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akin-Pressedienst.
Aussendungszeitpunkt: Dienstag, 24. Maerz 2009; 19:42
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Glosse:
> Hart und gerecht?
Das Urteil gegen Josef F. hat fuer mich einen schalen Beigeschmack. 
Mag sein, dass ich auch einfach nur reflexartig verweigere, mit der 
Journalisten-Meute mitzuheulen, die in den vergangenen Tagen ein 
haessliches Bild dieser Gesellschaft gezeichnet haben. Und damit meine 
ich nicht die auslaendischen Kolleginnen und Kollegen. Ein 
persoenlicher Kommentar eines langjaehrigen Chronik-Reporters.
Nichts haben wir gelernt im Prozess gegen Josef F. Keine "Wahrheit" 
wurde gefunden, was angeblich die Aufgabe von Gerichtsprozessen ist. 
Das Landesgericht St. Poelten blendete mit groesster Anstrengung alle 
Fragen aus, die nicht unmittelbar mit der Person F. zu tun hatten. Wie 
es moeglich war, dass die Behoerden ihm erlauben konnten, zwei Kinder 
zu adoptieren ohne irgendwelchen ernsthaften Recherchen durchzufuehren 
etwa. Warum die Jugendwohlfahrt nicht einmal die offiziellen Kinder 
Josef F.s befragte, ob sie jemals geschlagen worden seien. Und wie sie 
ihre Kindheit erlebt haetten. Niemand wollte wissen, ob F. und seine 
Frau gute Eltern waren. Eine legitime Frage, wenn man ein Kind in 
Pflege gibt. Dass die leiblichen Verwandten nicht immer die beste 
Familie sind, weiss jeder, der mit offenen Augen durchs Leben geht. 
Dazu haette es nicht einmal den Fall Josef F. gebraucht. Warum niemand 
die Geschichte mit der Sekte hinterfragte, ist auch so eine Frage. 
Warum zwei Adoptionen zugelassen wurden, ohne dass die Beamten 
versucht haetten, den leiblichen Vater ausfindig zu machen. Der haette 
auch ein Mitspracherecht.
Ohne diese Antworten bleibt der Fall Josef F., bleibt das 
jahrzehntelange Leiden seiner Tochter kein Einzelfall. Ohne dass 
geklaert waere, ob die Behoerden nicht vielleicht die Gefangenschaft 
frueher haetten entdecken koennen oder zumindest frueher haetten 
Zweifel haben koennen, muss sich diese Gesellschaft auf die vage 
Zusicherung verlassen, die Behoerden haetten mittlerweile dazu 
gelernt, das koenne nicht mehr passieren. Daran hatte offenbar niemand 
Interesse. Vor allem nicht die heimische Journalistenmeute, die sich 
auf den Fall stuerzte und derart offensiv ein reaktionaeres und 
faschistoides Weltbild vertrat, ein Weltbild, das die Schreiber mit 
Josef F. gemeinsam haben, sodass ich mich zum ersten Mal in meinem 
Leben schaeme, Journalist zu sein. Mit diesen Menschen will ich nicht 
in einen Topf geworfen werden. Was Gratis-Schmierblaetter wie "heute" 
und "Oesterreich" an Mitmenschlichkeit und Intelligenz verbrochen 
haben, ekelt mich an. (Die Kronenzeitung ueberraschte positiv, 
gemessen an der Konkurrenz und ihren sonst ueblichen Kampagnen. Die 
Berichterstattung war nicht frei von Angriffen, aber weitgehend 
professionell, gelegentlich sogar gut). Dem britischen Boulevard 
standen sie in nichts nach. Mit ihrer Scheinheiligkeit uebertrafen sie 
ihn. Und mit dem plumpen Nationalismus haben sie jeden 
Faschismus-Vorwurf, den der auslaendische Boulevard erhob, geradezu 
eindrucksvoll bestaetigt. Die Scheinempoerung kannte und kennt keine 
Grenzen. In Oesterreich ist der Vorwurf der Besudelung schnell bei der 
Hand. Kritik vertraegt man nicht hierzulande.
Weder die Behoerden, die sich aus diesem Prozess herausreklamieren 
konnten, noch der heimische Boulevard, dessen Vertreter in den 
vergangenen Tagen selbst fuer einen abgebruehten Medienkonsumenten 
erschuetternde Einblicke in die Untiefen ihres Geistes gaben. So sehr 
geifern hab ich sie noch nie gesehen. Und nach Blut lechzen.
Eine logische Reaktion. Gemeinsam mit dem Gericht vernichteten sie 
Josef F. oeffentlich als Person. Das ersparte beiden, in die Abgruende 
der Seele zu schauen und die Gesellschaft zu hinterfragen, die diesen 
Menschen hervorgebracht hat. Josef F. war und ist krankhaftes Produkt 
und krankhafte Steigerung eines Systems, in dem die maennliche Macht 
ueber die Familie und vor allem deren weibliche Mitglieder immer noch 
als selbstverstaendlich angesehen wird. Das stand nicht vor Gericht.
Dass sogar sein Anwalt findet, er muesse "Busse" tun, zeigt wie tief 
verwurzelt der Rache-Gedanken ist. Ein Verurteilter muss leiden, Busse 
tun, Abbitte leisten. Und nochmal leiden. Kaschiert wird das mit 
abstrakten Formulierungen wie "Schuld an der Gesellschaft" und 
aehnlichem. In Oesterreich hat das einen unangenehmen Beigeschmack und 
nicht nur hier. Die USA sind in dieser Hinsicht noch schlimmer.
Als ob in einer modernen Gesellschaft der Gedanke an Strafe und Rache 
irgendeine Rolle im Strafrecht spielen duerfte. Der Mensch muss 
gedemuetigt, gebrochen werden. Und vorher an den Pranger gestellt. 
Archaische Rituale: Die rituelle Selbstreinigung einer Gesellschaft, 
die sich befleckt und ertappt gleichermassen fuehlt und die 
Moeglichkeit, eigene Aggressionen rituell und virtuell in 
Gewaltfantasien abzureagieren.
Seine Tochter, seine Familie, hat das Recht, so zu fuehlen. Sie sind 
traumatisiert. Fordern sie Rache, es ist ihnen nicht vorzuwerfen. Der 
Staat und die Gesellschaft haben dieses Recht nicht. Es gibt ein 
Strafrecht, um Blutrache hintanzuhalten und Verbrechern die 
Moeglichkeit zu geben, aus ihren Fehlern zu lernen. Manchmal auch, um 
gefaehrliche Menschen von der Gesellschaft fernzuhalten. Wie Josef F.
Josef F. gehoert so lange hinter Gitter, so lange er eine Gefahr fuer 
seine Angehoerigen ist. Und wenn die Gefahr "nur" darin besteht, dass 
ein Besuch bei seiner Tochter die Frau re-traumatisiert. Das darf 
nicht passieren. Um das zu verhindern ist es gerechtfertigt, ihn in 
einer Anstalt fuer geistig abnorme Rechtsbrecher unterzubringen. Es 
ist auch noetig, ihn einzusperren, um ihn vor Lynchjustiz und 
aehnlichem zu schuetzen.
Praktisch wird das auf lebenslaenglich hinauslaufen. Der Mann ist 73. 
Selbst wenn er 15 Jahre lang in einer (hoffentlich human gefuehrten) 
Anstalt durchhaelt - was soll man dann mit ihm machen? Er wird zu alt 
sein, um sich, selbst bei bestem Willen, in diese Gesellschaft 
re-integrieren zu koennen. Er wird nichts mehr sein als ein alter 
Haeftling, der sich nur mehr in einer Gefaengnis-Gesellschaft 
zurechtfindet. Ihn mit 88 oder 90 auf die Strasse zu setzen waere 
angesichts der nicht vorhandenen Erfolgschancen inhuman.
Aus dieser Ueberlegung heraus sind fast alle langjaehrigen 
Haftstrafen, die verhaengt werden, kontraproduktiv und inhuman. Sie 
resozialisieren Menschen nicht. Sie desozialisieren sie.
Nur als Selbstreinigungsritual war dieses Verfahren erfolgreich, 
wenngleich oberflaechlich. Oesterreich rehabilitierte sich vor sich 
selbst. Die Schuld wurde einem einzelnen aufgebuerdet. Mit "uns" hat 
das nichts mehr zu tun. Die staatliche Macht praesentiert sich als 
Retterin der "heiligen" Familie. Das Prinzip, wonach die Eltern 
selbstverstaendlich die Sexualitaet ihrer Kinder bis zu einem gewissen 
Alter kontrollieren duerfen, darf unhinterfragt bleiben. Dass diese 
krankhafte, extreme Form dieser Norm in einem Tribunal oeffentlich 
geaechtet wurde, bestaetigt die Norm. Das kleinbuergerliche Ideal wird 
hochgehalten, indem seine verabscheuenswerten Vertreter aus der 
Gesellschaft ausgestossen werden. Das Volk darf wieder ruhig schlafen. 
Bis der naechste Fall F. bekannt wird.
*Viktor Englisch*
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