**********************************************************
akin-Pressedienst.
Aussendungszeitpunkt: Dienstag, 7. April 2009; 17:30
**********************************************************

Initiativen:

> Super Markt?

Billigpreise sind nicht zum Nulltarif

Seit 1996 gilt der 17. April als "Internationaler Tag des
kleinbaeuerlichen Widerstands" In Oesterreich soll dieses Datum heuer
ein dezentraler Supermarktaktionstag werden. Eine zentrale Aktion soll
es in Wien-Mariahilf, geben. Treffpunkt ist vor der Hofer-Filiale in
der Mariahilfer Strasse 123 (schraeg vis-a-vis vom Westbhanhof).
Uhrzeit wird noch bekanntgegeben. Am 16.April gibt es um 18:30 eine
Diskussion zum Thema . Galerie im Amerlinghaus, Stiftgasse 8, 1070
Wien

Aktuelle Infos auf: http://supermarktaktionstag.blogspot.com

Hier einige Erlaeuterungen zum politischen Gehalt der Aktionen:
*

Angesichts des Zusammenfallens von Ernaehrungs-, Energie-, Klima- und
Wirtschaftskrise gilt es, die vorherrschenden Produktions- und
Konsumtionsnormen radikal zu hinterfragen. Dazu ist es notwendig, sich
genauer mit Akteuren auseinanderzusetzen, bei denen die Faeden von
Produktion und Konsum zusammenlaufen: dem Supermarkt.

Wer denkt bei der hektischen Einkaufstour zwischen Arbeitsende und
Ladenschluss schon daran, dass Supermaerkte als streng selektierende
Tuersteher des globalen Lebensmittelsystems agieren und wesentlich zu
sozialer Ausbeutung und oekologischer Zerstoerung beitragen? Bei jedem
Einkauf betreten wir ein - unsichtbares - Netzwerk, das
NahrungsmittelproduzentInnen, LieferantInnen, ArbeitnehmerInnen und
KonsumentInnen auf spezifische Weise miteinander verbindet und
gegeneinander ausspielt. Waehrend die Bilanzen der Einzelhandelsketten
glaenzen wie die feil gebotenen Waren, bleiben die Auswirkungen der
enormen Konzentrationsprozesse auf Produktion, Vertrieb, Verkauf und
Konsum von Lebensmitteln meist im Dunkeln. Hunger inmitten von
Ueberfluss, Lohn- und Sozialdumping, Ausbeutung von ArbeiterInnen und
BaeuerInnen und oekologische Zerstoerung weltweit kennzeichnen eine
tiefe Krise des Lebensmittelsystems.

Expansion der Supermaerkte und ihre Folgen

In den letzten 50 Jahren haben Supermarktketten schrittweise den
Lebensmittelhandel erobert In Oesterreich beherrschen die groessten
drei Supermarktketten 78 Prozent des Marktes.. Der Kampf war und ist
im Wesentlichen ein Preiskampf, in dem versucht wird, die Endprodukte
so billig wie moeglich zu verkaufen, ohne die eigene Gewinnspanne zu
gefaehrden. Dazu ist es notwendig, die Kosten in allen Bereichen der
Wertschoepfungskette zu minimieren. "Wenn wir eine Moeglichkeit zur
Preissenkung sehen, dann setzen wir sie um" oder "Hoechste Qualitaet -
niedrigster Preis", so die Philosophie der fuehrenden
oesterreichischen Supermarktketten. Doch Billigware gibt es nicht zum
Nulltarif - sie waere ohne systematische Verletzung sozialer Rechte
und ohne Zerstoerung oekologischer Ressourcen ueberhaupt nicht
moeglich.

Schikanoese Arbeitsbedingungen in den Supermaerkten,
existenzbedrohende Vertragsbedingungen fuer oesterreichische
Milchbaeuerinnen/-bauern oder lateinamerikanische
KaffeeproduzentInnen, extreme Ausbeutung von rechtlosen
ArbeitsmigrantInnen, Bodendegenerierung und Verwuestung als Folge von
Monokulturen - all diese Aspekte sind fixer Bestandteil der
Supermarkt-Politik.

Preisdiktate

Supermarktketten geben nicht nur Preise vor, sie bestimmen auch
Produktions- und Lieferbedingungen z. B. durch Qualitaetsvorgaben,
Verpackungsstandards, Mindestliefermengen usw. Besonders betroffen
davon sind KleinbaeuerInnen und LandarbeiterInnen weltweit, da sie
diese Auflagen oft nicht erfuellen koennen.

Die Folge sind haeufig Konzentrationsprozesse bei den ProduzentInnen,
die auf grossen Flaechen unter Rueckgriff auf meist migrantische
LandarbeiterInnen produzieren. An diese wird der Preisdruck der
Supermarktketten verstaerkt weitergegeben. Die ArbeiterInnen haben
zumeist keine andere Wahl als zehnstuendige Arbeitstage fuer einen
Hungerlohn, keinerlei Arbeitsschutz, unbezahlte Ueberstunden und
aeusserst prekaere Unterkuenfte zu akzeptieren. Wer sich zu wehren
versucht, wird einfach rausgeworfen und problemlos ersetzt.

Schikanen, Diskriminierung, Rassismus und sexualisierte Uebergriffe
praegen den Alltag der ErntehelferInnen.

Ob bei Ananas und Bananen aus Lateinamerika, Erdbeeren aus dem
Marchfeld oder Gemuese aus Holland - die Arbeitswelt der dahinter
stehenden unsichtbaren ArbeiterInnen ist ueberall aehnlich.

Billig auf Kosten der Umwelt

Nicht nur die ErntehelferInnen als letztes Glied einer langen Kette
bekommen den Preisdruck zu spueren. Auch die Umwelt wird bei dieser
Produktionsweise in Mitleidenschaft gezogen. Die industrielle
Landwirtschaft kann ohne exzessive Pestizid- und Duengereinsaetze
nicht auskommen. Die Boden-, Wasser- und Lebensmittelqualitaet wird
auf diese Weise untergraben und die Energieintensitaet der
Nahrungsmittelproduktion massiv erhoeht. Der eng mit dieser
Landwirtschaftsform verbundene agroindustrielle Sektor ist somit auch
eine treibende Kraft des Klimawandels. Die Vorgehensweise der
Supermaerkte und die Umweltzerstoerung stehen in direktem
Zusammenhang. Sie treiben die industrialisierte und somit
klimaschaedliche Landwirtschaft voran, leisten dem Verpackungs- und
Tiefkuehlwahnsinn im Wegwerf-Kapitalismus Vorschub und forcieren
permanente Verfuegbarkeit von Obst und Gemuese aus aller Welt, was mit
einem hohem Transportaufwand und einer energieintensiven und
umweltzerstoerenden Produktionsweise verbunden ist. Weiters foerdern
sie durch ihre Standort- und Parkplatzpolitik den Einkauf mittels
Auto.

Supermaerkte als Arbeitgeber

Lohndruck, Gewerkschaftsfeindlichkeit, Arbeitstempo, hoher
Ueberwachungsgrad, unbezahlte Ueberstunden und prekaere Verhaeltnisse
beschreiben die Arbeitsbedingungen in Supermaerkten, welche besonders
bei Diskontern auf die Spitze getrieben werden. Der Einzelhandel ist
einer jener Sektoren, in dem die Verschlechterung der
Arbeitsverhaeltnisse am weitesten voran geschritten ist.

So ist der Handel eine Branche, die einen hohen Umschlag an
Arbeitsplaetzen und -kraeften aufweist. Fuer die Angestellten bedeutet
dies grosse Unsicherheit bezueglich ihrer
Beschaeftigungsverhaeltnisse. Der Anteil der Teilzeitbeschaeftigten
steigt immer mehr an, obwohl sich viele eigentlich eine
Vollzeitbeschaeftigung wuenschen wuerden. Damit haengt auch die
steigende Unzufriedenheit der Angestellten mit ihrem Einkommen
zusammen. Frauen und MigrantInnen sind in diesem Sektor besonders
haeufig beschaeftigt - kein Wunder: auch hier kann der Druck am
leichtesten an Schwaechere weitergegeben werden.

Konsum gut, alles gut?

Angesichts der fortschreitenden Verarmung weiter Bevoelkerungsteile
koennte der Anschein entstehen, dass es notwendig ist, billig zu
produzieren, um guenstige Lebensmittel anzubieten und dass negative
Konsequenzen dafuer in Kauf genommen werden muessen. Doch diese
Argumentation bedeutet, das Pferd von hinten aufzuzaeumen: Denn die
Supermarktketten haben mit ihrem Lohndumping einen wesentlichen Anteil
an der Prekarisierung. Ausserdem schrauben billige Lebensmittel die
Arbeitskosten in anderen Wirtschaftssektoren zurueck und dienen somit
als indirekte Subvention fuer Unternehmen: "Loehne rauf", nicht
"Preise runter" muesste also die Forderung lauten, um aus der
zunehmenden Armutsspirale ausbrechen zu koennen.

Die Entwicklung des Lebensmittelsektors verstaerkt und verdeutlicht
gleichzeitig die Bruchlinie zwischen Reich und Arm, Privilegierten und
Ausgeschlossenen. Waehrend Diskonter Billigprodukte von zweifelhafter
Qualitaet produzieren, befriedigt die Ober- und Mittelschicht ihre
gehobenen Beduerfnisse mit Convenience- oder Bioprodukten. Unsere
"Kaeuferklassengesellschaft" tritt hier zutage. Zum anderen gehen die
starken Konzentrationsprozesse im Lebensmittelhandel auf Kosten der
Nahversorgung. Ohnehin schon benachteiligte Regionen insbesondere im
laendlichen Raum verlieren wohnortnahe Einkaufsmoeglichkeiten,
waehrend in neuen Zentren riesige Konsumtempel aus dem Boden
schiessen.

Nicht nur die Veroedung ganzer Stadtteile oder Doerfer sind die Folge,
auch arbeitsmarktpolitisch stellt dies ein Problem dar. Fuer einen
Arbeitsplatz bei Lidl fallen etwa drei Arbeitsplaetze im uebrigen
Einzelhandel weg. Noch zugespitzter ist die Situation in den armen
Laendern. Beispiel Vietnam: hier ersetzt eine Arbeitskraft im
Supermarkt vier bis fuenf Klein- bzw. StrassenhaendlerInnen. In
Guatemala werden diese gewaltsam vertrieben und ermordet.
GrossproduzentInnen profitieren von den neuen Strukturen und steigern
ihren Gewinn, waehrend KleinproduzentInnen auf der ganzen Welt ums
Ueberleben kaempfen. Die dramatische Hungerkrise ist hier nur die
offensichtliche Folge.

Supermaerkte und Ernaehrungssouveraenitaet?

Die Krise des Lebensmittelsektors laesst sich an folgendem deutlich
ablesen: es gibt eine Milliarde hungernder Menschen weltweit, denen
eine noch groessere Zahl an Uebergewichtigen gegenuebersteht. Das
vorherrschende Lebensmittelsystem ist trotz Ueberflussproduktion nicht
in der Lage, allen Menschen eine ausreichende, gesunde und oekologisch
nachhaltige Ernaehrung und Lebensgrundlage zu gewaehrleisten. Diese
Krise verlangt nach einem Paradigmenwechsel in Richtung
Ernaehrungssouveraenitaet. Voraussetzung dafuer ist ein anderes,
demokratisches, oekologisch und sozial nachhaltiges Produktions- und
Konsumtionssystem.

Die Krise haengt wesentlich mit Armut, Ausbeutung, Ungleichverteilung,
Machtkonzentration, Enteignungen und oekologischer Zerstoerung
zusammen. Globale Supermaerkte verschaerfen und beschleunigen diese
Dynamiken. Das Recht auf Nahrung ist eine Frage der Leistbarkeit und
wird gleichzeitig durch die (Ueber)Produktion fuer die Habenden
untergraben.

Auch die KonsumentInnen sind aufgerufen, ihre scheinbare
(Konsum)Freiheit genauer zu hinterfragen. Welchen Spielraum lassen
Supermaerkte bei der Entscheidung fuer eine gesunde Ernaehrung, wenn
Produktangebot und -qualitaet den KonsumentInnen doch von einigen
wenigen EntscheidungstraegerInnen im Einkauf der Handelsketten
vorgegeben werden? Wer entscheidet, was in Lebensmitteln enthalten
ist? Wer entscheidet ueber Preis und Lohn? Und auf wessen Kosten?
Wirken sich diese Kosten nicht gesamtgesellschaftlich negativ aus? Die
von oben angebotene "KonsumentInnendemokratie" stellt angesichts
dieser Zusammenhaenge keine ausreichende Alternative dar. Kritischer
Konsum ist wichtig, aber angesichts der Probleme nicht ausreichend.
Kritischer, ethisch-bewusster Konsum kann immer nur einen ersten, aber
letztlich nicht hinreichenden Schritt darstellen.

Das Angebot von Bioprodukten in Supermaerkten vermag die Kritik nicht
zu mindern: auch wenn viele Ketten eine mehr oder weniger grosse
Auswahl an Biowaren im Sortiment fuehren, so stellt sich die Frage
nach der Auswirkung auf die biologische Landwirtschaft. Mit dem Einzug
biologischer Lebensmittel in die Supermaerkte treten die Bedeutung des
Biolandbaus als soziale Bewegung und der Anspruch auf selbstbestimmtes
Wirtschaften in regionalen Zusammenhaengen in den Hintergrund.
Konventionalisierung und Vereinheitlichung statt vielfaeltige
Erzeugung, Konkurrenzkampf und grosse Abhaengigkeit von den
abnehmenden Supermaerkten statt Erzeuger-Verbraucher-Solidaritaet,
Output-Maximierung statt Qualitaetssicherung, Preisverfall und eine
Vereinfachung auf eine reine Produktionsmethode machen sich nun in der
biologischen Landwirtschaft breit. Aehnliches gilt fuer
"FairTrade-Produkte". Bio- und Fair-Trade-Produkte beinhalten
gleichzeitig aber auch die Moeglichkeit eines anderen Wirtschaftens
und daran wollen wir anknuepfen. Dieses andere Wirtschaften findet
allerdings im Supermarktsystem klare Grenzen und dabei wollen wir
nicht stehenbleiben. Ob mensch einem rein profitorientierten
Handelssystem den Aufbau einer sozialeren und oekologischeren
Alternative (mit Bio- und FairTrade-Nischen) anvertrauen will, sollte
jedeR aufgrund des Gesagten fuer sich selbst entscheiden koennen!

Diese Fragen wollen wir ernsthaft auf die Tagesordnung setzen. Es geht
um den Beginn einer demokratischen Debatte und eine umfassende
Demokratisierung des Lebensmittelsystems. Die Entscheidungskriterien,
auf denen unser Lebensmittelsystem beruht, darf nicht in der
Profitmaximierung bestehen. Aus diesem System sind keine hinreichenden
Veraenderungen zu erwarten, es braucht Menschen weltweit, die die
dominanten Akteure mit diesen Fragen konfrontieren Dem "ich kaufe,
also bin ich" setzen wir die Forderung nach einem gesellschaftlichen
Paradigmenwechsel entgegen. Wir brauchen neue Allianzen und globale
Solidaritaet. Wir wollen an einem alternativen Lebensmittelsystem
bauen. Unzaehlige Beispiele weltweit zeigen, dass dies auch anders
moeglich ist. Wir brauchen neue Formen des demokratisch vermittelten
Produzierens und Konsumierens. Nichts ist unrealistischer, als so
weiterzumachen, wie bisher. Wir wollen ein anderes Lebensmittelsystem!

Wohlstand fuer alle! Globale (soziale) Rechte aneignen! Fuer ein ganz
anderes Klima! Ernaehrungssouveraenitaet jetzt!
*Aktionsnetzwerk Supermaerkte (gek.)*



***************************************************
Der akin-pd ist die elektronische Teilwiedergabe der
nichtkommerziellen Wiener Wochenzeitung 'akin'. Texte im akin-pd
muessen aber nicht wortidentisch mit den in der Papierausgabe
veroeffentlichten sein. Nachdruck von Eigenbeitraegen mit
Quellenangabe erbeten. Namentlich gezeichnete Beitraege stehen in der
Verantwortung der VerfasserInnen. Ein Nachdruck von Texten mit anderem
Copyright als dem unseren sagt nichts ueber eine anderweitige
Verfuegungsberechtigung aus. Der akin-pd wird nur als Abonnement
verschickt. Wer versehentlich in den Verteiler geraten ist, kann den
akin-pd per formlosen Mail an akin.buero{AT}gmx.at abbestellen.

*************************************************
'akin - aktuelle informationen'
a-1170 wien, Lobenhauerngasse 35/2
vox: ++43/1/535-62-00
(anrufbeantworter, unberechenbare buerozeiten)
http://akin.mediaweb.at
akin.buero{AT}gmx.at
Bankverbindung lautend auf: föj/BfS,
Bank Austria, BLZ 12000,
223-102-976/00, Zweck: akin