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akin-Pressedienst.
Aussendungszeitpunkt: Dienstag, 16. Juni 2009; 17:49
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Glosse:

> "Eine gefaehrliche Illusion"

Autoritaetsglaeubig statt liberal, auslaenderfeindlich statt
weltoffen -- so wird die oestereichische Bevoelkerung gerne gesehen.
Die aktuelle Europaeische Wertestudie behauptet, dass diese
Einstellungen sich verschaerft haetten. So war 2008 beispielsweise der
Schutz der Meinungsfreiheit nur mehr 31% der OestereicherInnen ein
wichtiges Anliegen -- 1999 waren es noch 63%.
*

Nach der Studie zum Wertewandel der Oesterreicher/innen ist der
Aufschrei wegen ruecklaeufiger Zustimmung zur Oesterreichischen
Demokratie mehr als berechtigt. Aber woraus besteht diese
"Oesterreichische Demokratie" eigentlich?

Ist es nicht eine Tatsache, dass Verfassungen in Oesterreich bisher
weder von einem gewaehlten Konvent erarbeitet, noch einer
Volksabstimmung unterzogen wurden? Haben nicht alle Parteien den
Souveraen - die Wahlberechtigten - unter Missachtung des
Bundesverfassungsgesetzes (Art.1) als politisch unerfahren und
unzuverlaessig zu marginalisieren versucht?

Nicht dass dieses Misstrauen eine oesterreichische Erfindung waere;
schon die "Gruendervaeter der USA" haben sich deutlich gegen eine
Demokratie ausgesprochen und vor dem "Mob" gewarnt (z.B. James
Madison: "Had every Athenian citizen been a Socrates, every Athenian
assembly would still have been a mob"). Da war allerdings noch nicht
bekannt, dass sich Repraesentanten im Parlament auch fuer die
Einfuehrung totalitaerer System entscheiden wuerden (Sowjetunion,
Deutschland 1933, Oesterreich 1934) - und zwar ohne das Volk nach
seiner Meinung zu fragen.

Spitzen der oesterreichischen Parteienlandschaft pflegten und pflegen
sich selbst als "natuerliche Aristokratie" (Thomas Jefferson) zu
sehen, den Souveraen aber als laestiges, wenn auch fuer Wahlen
notwendiges Uebel. Kurz und praegnant war das auf einem Wahlplakat
1999 zu lesen: "Auf den Kanzler kommt es an" - also NICHT auf den
Souveraen.

Klar formuliert von Erhard Busek: "Die Menschen muessen nun zur
Kenntnis nehmen, dass viele Entscheidungen auf weit hoeherer Ebene
getroffen werden und sie letztlich darauf gar keinen Einfluss haben."
Denn: "Staendig auf Menschenrechte und Demokratie zu verweisen, greift
zu kurz; ..." Daher, so Wolfgang Schuessel: "In der Demokratie ist
Fuehrung gefragt, die zu uebernehmen ist." Und: "Demokratie heisst
hinhoeren und die Menschen einstimmen auf das, was notwendig ist." Was
folglich Not tut ist ein "demokratisch legitimierter Caesar" (Ursula
Stenzl ueber Berlusconi) und Lob fuer Diktatoren der Vergangenheit:
"Dollfuss ... war ein oesterreichischer Patriot mit makelloser
demokratischer Vergangenheit, ein ueberzeugter Katholik und voll des
besten Willens." (Josef Klaus)

Aus der behaupteten Unfaehigkeit des Souveraens zur Politik (Josef. A.
Schumpeter) folgert Andreas Khol: "Volksabstimmungen, wie andere
Mittel der direkten Demokratie werden zu Recht selten genutzt." Und
wird von Christoph Chorherr bestaetigt: "Ich halte Basisdemokratie
fuer eine gefaehrliche Illusion, die zwangslaeufig zu Hinterzimmern
und Intransparenz fuehrt." Ausserdem, so Josef Cap: "Ich sehe nicht
Millionen demokratiegeiler Buerger, die sich nach der Arbeit noch
engagieren wollen."

Allerdings ist dem Souveraen zwischenzeitlich klar geworden, wer warum
in Hinterzimmern Intransparenz pflegt. Denn es gibt "..keine Garantie
dafuer, dass das Volk duemmer ist, als seine Ministerialraete und
seine Abgeordneten" (Roman Herzog). Max Weber hat ausdruecklich darauf
hingewiesen, dass man "..sicherlich selbst kein Schuster sein [muss],
um zu wissen, ob der Schuh drueckt, den der Schuster hergestellt hat."

Allerdings haben diese Einsichten bisher zu keinem Umdenken der
Berufspolitiker/innen gefuehrt. "Eine Regierung ist nicht der Ausdruck
des Volkswillens, sondern der Ausdruck dessen, was ein Volk ertraegt"
(Kurt Tucholsky). Oder, wie auf einem anonymen Plakat zu lesen war:
"Die, die wir gewaehlt haben, haben keine Macht. Und die, die Macht
haben, haben wir nicht gewaehlt."

Wen wundert also der Verdruss des Souveraens, der staendig mit dem
Spruch "Haende falten, Goschen halten" (Ferdinand Maier) bedacht wird?
*Dietmar Koehler*

*
Bericht ueber die Studie: http://derstandard.at/1244460578904



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