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akin-Pressedienst.
Aussendungszeitpunkt: Dienstag, 26. Mai 2009; 17:41
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Glosse:
> Diese Basisdemokraten
Die Homepage laesst einen auf den ersten Blick etwas staunen: Auf 
gruenevorwahlen.at werden "VorwaehlerInnen" fuer die Kandidatur der 
Gruenen bei der Wiener Gemeinderatswahl gesammelt. Ist das -- ganz 
nach US-amerikanischem Vorbild -- ein neuer Gag von Christoph 
Chorherr? Wohl nicht, denn auf der Site heisst es: "Unsere 
Gemeinderaete und Parlamente sind voll von an uns Waehlerinnen und 
Waehlern vorbeigeschummelten Abgeordneten. Wer sind diese Leute 
eigentlich? Und wofuer stehen die ueberhaupt? Wir wollen mitbestimmen, 
wer uns vertreten wird und rufen fuer die Wiener Wahl 2010 Gruene 
Vorwahlen aus."
Also quasi eine Initiative von unten? Da wollen Leute fuer die 
Landesversammlung der Wiener Gruenen am 15. November mobilisieren. Wie 
geht das? Die Grundlage bildet das Statut der Wiener Partei, der 
Jedermann und Jederfrau gestattet, sofern sie sich -- eher schwammig 
formuliert -- zu den Zielen der Gruenen bekennt, bei 
Landesversammlungen mitzustimmen.
Nun sind Mobilisierungen zu gruenen Landesversammlungen ja nichts 
neues, schon in den fruehen Neunzigern wurde zur Kandidatenkuer von 
den einzelnen Bewerbern und ihren Freundeskreisen Menschen angerufen, 
sich doch da zu beteiligen. Nur: Damals waren das doch noch fast alles 
Menschen, die irgendwie in den gruenen und alternativen Dunstkreis 
gehoerten. Und nachdem alle gleichermassen mobilisierten, kam dabei 
doch noch etwas einigermassen Representatives raus.
Aber das jetzt? Wildfremde Menschen, moeglicherweise mit ganz anderen 
Ueberzeugungen und vielleicht sogar Parteizugehoerigkeiten sollen 
bestimmen, wer fuer die Gruenen kandidiert? Man koennte die Frage von 
der Homepage noch einmal genauso bezueglich dieser Site-Initiatoren 
stellen: "Wer sind diese Leute eigentlich? Und wofuer stehen die 
ueberhaupt?"
Tja, ein altes Wort sagt: Wer nach allen Seiten offen ist, ist nicht 
ganz dicht! Hatten die Gruenen auch schon seit laengerem das Problem 
der Profillosigkeit, weil sie so ziemlich alle genommen haben, die nur 
irgendwie sich als "gruen" ansahen und der Bedeutungsinhalt immer mehr 
schwand, so kommt es eben jetzt ganz dicke. Zu befuerchten ist, dass 
jetzt ueberhaupt nur mehr Promis auf den Listen sein werden -- und 
zwar vor allem solche, deren Praesenz im Internet besonders hoch ist. 
Denn diese koennen am Besten ueber diese Internetplattform 
Unterstuetzung requirieren.
Basisdemokratie ist etwas Schoenes. Nur sollte man sich ueberlegen, 
wer denn eigentlich die Basis ist. Informelle Strukturen und 
autoritaere Konzepte, was Wahlkandidaturen und Parteivorsitze nunmal 
sind, passen nicht zueinander. Will man eine Partei mit einigen 
wenigen Vertretern, die in Gremien und vor den Medien eben diese 
Partei repraesentieren, dann muss man sich schon genau fragen, wer da 
eigentlich repraesentiert werden soll. Und dann muss so eine Partei 
auch Mitglieder haben und diese muessen irgendwie so ungefaehr 
wenigstens eine bestimmte politische Richtung vertreten -- sonst kommt 
nur ein Pallawatsch raus.
Aber sowas ist ja nicht unbedingt gruenspezifisch. Man erinnere sich 
an die letzte Nationalratswahl, wo basisdemokratisch von einem Plenum 
abgestimmt worden ist, ob eine LINKE-Liste kandidieren soll. Nur: Zu 
dieser Versammlung kamen natuerlich fast nur Leute, die kandidieren 
wollten -- Angehoerige der linken Szene, die das fuer einen Bloedsinn 
hielten, blieben der Veranstaltung fern. Das Ergebnis der Abstimmung 
ging dann natuerlich aus wie das Hornberger Schiessen: Eine 
ueberwaeltigende Mehrheit war fuer eine Kandidatur! Haette man 
eingeladen mit den Worten: "Wir wollen kandidieren! Wer macht mit?" 
und diese Leute haetten dann ohne Abstimmung einfach versucht, eine 
Kandidatur auf die Beine zu stellen, waere das Ganze ein bisserl 
ehrlicher gewesen. Nur haette man dann nicht so schoen 
basisdemokratisch das Gefuehl gehabt, die gesamte Linke zu 
repraesentieren.
Unser buergerlich-repraesentativ-demokratisches System ist das eine. 
Es verlangt nach klar abgegrenzten Parteien. Informelle Strukturen mit 
ad hoc-Kampfgemeinschaften sind etwas ganz anderes. Eine Partei ist 
eine Partei ist eine Partei, hat einmal einer der Gruendervaeter der 
Gruenen, Guenther Nenning, gesagt. Er hat das zwar damals anders 
gemeint, aber auch was die Frage nach der Basis angeht, hat er damit 
recht gehabt.
Dabei taucht das Problem aber auch im Kleinen auf -- ganz ohne die 
Orientierung an irgendwelchen Wahlen. Vor vielen Jahren gab es sowas 
bekanntermassen auch in unserer Redaktion. Da stand in unserem Statut, 
dass die Anwesenden bei der offenen Redaktionssitzung gemeinsam den 
Inhalt der Zeitung bestimmen -- was ebenso dazu fuehrte, dass 
politische Gruppen, die unbedingt etwas in der akin haben wollten, zu 
unseren Treffen mobilisierten. Da stimmten ploetzlich Menschen, die 
wir noch nie vorher in unserem Buero gesehen hatten, darueber ab, was 
in der akin stehen soll -- und wir haetten das dann als Redaktion 
verantworten sollen. Wir haben daraus gelernt und unsere Statut 
geaendert -- nur wer regelmaessig mitarbeitet, ist seither in der 
Redaktion auch stimmberechtigt.
Wer sich in die Politik begeben will, muss sich im Klaren sein, welche 
Strukturen er moechte -- informelle oder zentralistische? Beide 
koennen fuer bestimmte Aufgaben jeweils sinnvoll sein. Aber beides 
zusammen funktioniert nicht.
*Bernhard Redl*
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