waehrend kleine Anbieter, wie die 
Kindergruppen, sich mit einem Drittel davon, naemlich 500 Euro 
zufrieden geben sollten. Die Sprecherin des
zustaendigen Stadtrats Oxonitsch begruendete dies mit den hohen Kosten 
fuer Controlling und Personalvertretung, die grosse Traeger haetten.
«Nicht nachvollziehbar», meint Barbara Turin vom Verein Wiener 
elternorganisierter Kindergruppen, «denn warum sollte jemand, der 
viele Gruppen verwaltet, gleich dreimal so hohe Verwaltungskosten pro 
Gruppe haben wie jemand, der nur eine Gruppe verwaltet? Der grosse 
Traeger kann ja zentral verwalten, was bekanntlich Kosten spart.»
Kindergruppe als Luxusangebot?
Ein Kinderbetreuungsplatz in Wien kostet im Durchschnitt zwischen 500 
und 900 Euro, ein Platz im staedtischen Kindergarten kostet den 
Steuerzahler laut «Presse» vom 5.4.2009 sogar bis zu 1000 Euro pro 
Kind und Monat. Vom Buero Oxonitsch wurde diese Zahl als unserioes 
bezeichnet, eine serioese Zahl konnte der Redaktion aber nicht genannt 
werden. Ein Platz in der Kindergruppe kostet jedenfalls nur ca. 510 
Euro pro Monat. Trotzdem wird den Kindergruppen mitgeteilt, dass sie 
zu teuer sind, und Mitarbeiterinnen der MA 10 rechnen Kassieren und 
Obleuten der Kindergruppen bereits vor, wie sie ihre Kosten weiters 
minimieren und ebenfalls «gratis» werden koennen: Streichung der 
Supervision, Verringerung der Betreuungsstunden, Kuendigung von 
Betreuerinnen.
Doch selbst dann, wenn Kindergruppen kuerzen, streichen und einsparen, 
geht sich ein Gratisangebot nur fuer wenige Gruppen aus, und das, 
wofuer man laut Stadtverwaltung zahlen muesste, naemlich fuer den 
guten Betreuungsschluessel, ist bereits dem Sparstift zum Opfer 
gefallen. Auch die Interessensvertretung der elternverwalteten 
Kindergruppen ist in Gefahr. Bislang hat sie die Foerdergelder 
verteilt, bei Problemen geholfen und die Kindergruppen nach aussen 
vertreten. Ab Herbst wird alles anders, denn dann muessen die 
Kindergruppen Vertraege mit der Magistratsabteilung 10 unterschreiben, 
deren Inhalte natuerlich auch die MA 10 diktiert.
Im Gleichschritt
Warum werden also nur die grossen, staedtischen, parteinahen und 
kirchlichen Kindergaerten adaequat gefoerdert und kleine 
gemeinnuetzige Traeger wie etwa auch Waldorf- und 
Montessorieinrichtungen benachteiligt? «Die Alternativen waren der 
Stadtverwaltung schon immer suspekt», meint etwa Maren, Mutter eines 
ehemaligen Kindergruppenkindes, »denn sie zeigen ja auch, wie man hohe 
Qualitaet zu geringen Kosten anbieten kann und stellen somit das 
gaengige System in Frage. Die Stadt Wien will wohl auch, dass alle 
Kinder im Gleichschritt gehen: in staedtischen Einrichtungen, zentral 
organisiert und kontrolliert.» Und Martin, Vater eines 
Kindergruppenkindes regt an, mal auszurechnen, was sich die 
Volkswirtschaft durch die Kindergruppen erspart: «Krankenkassenkosten 
aufgrund der biologischen Ernaehrung, Psychologinnenkosten aufgrund 
der Paedagogik, Arbeitslosenversicherungskosten aufgrund der geringen 
Betreuerlnnenfluktation. Gleichzeitig gehen aus den Kindergruppen auch 
verantwortungsbewusstere Menschen hervor, aber das ist ja wohl etwas, 
was unsere Politiker nicht so gerne sehen...»
(Ulli Gladik in Augustin Nr.255)
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Weitere Info zum Thema:
Buero des Vereines der Wr. elternverwalteten Kindergruppen
http://www.wiener.kindergruppen.at
Hofmuehlgasse 2/7
1060 Wien
fon: 01/585 72 44
fax: 01/585 72 44-9
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