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akin-Pressedienst.
Aussendungszeitpunkt: Dienstag, 19. Mai 2009; 18:23
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Moderne Zeiten/Deutschland/USA:
> Kinderschutz ist immer gut
Wenn Zensurliebhaber auf das Wohl von Kindern und Jugendlichen 
verweisen koennen, glauben sie sich schon im Recht -- wie juengste 
Beispiele aus Deutschland und den USA belegen.
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Das Internet ist boese! Diese Meinung gewinnt in den 
Regierungskanzleien und Parlamenten der westlichen Wertegemeinschaft 
immer mehr Zustimmung. Und so gibt es seit April im deutschen 
Bundestag eine Gesetzesvorlage, die unter anderem nach daenischem 
Vorbild sogenannte "Sperrlisten" einfuehren moechte (siehe auch akin 
7/09). Diese Sperrlisten sollen fuer die Internetprovider 
verpflichtend sein -- Sites, die auf dieser Liste erscheinen, muessen 
von den Providern gesperrt werden. Allerdings sind diese Listen 
geheim -- man will ja keine Werbung fuer eben jene Kinderpornographie 
machen, die angeblich das Ziel dieser Massnahme sind. Nur: Wenn diese 
Listen nicht kontrolliert werden koennen und unter der alleinigen 
Verantwortung der Polizei stehen, kann diese dahineinschreiben, was 
sie will. Das daenische Beispiel machte es vor: Die Liste der 
gesperrten Sites wurde im Internet von nicht autorisierter Seite 
veroeffentlicht, um zu beweisen, dass sich darauf hoechstens 20% 
kinderpornographische Sites fanden -- prompt fand sich der 
Veroeffentlicher dieser Sperrliste auf genau dieser Liste wieder --  
alle, die auf diesen Veroeffentlicher verlinkten, ebenfalls. Einer 
dieser Sitebetreiber (ein Deutscher) hatte sogar sehr bald nach seinem 
Blogeintrag eine Hausdurchsuchung zu gewaertigen. Wegen Foerderung von 
Kinderpornographie.
Die Debatte um den aktuellen deutschen Entwurf schlaegt immer 
groessere Wellen. Eine deutsche Satire-Seite gab sich als "Sperrseite" 
aus. Dort war zu lesen: "Sehr geehrter Gefaehrder, sehr geehrte 
Gefaehrderin. Die Internetseite, die Sie soeben besuchen wollten, ist 
vom Bundesministerium des Innern gesperrt worden und fuer das gemeine 
Volk nicht mehr erreichbar. ... Wir bitten nicht nur um Ihr 
Verstaendnis, sondern auch um demuetigen Dank, denn mit der Sperrung 
der Seite schuetzen wir nicht nur uns und unsere Posten und Tantiemen, 
sondern auch Sie vor gefaehrlichem, grausamem, menschenverachtendem 
Terrorismus (z.B. von Islamisten, Kommunisten oder Kindern)." Der 
deutsche Innenminster fand das nicht lustig und "bat" den Provider, 
doch diese Seite vom Netz zu nehmen -- was dieser auch prompt tat. Die 
Argumentation der Behoerden: Es bestuende Verwechslunggefahr mit einer 
echten Innenministeriumsseite.
Der Schoepfer der Satireseite meinte daraufhin in seinem Blog, ihm sei 
es unverstaendlich, wieso es eigentlich noch neue Gesetze brauche, "um 
unbestreitbar schwerstkriminelle Inhalte unzugaenglich zu machen, wenn 
es ein paar Minuten dauert, harmlose Satireseiten" so prompt vom Netz 
zu nehmen.
Wie schnell man ausgesperrt werden kann, hatte naemlich kuerzlich auch 
die gewaltfrei-anarchistische Zeitschrift "Graswurzelrevolution" (GWR) 
erfahren duerfen. Als Vorwand diente auch hier der Kinderschutz --  
diesmal allerdings nicht via Kindesmissbrauch sondern ueber das 
Schlagwort "jugendgefaehrdend". Denn eine Jugendschutz-Software, die 
an vielen deutschen Schulen installiert ist, stufte die GWR unter der 
Rubrik "Hass / Diskriminierung / politisch extrem" ein. Begruendung: 
Der Verfassungsschutzbericht sehe die GWR ja auch als linksextrem an. 
Nun hat die GWR ein riesiges politisches Netzwerk, kann auf Nachdrucke 
ihrer Texte in Schulbuechern verweisen und bisweilen ganz 
unanarchistisch auch glaubwuerdig mit Gerichten drohen, sodass die 
Einstufung zurueckgenommen wurde. Kleinere Sites haben diese 
Moeglichkeiten unter Umstaenden aber nicht. Und was passiert, wenn der 
deutsche Staat diese Filterung uebernimmt, kann einen nur Gruseln 
bereiten.
USA: "Verursachung erheblichen emotionalen Leides"
In den USA wird jetzt anders gegen jenes Teufelswerk namens Internet 
angegangen, dass zwar die dortigen Militaers erfunden hatten, nun aber 
in die Haende von normalen Mitmenschen geraten ist. Ausloeser dafuer 
ist der Fall Megan Meier -- die Geschichte ging durch die Weltpresse: 
Die 13-jaehrige Megan war durch uebelwollende Nachbarn mittels 
Internet so frustriert worden, dass sie sich das Leben nahm. Die 
Gerichte in Missouri wussten nicht, wie sie dieses 
In-den-Selbstmord-Treiben ahnden sollten -- es gab keine Paragraphen. 
Die Gerichte versuchten es unter anderem mit einem 
Anti-Hacker-Paragraphen, der nun voellig ungeeignet war, und von den 
Geschworenen auch nicht angewandt wurde -- uebrig blieb nur eine 
Verurteilung der Beschuldigten wegen "unauthorisiertem Zugriff" auf 
die entsprechende Internetplattform.
Der Bundesstaat reagierte prompt mittels 
Schnellschuss-Anlassgesetzgebung und verbat, recht vage formuliert, 
dass man per Internet niemanden beleidigen duerfe. Seither sind von 
dort recht eigenartige Gerichtsverfahren dokumentiert, beispielsweise 
Verurteilungen, weil nach dem Ende einer Liebesbeziehung ein Partner 
den anderen per eMail beschimpft hatte.
Dieser Gummiparagraph soll jetzt aber -- geht es nach einer 
kalifornischen Abgeordneten -- US-Bundesrecht werden: "Zwang, 
Einschuechterung, Belaestigung oder Verursachung erheblichen 
emotionalen Leides" via Internet soll unter Strafe gestellt werden.
Tendenzen zu solchen Auswuechsen der Kommunikationseinschraenkung sind 
in den USA schon lange bekannt. Man denke nur an den beruechtigten 
Communication Decency Act (CDA) von 1996, der "anstoessige Inhalte" 
sowohl fuer oeffentliche als auch private Kommunikation via Internet 
verbot.
Allerdings gibt es in den USA immer noch eine Gegenseite. Die pilgerte 
in Einzelfaellen solange zu den hoeheren Gerichten -- zuletzt auch zum 
Bundeshoechstgericht --, dass am Schluss von den beruechtigsten 
Bestimmungen des CDA nicht mehr viel uebrig blieb. Die Gerichte 
befanden die Bestimmungen der Verfassung -- vor allem des 
1.Zusatzartikels ("Freedom of Speech") -- doch weitaus hoeher stehend 
als den CDA.
In den USA mit ihrer starken Buergerrechtsbewegung besteht also noch 
Hoffnung. Ob man das ueber Europa auch sagen kann, bleibt abzuwarten.
*Bernhard Redl*
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