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akin-Pressedienst.
Aussendungszeitpunkt: Dienstag, 21. April 2009; 17:10
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Asyl/Zeitgeschichte:
> Vor 20 Jahren: Der Flughafen-Sozialdienst
Wendejahr 1989: Der Staat greift an, NGOs reagieren. Ein Rueckblick 
von *Michael Genner*, Asyl in Not
(Auszug aus dem Sammelband von Nikolaus Dimmel und Josef Schmee, 
 "Die Gewalt des neoliberalen Staates", facultas.wuv, 2008).
So etwas wie eine Zivilgesellschaft gab es im Asylbereich zunaechst 
kaum. NGOs alten Typs waren nicht politisch, sondern 
karitativ-humanitaer. Ihre Aufgabe sahen sie darin, dem Staat Arbeit 
abzunehmen: Verteilen von Decken, Lebensmitteln, Deutschunterricht... 
1989 trat mit dem "Flughafensozialdienst" erstmals eine "NGO neuen 
Typs" auf den Plan. Probleme am Flughafen hatte es schon vorher 
gegeben: Immer wieder hatten Grenzorgane Fluechtlinge zurueckgewiesen, 
weil sie mittellos waren oder kein Visum hatten.
Ostern 1989: Eskalation. In Schwechat landeten mehrere Flugzeuge mit 
(grossteils kurdischen) Fluechtlingen aus der Tuerkei. Die Polizei 
verweigerte ihnen die Einreise. Das verstiess nicht nur gegen die 
Genfer Fluechtlingskonvention, sondern auch gegen das 1954 zwischen 
Oesterreich und der Tuerkei geschlossene Abkommen ueber die Aufhebung 
der Sichtvermerkspflicht: Es war ein reiner Willkuerakt. In der 
Tuerkei herrschte Krieg. 1984 hatte der Aufstand der Kurdischen 
Arbeiterpartei (PKK) begonnen. Die tuerkische Armee fuehrte ethnische 
Saeuberungen durch. Die Zivilbevoelkerung versuchte dorthin zu 
entkommen, wo es Angehoerige und Freunde gab.
Viele Kurdenfluechtlinge, die in Schwechat strandeten, hatten 
Verwandte in Wien, andere in Deutschland; fuer sie war Oesterreich ein 
Transitland. Die Wiener Familien versammelten sich in der 
Ankunftshalle, unterstuetzt von "inlaendischen" Aktivisten, die sich 
zum "Flughafensozialdienst" zusammenschlossen. Die erste Kraftprobe 
zwischen Staat und NGOs im Asylbereich begann.
Der Konflikt fand breites Medienecho. Sechs Wochen lang war die 
Ankunftshalle des Flughafens ein permanentes Forum. Als wir einen 
Hungerstreik androhten, gab das Innenministerium nach. Den 
Fluechtlingen wurde die Einreise gestattet. Manche stellten in 
Oesterreich Asylantraege; andere zogen nach Deutschland weiter.
Der Flughafensozialdienst erhielt drei Passierscheine zum Transitraum, 
um Neuankommende zu beraten und zu betreuen. Ich wurde zum 
Projektleiter bestellt; das Sozialministerium finanzierte meinen 
Arbeitsplatz. Ein Etappensieg der NGOs.
Innenminister war Franz Loeschnak vom "nationalen" Fluegel der SPOe; 
er sass noch nicht fest im Sattel. An seiner Seite Manfred Matzka, 
zunaechst Kabinetts-, dann Sektionschef, ehemals Wortfuehrer der 
"Linken" in der SPOe. Jetzt zeigte er seine Anpassungsfaehigkeit. Das 
Innenministerium arbeitete daran, das verlorene Terrain 
zurueckzugewinnen. Der Flughafen durfte kein Einfallstor fuer 
Fluechtlinge sein. Das Beispiel, dass NGOs dem Staat ihren Willen 
aufgezwungen hatten, durfte keine Schule machen. Umso weniger, als 
1989 der Eiserne Vorhang fiel.
"Das Boot ist voll"
Leiter der Asylabteilung der Sicherheitsdirektion (bis 1992 
Erstinstanz im Asylverfahren) war Johann Schadwasser. 1989 
veroeffentlichte er in der Zeitschrift "Der Kriminalbeamte" ein 
Pamphlet mit dem Titel "Das Boot ist voll". Eine Parole aus der 
Nazizeit, Schweizer Behoerden hatten sie aufgebracht, um den 
Judenstempel zu rechtfertigen. Schadwasser forderte eine voellige 
Aenderung der oesterreichischen Asylpolitik:
"Die zustaendigen Behoerden sehen sich einem Dauerbeschuss 
humanitaerer, fortschrittlicher, demokratischer und alternativer 
Gruppen ausgesetzt." Huebsch, was er alles nicht mochte... Demokratische 
Gruppen! Er war ein Beamter alten Schlags. Schadwasser forderte, dass 
"offensichtlich unbegruendete Asylansuchen sofort zurueckgewiesen" und 
"die notwendigen fremdenpolizeilichen Massnahmen" ergriffen werden, um 
zu vermeiden, "dass der Grenzbalken zu Westeuropa am Walserberg 
niedergeht und Oesterreich Richtung Ostblock und Balkan abdriftet."
Schadwasser begnuegte sich nicht mit den Moeglichkeiten, die ihm das 
Gesetz in die Hand gab. Er wurde mehrmals (freilich folgenlos) wegen 
Urkundenunterdrueckung angezeigt, weil er Asylwerbern die 
Bescheinigung der vorlaeufigen Aufenthaltsberechtigung wegnahm, sodass 
sie kein Ausweispapier mehr hatten und jederzeit festgenommen werden 
konnten. Er fiel auch dadurch auf, dass er im Mai 1989 eine 
internationale Beobachtergruppe mit Polizeigewalt aus seinem Amt 
entfernen liess und beim ORF (vergebens) gegen die Ausstrahlung eines 
Berichts darueber intervenierte.
Haiders bester Mann...
Anfang 1990 besuchte ich eine Veranstaltung der Wiener SPOe am 
Praterstern. Loeschnak hielt eine Brandrede gegen die Polen, die den 
zweiten Bezirk verunreinigten. (Der Mexikoplatz im zweiten Bezirk war 
ein beliebter Schwarzmarkt, den auch Eingeborene gern besuchten, um 
sich mit billigen Waren zu versorgen). Der Jubel war unbeschreiblich, 
auf einer Haider-Versammlung konnte es nicht anders zugehen. Ich 
meldete mich zu Wort, wurde aber niedergeschrieen. ... und sein 
furchtbarer Jurist
Manfred Matzka wurde zum Spiritus rector einer fremdenfeindlichen 
Politik, die das Klima der Neunzigerjahre vergiftete. Er war ein 
Hoffnungstraeger, aber er drehte sich mit dem Wind. Dass wir ihn 
dafuer kritisierten, kraenkte ihn so, dass er vollends das Lager 
wechselte. Er war der Urheber der Gesetze, die Fremde zu Menschen 
zweiter Klasse machten.
1991: Das Innenministerium liquidiert den Flughafensozialdienst. Am 
Flughafen kam es zu einer neuen Eskalation. Tamilen aus Sri Lanka, dem 
Buergerkrieg entronnen, sollten abgeschoben werden. Ihre Fluchtgruende 
wurden nicht geprueft. Ich verstaendigte das Fernsehen und rief den 
AUA-Kapitaen an; er versicherte mir: "Wenn die Tamilen zeigen, dass 
sie nicht freiwillig mitfliegen, nehme ich sie nicht mit."
Das richteten wir den Tamilen aus, und sie zeigten sichtbar, dass sie 
nicht fliegen wollten: Sie klammerten sich schreiend an den Moebeln 
an. Am naechsten Morgen wurden unsere Leute von der Polizei am 
Betreten des Transitraumes gehindert, die Passierscheine eingezogen. 
Die Tamilen, allein gelassen, ohne Kontakt mit uns, wehrten sich nicht 
mehr und wurden deportiert.
Gegen Matzka, der fuer die Abschiebung verantwortlich war, erstattete 
ich Strafanzeige wegen Amtsmissbrauchs und Ueberlieferung wehrloser 
Menschen an eine fremde Macht. Wie nicht anders zu erwarten, wurde die 
Anzeige ergebnislos "zurueckgelegt".
Die Passierscheine uebergab das Innenministerium der Caritas. Seither 
ist am Flughafen alles ruhig.
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