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akin-Pressedienst.
Aussendungszeitpunkt: Dienstag, 7. April 2009; 17:45
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Zeitgeschichte/Reportage:

> Das Schweigen von Hadersdorf

Hadersdorf am Kamp ist ein Symbol fuer die Vergessenskultur in
Oesterreich. Zaehneknirschend hat sich die Gemeinde durchgerungen,
eine lueckenhafte Erinnerungstafel fuer die Opfer der "Waldviertler
Hasenjagd" anzubringen. Am Friedhof, nicht am Hauptplatz. Bei der
Gedenkfeier am Sonntag liess sich Buergermeister Bernd Toms (OeVP)
nicht blicken. Und die drei anwesenden Gemeinderaetinnen und
Gemeinderaete sagten - nichts.
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Zwei alte Frauen verfolgen aus ihren Fenstern die Gedenkveranstaltung.
Die Fenster der gut zwanzig Wohnhaeuser, die um den kleinen Park am
Hadersdorfer Hauptplatz liegen, bleiben geschlossen. Nicht einmal 100
Menschen gedenken der 61 politischen Haeftlinge aus dem Gefaengnis in
Stein, die die SS am 7. April 1945 in der Gemeinde ermordet hatte.
Nach der Freilassung. Die meisten sind aus Wien oder Krems gekommen.
Die SJ ist da, ein paar Gruene, ein paar Vertreterinnen und Vertreter
des Freiheitskaempferbundes wie Alfred und Manuela aus Schwechat.
Vertreter des Mauthausenkommitees und andere Organisatorinnen und
Organisatoren. Eine Kremser Schulgruppe, die das Massaker von
Hadersdorf, auch bekannt als "Kremser" bzw. "Waldviertler Hasenjagd"
untersucht hat. Franz Kral von der KP Krems. Die ehemalige
Frauenministerin Johanna Dohnal (SPOe). Und vielleicht zwanzig
Einwohner von Hadersdorf. "Das ist gar nicht so wenig", sagt Michael
Pieber von der GPA. Er ist aus St. Poelten da. Die Hadersdorferinnen
und Hadersdorfer bemuehen sich eher, unsichtbar zu bleiben. Warum das
so ist, weiss auch die heute 74-Jaehrige nicht, die aus ihrer Wohnung
im "Buergerhaus" die Feier beobachtet. Dass sie nicht am Hauptplatz
steht, mag mit den Temperaturen zu tun haben. Deutlich ueber 20 Grad,
Sonne, und stehen. Fuer Menschen dieses Alters kann das eine
koerperliche Belastung sein. "Ich hoere gut, was da vorne gesagt
wird", sagt sie. Vielleicht ist das im ersten Stock der Fall. Auf dem
Gehsteig vor dem Haus hoert man die Reden nur mehr wie Gemurmel.
Wortfetzen sind verstaendlich, das Klatschen klingt wie das entfernte
Rauschen eines Baches. Gerne erinnert sie sich nicht an den 7. April
1945. Sie kaempft mit den Traenen. "Ich muss zehn oder elf gewesen
sein. Da ist ein Mann zu meiner Mutter gekommen und hat sie angefleht
um irgendein Gewand, das er anziehen kann, damit sie ihn nicht
finden". Der Mann war einer der politischen Haeftlinge, die der
Anstaltsleiter von Krems-Stein freigelassen hatte. Den Vormarsch der
Roten Armee vor Augen beschloss er eigenmaechtig, diesen Maennern das
Leben zu retten. Die SS erschoss ihn und alle Haeftlinge, die sie
finden konnten. Ein paar Dutzend hatten es bis Hadersdorf geschafft.
Die oertlichen Nazis setzten sie fest und verstaendigten die SS, die
61 Maenner ermordete. Die meisten Bewohner, die nicht aktiv an der
Ermordung beteiligt waren, sahen weg. Hilfe gab es nur von wenigen.
Wie der Mutter der 74-Jaehrigen. "Der Mann hat ein Gewand bekommen,
das zum Trocknen draussen lag. Er hat es geschafft", fluestert sie vom
Fenster herab. Mit der Erinnerung sind starke Gefuehle verbunden.
Immer wieder bricht sie ab, unterdrueckt die Traenen. "Er ist
durchgekommen und hat uns dann jedes Jahr wieder besucht. Das war ein
feiner Mensch, immer hat er uns Lebensmittel vorbei gebracht. 1946
sogar fuenf Kilo Zucker. Das war damals etwas". Wie der Mann geheissen
hat, weswegen er im Gefaengnis war, weiss sie heute nicht mehr. Sie
rede nicht oft darueber, sagt sie. In Hadersdorf interessiere sich
ohnehin niemand fuer das Massaker von damals.

Vielleicht sind fuer Manche die Erinnerungen aehnlich schmerzhaft.
Auch Scham kann wehtun. Dass der eigene Vater, dass der Onkel, dass
der Grossvater mitgeholfen hat, 61 Menschen zu ermorden, sagt
vermutlich niemand gern. Aus dieser individuell vielleicht
verstaendlichen Entscheidung ist ein gesellschaftliches Gebot des
Schweigens geworden. Was man selbst nicht sagen, nicht denken will,
darf auch kein anderer sagen oder denken. Und wenn doch - die
Dorfgemeinschaft vergisst das nicht so leicht wie die eigene
Verstrickung in ein Massaker. Zwei SPOe-Gemeinderaete und eine
Gemeinderaetin haben den Mut gefunden, vorne zu stehen bei der
Gedenkfeier. Madeleine Petrovic, Landessprecherin der Gruenen, erkennt
das in ihrer Rede an. Sagen wollen die Gemeindevertreter nichts.
Buergermeister Bernd Toms (OeVP) fehlt heute genauso wie er bei allen
bisherigen Veranstaltungen gefehlt hat. Vertreter schickt er keinen.
Das versteht auch die Tochter der Helferin nicht. "Dass er jedes Mal
nicht kommt, finde ich nicht Ordnung", sagt sie. Und: "Er ist ein
menschlicher Typ". Sie nickt kraeftig zu dieser Aussage.

Fuer Toms war wichtiger, am Vormittag eine Gedenktafel im hintersten
Eck des Friedhofs zu enthuellen. Eine Tafel, gegen die er sich lange
gewehrt hatte. Sie gedenkt der "Gefangenen", die am 7. April 1945
ermordet wurden. Von politisch keine Rede. Ebensowenig will Toms die
Tafel als Mahnmal nur gegen den Nationalsozialismus verstanden wissen.
Viel lieber spricht er in seiner Rede darueber, dass mit der Tafel den
Anfaengen "von rechts UND von links" gewehrt werden solle.

Christine Pazderka ist das zu wenig. Die Tochter eines Ermorderten von
Hadersdorf kaempft mit dem Verein "Gedenkstaette Hadersdorf" seit
Jahren um ein Mahnmal. "Hier fehlt ein wichtiges Wort", kritisiert sie
bei der Einweihung. "Es waren politische Gefangene, die ermordet
wurden", sagt sie und ruft dazu auf, das fehlende Wort hinzuzufuegen.
Der Buergermeister reisst das Mikrofon an sich und erklaert in
unfreundlichem Ton: "Das gehoert nicht hierher, das koennen Sie am
Nachmittag ansprechen". Ein Kameramann des ORF NOe haelt die Szene
fest. Am Abend wird sie in "Niederoesterreich heute" zu sehen sein.
Ein Zeichen, dass nicht einmal im konservativen Niederoesterreich alle
politischen Beobachter das Schweigen von Hadersdorf unterstuetzen.

Und doch, Hadersdorf steht fuer die oesterreichische Vergessenskultur.
Im Forum der Internetversion des Fernseh-Beitrags auf noe.orf.at
melden sich nicht wenige User, die das Massaker von Hadersdorf als
rechtsstaatlich bezeichnen oder auffordern "eine Ruhe zu geben". Der
Einsatz von Menschen wie Pazderka wird mit Haeme quittiert. Die wolle
sich nur wichtig machen.

Worte, die man auch in Hadersdorf zu hoeren bekommen wuerde, wuerden
Hadersdorfer mit Aussenstehenden ueber die Gedenkfeiern reden. Auf der
Homepage der Gemeinde wird das Massaker mit keinem Wort erwaehnt. Dass
Toms seinen Widerstand gegen die Gedenktafel aufgab, duerfte weniger
einem inneren Engagement geschuldet sein als dem Druck von Pazderka
und anderen. Vor drei Jahren hatte er ein temporaeres Mahnmal
entfernen lassen. Die Namen der 61 Getoeteten, die die Mitglieders des
Gedenk-Vereins auf die Strasse zum Friedhof geschrieben hatte, liess
er von der Feuerwehr wegwaschen. "Schmierereien" sagte er zu den
Schriftzuegen.

Heuer raeumen die Teilnehmer der Gedenkveranstaltung die 61
Schiessscheiben mit schwarzen Hasen ab. Sie stehen fuer die 61
Ermordeten. Die offizielle Gedenktafel empfinden die Teilnehmer
bestenfalls als Alibi, meist als Provokation. "Sie steht auf dem
Friedhof, damit sie niemand ausser vielleicht einem Friedhofsbesucher,
zu Gesicht bekommt", kritisiert Pazderka auf der Gedenkfeier. Keine
dreissig Meter neben ihr steht ein Monument fuer die Hadersdorfer, die
in den Weltkriegen gefallen sind. Von Opfern des Nazi-Regimes oder
Widerstandskaempfern ist keine Rede. Ein weiterer Teilnehmer ruft auf,
dass naechstens Jahr 61 Teilnehmer das fehlende Wort "politische" in
die Tafel meisseln. Derweil hat man das Wort provisorisch aufgeklebt.
Ob die Gemeinde den Schriftzug bis zur Gedenkfeier naechstes Jahr
kleben laesst, weiss niemand..
*Viktor Englisch*


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