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akin-Pressedienst.
Aussendungszeitpunkt: Dienstag, 19. Mai 2009; 18:27
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Italien:

> Modell zur Fluchtverhinderung

Wie wird man Asylsuchende los? Die rechtsgerichtete Regierung geht
neue Wege.
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Der tuerkische Kapitaen Asik Tuy- gun war mit seinem Containerschiff
Pinar auf dem Weg nach Tunesien, als er am 16. April 2009 von den
maltesischen Behoerden die Anweisung erhaelt, zwei in Seenot geratene
Boote zu retten. Der 36-Jaehrige kommt seiner Pflicht nach, doch dann
beginnt ein viertaegiges Tauziehen zwischen Italien und Malta, wer die
154 Fluechtlinge aus Nordafrika auf- nehmen soll. In dieser Zeit muss
das Schiff in rauer See rund vierzig Kilometer vor der Insel Lampedusa
ausharren. Erst auf oeffentlichen Druck hin gibt schliesslich
Italien - angeblich «aus humanitaeren Gruenden» - nach.

Der Fall Pinar ist nicht der erste dieser Art. Immer wieder retten
Seeleute Bootsfluechtlinge - und muessen danach mit behoerdlichen
Schikanen oder gar mit Kriminalisierung rechnen. Im August i007 retten
zwei tunesische Fischerboote 44 Migrantinnen vor Lampedusa. Sie
bezahlen diesen Akt der Menschlichkeit teuer: seit eineinhalb Jahren
wird ihnen vor einem sizilianischen Gericht der Prozess wegen
Schlepperei und Beihilfe zur illegalen Einreise gemacht. Vor demselben
Gericht stehen auch der ehemalige Leiter des deutschen Komitees Cap
Anamur sowie der Kapitaen und der Erste Offizier des gleichnamigen
Schiffs der Hilfsorganisation. 2004 rettete die Besatzung der «Cap
Anamur» 37 Maenner aus Seenot, doch Italien verweigerte die Einfahrt
in die nationalen Gewaesser. Erst nach 21 Tagen durfte die «Cap
Anamur» in einen sizilianischen Hafen einlaufen. Der Prozess gegen die
drei fuehrenden Besatzungsmitglieder laeuft seit November 2006. Der
Anklagepunkt Beihilfe zur illegalen Einreise wurde inzwischen von der
Staatsanwaltschaft fallen gelassen. Doch den Angeklagten wird
weiterhin vorgeworfen, sie haetten die Fluechtlinge so lange an Bord
behalten, um Medienwirksamkeit zu erreichen und daraus gewinnbringende
Geschaefte fuer den Verein zu erwirken. Die Staatsanwaltschaft fordert
deswegen vier Jahre Haft und Geldstrafen von je 400 000 Euro fuer
Kapitaen Stefan Schmidt und den Komiteeleiter Elias Bierdel. Ausserdem
wuerde bei einer Verurteilung die Kaution von zwei Millionen Euro
verloren gehen, die das Komitee Cap Anamur fuer das beschlagnahmte
Schiff hinterlegen musste. Am 3. Juni wird die Verteidigung ihre
Plaedoyers halten.

Diese jahrelangen Prozesse kosten den italienischen Staat Zeit und
Geld. Derweil entwickelt die rechtsgerichtete Regierung unter Silvio
Berlusconi noch andere Methoden zur Fluechtlingsabwehr: So soll in
diesen Tagen per Vertrauensabstimmung ein «Sicherheitspaket» durch das
Parlament geschleust werden, das die Situation fuer Fluechtlinge und
Migrantinnen in Italien deutlich verschaerfen wird. Inzwischen
funktioniert auch die Zusammenarbeit mit Libyen. Ein erstes Protokoll
wurde bereits 2007 erarbeitet, also noch unter der
Mitte-links-Regierung. Im August 2008 unterzeichneten dann Berlusconi
und der libysche Diktator Muammar al-Gaddafi einen
Freundschaftsvertrag zwischen den beiden Staaten. Dieser wurde im
Februar 2009 vom italienischen Parlament ratifiziert - auch mit den
Stimmen der nun oppositionellen Demokratischen Partei. Italien
verspricht Libyen als Wiedergutmachung fuer die Kolonialzeit eine
Entschaedigung in Milliardenhoehe zu zahlen, Libyen verpflichtet sich
im Gegenzug zur Zusammenarbeit im «Kampf gegen die illegale
Migration».

Gaddafi scheint den Vertrag einzuhalten: Vergangene Woche konnte die
italienische Kuestenwache fast 500 Fluechtlinge, die sie auf hoher See
aufgegriffen hatte, darunter viele Frauen und Kinder, nach Libyen
schaffen. Fluechtlinge, die Lampedusa erreicht haben, sind entsetzt:
«Lieber sterben als nach Libyen zurueck», sagen sie. Folter und
Vergewaltigung sind in libyscher Haft an der Tagesordnung. Doch
Innenminister Roberto Maroni spricht nach der ersten Rueckschaffueng
von einem «historischen Tag» im Kampf gegen «illegale Einwanderung»
und von einem «Modell fuer Europa».

Berlusconi sagt: «Wir halten alle europaeischen Normen ein.» Doch
genau das ist zu bezweifeln. Libyen hat die Genfer
Fluechtlingskonvention nicht unterzeichnet und garantiert
Asylsuchenden keinen Schutz. Die Abschiebungen werden deshalb von
Menschenrechtsorganisationen, vom Uno-Hochkommissariat fuer
Fluechtlinge, aber auch vom Papst verurteilt. Italien verstoesst nicht
nur gegen humanitaere Grundsaetze, sondern missachtet auch das
Voelkerrecht. Es kann potenziellen Asylsuchenden den Schutz nicht
verweigern, nur weil sie sich noch in internationalen Gewaessern
befinden, wenn sie aufgegriffen werden. Die Europaeische Union muesste
sich unmissverstaendlich zu den Menschenrechtsverletzungen Italiens
aeussem und sich dafuer einsetzen, dass das EU-Mitglied seine
asylfeindlichen Praktiken unverzueglich beendet.

Derweil sind die knapp 500 Fluechtlinge in Hartlager in der Naehe von
Tripolis gebracht worden. Ihr Schicksal ist ungewiss.
(Judith Gleitse, WoZ 20/2009)

*

J.G. arbeitet in Italien fuer die Menschencechtsorganisoetionen Pro
Asyl und borderline-europe.



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