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akin-Pressedienst.
Aussendungszeitpunkt: Dienstag, 21. April 2009; 17:17
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Italien:
> "Angesichts eines autoritaeren und Medienpopulismus bleibt der 
> Antifaschismus aktuell"
Die Selbstaufloesung der italienischen Alleanza Nazionale (AN), die 
als weichgespuelte Nachfolgerin 1995 aus dem neofaschistischen MSI 
hervorgegangenen war, und ihre Verschmelzung mit Berlusconis Partei 
Forza Italia zum sog. "Popolo della Libertà" (Volk der Freiheit - PdL) 
wirft auch die Frage nach der Aktualitaet des Antifaschismus auf. Zwar 
existieren rechts von der PdL noch die Zwei-Prozent-Partei "La Destra" 
des ehemaligen AN-Fuehrungsmitglieds und Ex-Praesidenten der Region 
Lazio, Francesco Storace, der Movimento Sociale-Fiamma Tricolore oder 
die neonazistische Forza Nuova (FN), aber mit dem Aufgehen von 
Alleanza Nazionale im PdL ist das Lager der selbstorganisierten 
Nachfahren und offenen Nostalgiker des Mussolini-Regimes doch 
erheblich zusammengeschrumpft. Gleichzeitig entsprechen Silvio 
Berlusconis Politik und Propaganda, Werdegang und Zielsetzungen (z.B. 
ein autoritaerer "Praesidenzialismus") keineswegs den 
buergerlich-demokratischen Standards - um es einmal vorsichtig 
auszudruecken.
Grund genug fuer die von Rifondazione Comunista herausgegebene 
Tageszeitung "Liberazione" den linken Historiker und Politiker Nicola 
Tranfaglia nach seiner Einschaetzung der juengsten Entwicklung in der 
italienischen Rechten zu fragen. Das nachstehende Interview (gefuehrt 
von Vittorio Bonanni) erschien am 24.3.2009.
Zur Person: Nicola Tranfaglia wurde am 2.Oktober 1938 in Neapel 
geboren. Sein Vater war ueberzeugtes, linientreues KP-Mitglied. 
Tranfaglia selbst entwickelte sich zu einem dem PCI gegenueber 
kritischen, antistalinistischen Linken, der sich auch fuer die 
Sozialdemokratie nicht erwaermen konnte. Seine berufliche Karriere 
fuehrte ihn zum Professor fuer Zeitgeschichte an der Universitaet 
Turin. Daneben ist er Mitglied des Wissenschaftlichen Beirats der 
Gramsci-Stiftung und schrieb auch laengere Zeit fuer die linksliberale 
Tageszeitung "la Repubblica" sowie das aehnlich ausgerichtete 
Wochenmagazin "L'espresso".
Nach Aufloesung des PCI 1991 wurde er Mitglied der daraus 
hervorgegangenen Partei der Demokratischen Linken (PDS), die er aber 
im Zuge von deren Weg in die "Neue Mitte" und ihrer Wiederentdeckung 
des langjaehrigen, korrupten PSI-Fuehrers und fruehen 
Berlusconi-Mentors Bettino Craxi im Februar 2004 wieder verliess. Im 
Folgenden naeherte er sich der Partei der Italienischen Kommunisten 
(PdCI) an, einer Rechtsabspaltung von Rifondazione Comunista aus dem 
Oktober 1998. Einen Schritt, den er selbst lakonisch mit den Worten 
kommentiert: "Italien ist noch kein normales Land." Fuer den PdCI sass 
er von Ende April 2006 bis Ende April 2008 in der Abgeordnetenkammer. 
Im Juli 2008 erklaerte er dann oeffentlich seinen Austritt aus dieser 
sehr PCI-nostalgischen Kleinpartei und ist gegenwaertig, wie viele 
andere italienische Linke auch, nicht in einer Partei.
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Der Historiker Nicola Tranfaglia hegt keinen Zweifel: Der 
Antifaschismus gehoert auch nach der Aufloesung einer 
postfaschistischen Partei wie Alleanza Nazionale nicht in die 
Rumpelkammer. "Es erscheint mir absurd" - sagt der neapolitanische 
Intellektuelle - "dass in dem Moment, wo der Abgeordnete [und AN-Chef] 
Gianfranco Fini anerkannt hat, dass der Antifaschismus eine 
grundlegende Voraussetzung fuer die Republik ist, auf der Linken 
stattdessen die Ansicht vertreten wird, dass dieser Wert zu den Akten 
gelegt werden sollte. Es besteht daher kein Zweifel, dass der 
Antifaschismus, der von uns seit Anfang an als eine grundlegende 
Voraussetzung fuer die republikanische Staatsbuergerschaft betrachtet 
wurde, nicht in Vergessenheit geraten darf. Ich moechte allerdings 
sofort etwas hinzufuegen, das mir sehr wichtig erscheint und zwar, 
dass heute die wahre Gefahr nicht so sehr in einem Wiederaufleben des 
Faschismus besteht, wie wir ihn erlebt haben - der ist meines 
Erachtens wenig aktuell - sondern vielmehr in einem autoritaeren und 
Medienpopulismus, dessen wichtigste und wahrscheinlichste Inkarnation 
unser aktueller Ministerpraesident ist. Dieser autoritaere und 
Medienpopulismus hat viele ueble Eigenschaften, die nicht geringer 
sind als die des Faschismus."
Welche insbesondere?
NT: "Zuallererst einmal ist es ein Regime, das versucht sowohl die 
Meinungs- als auch die Informationsfreiheit der Italiener vollstaendig 
zu beseitigen. Zweitens ist es ein Regime, dass das Bewusstsein der 
Leute manipuliert und diejenigen, die am bewaffneten Widerstand gegen 
die Nazi-Faschisten beteiligt waren, mit den Mitgliedern der 
brutalsten Banden des letzten Mussolini-Regimes auf eine Stufe stellen 
will. Banden, die fuer zahlreiche Massaker an Italienern 
verantwortlich sind. Es gibt hier also verschiedene Merkmale, die den 
Gedanken nahe legen, dass die Tendenz hin zu einem autoritaeren und 
Medienpopulismus besorgniserregender ist als die des alten Faschismus.
Ich wuerde noch hinzufuegen, dass wir es mit einer Art von Regierung 
zu tun haben, die auf die Angst der Italiener setzt. Und das ist eine 
weitere sehr negative Sache, weil die Angst bekanntlich zur 
Beseitigung der individuellen Rechte fuehrt."
Auch die Massnahmen des juengsten Sicherheitspaketes, insbesondere 
diejenigen gegen die Immigranten erinnerten in gewisser Weise an die 
waehrend des Mussolini-Regimes erlassenen Rassengesetze. Ist das ein 
weiteres Element von Faschismus, das sich in der Regierung Berlusconi 
findet?
NT: "Mit Sicherheit stehen wir vor einer Welle von Rassismus gegen 
Nicht-EU-Auslaender, die von den Massenmedien nicht gebremst, sondern 
im Gegenteil gefoerdert wird und das vor allem von den 
Fernsehsendungen, die sich mehr mit der Kriminalitaet der 
Gesellschaften als mit ihren ihren Konflikten und Differenzen 
beschaeftigen."
Kann der Antifaschismus angesichts dieses demokratischen Notstandes 
wieder an Aktualitaet gewinnen? Auch im Hinblick auf die Verteidigung 
einer Verfassung, die die Rechte radikal veraendern will. Was meinen 
Sie?
NT: "Es besteht kein Zweifel, dass der Antifaschismus bei der 
Verteidigung unserer Verfassungscharta wieder Bedeutung erlangen wird. 
Vor zwei Jahren haben sie die Italiener wirkungsvoll verteidigt, als 
sie die von der zweiten Regierung Berlusconi geplante weit reichende 
Verfassungsaenderung ablehnten. So wie sich die aktuelle 
Legislaturperiode entwickelt, ist es moeglich, dass ein zweiter 
Versuch zur Revision der Verfassung unternommen wird. So gesehen 
ueberschneidet sich der Antifaschismus mit der Verteidigung der 
demokratischen Verfassung."
Wie Sie bereits erwaehnten, ist Fini in juengster Zeit auch durch 
seine antifaschistischen Aeusserungen aufgefallen, die sich deutlich 
vom Rest seines Lagers abheben. Was treibt den Praesidenten der 
Abgeordnetenkammer an?
NT: "Fini denkt meiner Ansicht nach an eine Perspektive, die sich erst 
in vielen Jahren verwirklichen liesse, wenn es den gegenwaertigen 
charismatischen Chef des Populismus nicht mehr gibt und diese grosse 
Rechtspartei einen neuen Fuehrer braeuchte. Es handelt sich also um 
eine Investition in die Zukunft, die in der heutigen PdL keine Chance 
auf Umsetzung hat. Ich habe nicht den Eindruck, dass die 
charismatische Uebermacht Berlusconis kurzfristig in Frage gestellt 
werden koennte."
Die meisten ehemaligen Mitglieder der 1991 aufgeloesten Italienischen 
Kommunistischen Partei (PCI) haben inzwischen - bei allen 
Unterschieden - ein eher gequaeltes und verlegenes Verhaeltnis zum 
Antifaschismus. Wieso?
NT: "Meines Erachtens zeigen die Ereignisse der letzten Jahre, dass 
ein Grossteil der ehemaligen PCI-Mitglieder, die heute eine fuehrende 
Rolle spielen, nachhaltig gescheitert ist. Sie haben (zusammen mit 
Christdemokraten und Liberalen) eine Organisation wie die 
Demokratische Partei ins Leben gerufen, die staendig schwankt und vor 
allem nicht in der Lage zu sein scheint, eine echte gesellschaftliche 
Alternative zum vorherrschenden Populismus zu entwickeln."
Die italienische Linke ist zersplittert und steckt in einer tiefen 
Krise. Welche Rolle kann der Antifaschismus da spielen?
NT: "Eine zentrale. Das Problem der Linken besteht meines Erachtens 
aber darin, das sie eine effektive Vereinigung anstreben und 
ihrerseits die Faehigkeit entwickeln sollte, eine eigenstaendige 
Perspektive unabhaengig von der Demokratischen Partei aufzuzeigen und 
zwar eine, mit der die breite Masse der Italiener etwas anfangen kann. 
Was das angeht, stochern wir aber noch im Nebel und es ist zu 
wuenschen, dass diese Perspektive in den kommenden Jahren klarere 
Konturen annimmt."
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Vorbemerkung, Uebersetzung und Einfuegung in eckigen Klammern: 
*Rosso (Hannover)
Weitere Texte unter: http://www.freewebtown.com/antifauni/
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