**********************************************************
akin-Pressedienst.
Aussendungszeitpunkt: Dienstag, 7. April 2009; 17:55
**********************************************************

Demonachlese/Glosse:

> Die Nachhaltigkeit des Widerstands

"Super DEMO!!!! Super organisiert, super durchgefuehrt, super Wetter,
super. Jedoch sollten wir jetzt nicht aufhoeren, sondern wie geplant
den Start fuer weitere Demos organisieren." So ein
Diskussionsteilnehmer auf labournetaustria.at. Wie recht er doch hat:
Es war wirklich ein wunderschoener Fruehlingstag und eine gelungene
Demo -- doch was ist jetzt?

Es ist ein altes Phaenomen: Egal, ob es um Grossdemos oder
Wahlprojekte geht: Irgendwann kommt der grosse Tag -- sei es jetzt zum
Demonstrieren oder Waehlengehen. Nachher sind dann alle, die sich
engagiert haben, irgendwie vom Ergebnis beglueckt. Weil -- selbst wenn
es gar nicht so toll war -- frustriert sein machts auch nicht besser,
also ist man lieber beglueckt. Dann schreibt noch ein jeder fuer seine
Lieblingspostille auf Papier oder im Netz, wie toll das doch alles
war. Nach Demos gibt es auch noch ein paar huebsche Bildergalerien im
Netz zu bestaunen -- und was ist dann?

Hat sich das zu Kritisierende, das zu Aendernde, das zu Verbessernde
auch nur um ein Jota geaendert oder gar gebessert? Naja,
ueblicherweise ist die Kritik immer noch genauso berechtigt wie
vorher.

Es hat ein bisserl was von Vorspiel und Orgasmus -- nachher ist man
schlapp, aber gluecklich. Nur der Unterschied ist der: Ein guter
Orgasmus ist der Zweck eines gediegenen Vorspiels. Eine Demo will aber
ein Mittel zum Zweck sein. Und der Zweck selbst wird damit meistens
verfehlt. So wohl auch hier: "Eure Krise zahlen wir nicht!" Schnecken!
Wir zahlen sie schon!

Nein, ich will jetzt Niemandem ans Bein pinkeln, der oder die sich
fuer diese grosse Demo wochenlang engagiert hat. Im Gegenteil, mir
wuerde das keinen Spass machen und ich bin froh, wenn sich andere
Leute um Mobilisierung und Organisation kuemmern. Fuer mich ist es
schon eine Leistung, wenn ich dann ueberhaupt zur Demo komme -- und
die Demo habe ich wirklich genossen.

Fuer mich stellt sich aber eine Frage. Und zwar eine Frage, die nicht
rhethorisch gemeint ist, sondern tatsaechlich auf ihre Antwort wartet:
Ist unsere Demokultur nicht doch einfach nur ein Ventil? Ist es nicht
einfach so, dass wir nur deswegen demonstrieren, weil alle anderen
Widerstandsformen entweder verboten sind oder mangels Beteiligung von
vornherein zum Scheitern verurteilt?

Denn was gaebs denn da noch im Angebot? Streik? Ohne eine
glaubwuerdige Organisation und mit einem Gewerkschaftsbund, der pleite
ist, aber auch schon in den fetten Jahren einen rechten Ekel vor der
Idee der Arbeitsniederlegung hatte? Von der Vorstellung eines
politischen Streiks reden wir ja gar nicht, das ist doch der reine
Viktoradlerseibeiuns -- ist sowas nicht illegal? Und ueberhaupt: Wozu
haben wird denn die Sozialpartnerschaft?

Boykott? Funktioniert hoechstens dann, wenn die Kronenzeitung und der
Kardinal gemeinsam dazu aufrufen.

Und: Wen oder was bestreikt oder boykottiert man? Wem schadet man
damit -- sind das wirklich die richtigen Adressaten? Waren aus
Suedafrika konnte man noch boykottieren. Da gab es breite Massen, die
man dafuer gewinnen konnte, weil die Unterdrueckung so offensichtlich
war und der Anteil suedafrikanischer Waren auch nicht so immens in den
Regalen. Die Boykottierenden konnten sich auch so richtig gut fuehlen
bei ihrer Aktion -- weil es sie nichts kostete. Aber was sollen wir
heute boykottieren? Die Waren aus der westlichen Wertegemeinschaft? Ab
sofort saufen wir nur mehr "Havanna Club"? Oder wie?

Dann gibt es noch diese "phantasievollen Aktionen" -- ja, die sind
lustig. Und es ist schoen, wenn Widerstand lustvoll sein kann und man
sich vom Spass an der Freud ein bisserl verbrauchte Energie
zurueckgeben laesst. Wir sind ja schliesslich alle keine Uebermenschen
und brauchen das auch. Aber wen jucken solche Aktionen wirklich?

Das ist der Punkt: Es muss wieder jucken.

In den Tagen der Umweltbewegung konnte man wenigstens noch Baustellen
besetzen und damit reale Projekte blockieren -- und manchmal hat es
sogar was gebracht. Aber dann kamen die Zivilklagen und die
mittlerweile arrivierten Umweltorganisation setzten sich mit den
jeweiligen Ministern an einen Tisch und machten ihre Politik nur noch
mit Presseaussendungen. Es stellt sich die Frage: Kann man heute noch
etwas besetzen und damit real etwas bewegen? Vielleicht muessen wir
uns an den Wiener Hyttnpankas orientieren. Die haben fast zwei Jahre
lang in schoener Regelmaessigkeit Haeuser besetzt, bis sie eines
bekommen haben. Auch wenn das Wiener Rathaus verzweifelt versucht, die
Punx zu betreuen, und staendig die Raeumung des Projekts zu drohen
scheint: Die Pankahyttn ist jetzt erstmal Realitaet.

Beim Schreiben dieser Zeilen faellt mir ein, dass ich einen aehnlichen
Text wie diesen schonmal geschrieben hatte -- vor mittlerweile 9
Jahren. In akin 20/2000 titelte ich: "Macht braucht Mittel". Beim
Lesen des Artikels von damals wird mir klar -- es hat sich in diesen 9
Jahren in unserer Widerstandskultur kaum etwas geaendert. Ja, schon,
im Internet hat sich damals noch weniger abgespielt, aber
realpolitisch gesehen ist das auch nur eine Spielwiese.

Nur eben diese zaehen Immer-wieder-Hausbesetzungen in Wien und Graz
gab es 2000 nicht. Diese Kultur gab es vielleicht so aehnlich in den
70ern, in meiner politisch aktiven Zeit bis vor kurzem aber nicht
mehr. Damit komme ich zum Ausgangsgedanken zurueck: Denn sowohl der
Pankahyttn als auch dem Grazer "Projekt A-Z" ist etwas gemeinsam: Sie
werden von grossteils jungen Leuten getragen, die einen enorm langen
Atem zu haben scheinen. Die sind nicht gluecklich darueber, dass sie
jetzt einmal eine Hausbesetzung durchgefuehrt haben. Die machen das
immer wieder. Das Wiener Rathaus hat nachgegeben, in der Hoffnung,
irgendwie zu einer Befriedung zu kommen, und im Grazer Rathaus muss
man sich auch bald was ueberlegen -- schliesslich ist die
Besetzungsbewegung dort ein staendiger Stachel im Fleisch der
schwarzgruenen Vorzeigekoalition.

Darum geht es: Wir muessen uns ueberlegen, was wir tun koennen, was
der Herrschaft von Staat und Kapital wirklich weh tut und zwar
nachhaltig weh tut und immer wieder weh tut. Demos sind nett. Da
trifft man eine Menge Leute, die man schon lang nicht mehr gesehen hat
und das ist sowohl politisch als auch persoenlich durchaus ein
wichtiger Wert. Das allein jedoch kann es nicht mehr sein. Was man
konkret machen kann? Ich weiss es nicht. Aber vielleicht hilft eine
neue Parole weiter: "Von den Punx lernen, heisst kaempfen lernen!"
Oder so...
*Bernhard Redl*



***************************************************
Der akin-pd ist die elektronische Teilwiedergabe der
nichtkommerziellen Wiener Wochenzeitung 'akin'. Texte im akin-pd
muessen aber nicht wortidentisch mit den in der Papierausgabe
veroeffentlichten sein. Nachdruck von Eigenbeitraegen mit
Quellenangabe erbeten. Namentlich gezeichnete Beitraege stehen in der
Verantwortung der VerfasserInnen. Ein Nachdruck von Texten mit anderem
Copyright als dem unseren sagt nichts ueber eine anderweitige
Verfuegungsberechtigung aus. Der akin-pd wird nur als Abonnement
verschickt. Wer versehentlich in den Verteiler geraten ist, kann den
akin-pd per formlosen Mail an akin.buero{AT}gmx.at abbestellen.

*************************************************
'akin - aktuelle informationen'
a-1170 wien, Lobenhauerngasse 35/2
vox: ++43/1/535-62-00
(anrufbeantworter, unberechenbare buerozeiten)
http://akin.mediaweb.at
akin.buero{AT}gmx.at
Bankverbindung lautend auf: föj/BfS,
Bank Austria, BLZ 12000,
223-102-976/00, Zweck: akin