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akin-Pressedienst.
Aussendungszeitpunkt: Dienstag, 10. Maerz 2009; 18:03
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Brasilien/Kommentar:

> WSF - Was ist moeglich in dieser Welt?

Wie man das Weltsozialforum auch sehen konnte

Von Lúcio Flávio Pinto*

Belém ist eine der brasilianischen Staedte mit den geringsten
Gruenflaechen, obwohl sie als Eingangstor zum Amazonas bezeichnet
wird, einem Gebiet, das ein Drittel der Regenwaldflaeche der Welt
besitzt. Die groessten Gruenflaechen in Belém befinden sich auf dem
Campus der beiden Bundesuniversitaeten, wo das einwoechige
Weltsozialforum, das am 1. Februar zu Ende ging, stattfand.

Die Parkflaechen des Campus sind umgeben von zwei der am dichtesten
bevoelkerten und gefaehrlichsten Bezirke, Gaumá und Terra Firme, wo
etwa 10 Prozent der 1,4 Millionen Einwohner von Belém leben und 14
Prozent der Kriminalitaet veruebt wird. Der Stadtteil Guamá ist durch
den Zuzug von Migranten aus dem Landesinneren entstanden, die aus
ihren angestammten Laendereien von den neuen Siedlern vertrieben
wurden, die die Viehwirtschaft und das Forstwesen mitbrachten und
damit die groesste Waldzerstoerung der Menschheitsgeschichte mit
verursacht haben. Der Stadtteil Terra Firme breitete sich durch die
Errichtung aermlicher Pensionen fuer die Land- und Waldarbeiter aus,
die zur Rodung der Laendereien herbeigeholt wurden, die man der
indigenen Bevoelkerung entwendet hatte.

In Terra Firme fanden vorbereitende Sitzungen des Forums statt. Man
wollte die Bevoelkerung staerker im Forum einbinden, dazu wurde auch
ein Treffen organisiert. Dieses Vorhaben musste aber mangels
Personalunterstuetzung und aufgrund der unerschwinglichen
Teilnahmegebuehr von 4 Dollar aufgegeben werden.

Waehrend des Forums ist kein einziges Problem dieser riesigen und
chaotischen Vororte von Belém diskutiert worden, obwohl sich hier
"Paar", die groesste horizontale Favela Brasiliens, mit 140.000
Einwohnern befindet. Nach Recife ist Belém die gewalttaetigste
Hauptstadt des Landes.

Das internationale Treffen hatte sich die Probleme des
Amazonasgebietes zum Hauptthema gemacht, schaffte es aber nicht ueber
die polizeiliche Barriere hinaus zu dringen, die es von den beiden
gefuerchteten Stadtbezirken trennte. Umgekehrt hat es jedoch eine
Bewegung der lokalen Bevoelkerung in Richtung des Forums gegeben,
allerdings nicht um dort teilzunehmen, sondern um den Teilnehmern
etwas zu verkaufen. Eine verstaendliche Annaeherung, weil Belém zu den
brasilianischen Staedten mit dem hoechsten Anteil an Arbeitslosigkeit
und Schwarzarbeit gehoert.

Hemdenkontrolle

Schon in der Vorbereitungsphase des Forums erkletterten die "Nachbarn"
die Grenzmauern der beiden Universitaetsgelaende mit Tischen, Tellern,
Essbestecke und zubereiteten Speisen, um gastronomische
Dienstleistungen fuer das Publikum zu erbringen. Spaeter als die
Sicherheitsmassnahmen hochgeschraubt wurden, begannen sie den 2.000
Freiwilligen, die fuer das Forum taetig waren, die Ausweise und Hemden
abzuknoepfen. Die Hemden waren naemlich ein wichtiger Ausweis fuer die
Kontrolle am Eingang des Forums. In einigen Faellen wurden sie von den
Freiwilligen schon vorher verkauft, da sie Geld fuer den Bustransport
brauchten. So geschah es immerhin, dass fuer die Peripherie der
Amazonas Metropole noch etwas von dem Jahresereignis abfiel, das
angeblich 90.000 Personen versammelte - eine Angabe, die angesichts
der Tausende Hemden die nicht verkauft worden sind, angezweifelt wird.

Es waren also die kulinarischen Beduerfnisse von Tausenden
Teilnehmern, die eine Beziehung herstellen konnten - zwischen denen
die gekommen waren, um Solidaritaet mit den Marginalisierten der
Globalisierung und Vertrauen in eine bessere Welt auszudruecken und
denen die eigentlich die Materialisierung dieser Utopien werden
sollten.

Die brasilianische Regierung hat mit 300 Polizeibeamten und 22
Millionen Dollar (Gesamtbudget des Forums: 70 Millionen) fuer
Sicherheit gesorgt, waehrend die Regierung des Bundeslandes (die
genauso wie die Bundesregierung von der Arbeiter Partei gestellt wird)
7.000 Polizisten in Belém bereitgestellt hat, um ein
Sicherheitsguertel rings um die beiden benachbarten Bezirke zu ziehen,
um die Forumsteilnehmer von der Routine der taeglichen 200 Verbrechen
zu verschonen. Tausende Bewohner wurden von den mobilen Streifen jeden
Tag untersucht. Die Bars der Stadt mussten um 22 Uhr schliessen. Es
herrschte ein Klima der Belagerung.

Dank diesen Sicherheitsvorkehrungen konnte sich die Gewalt nicht in
das Ambiente der Sitzungen des Weltsozialforums einschleichen. So
konnten die Teilnehmer des Mammuttreffens ohne Zeitverlust, ihre Ideen
und Vorschlaege ueber den Aufbau einer besseren Welt und einer
nachhaltig bewirtschafteten Amazonasregion austauschen. Die unbequeme
Realitaet, die vor dem Treffen herrschte, kann jetzt wieder weiter
umgesetzt werden, waehrend die Propheten, Gurus, Schueler und sonstige
Assistenten des guten Willens in ihre Heimat zurueckkehren, mit
denselben Gedanken und Bildern, die sie schon nach Belém gebracht
hatten.


(*) Lúcio Flávio Pinto ist Direktor des "Jornal Pessoal" (Persoenliche
Zeitung), die sich mit Korruption, Straffreiheit und wirtschaftliche
und oekologische Folgen der Ausbeutung des Amazonas auseinandersetzt.

Mit Dank fuer die Veroeffentlichungsrechte an inter press service
(IPS).


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