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akin-Pressedienst.
Aussendungszeitpunkt: Dienstag, 24. Februar 2009; 17:09
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Buecher:
> Kritische Solidaritaet
John Bunzl:
Israel im Nahen Osten.
Eine Einfuehrung
Boehlau Verlag, 2008
315 Seiten. 25,60 Euro.
John Bunzl hat eine umfassende und fesselnde "Zusammenschau" seiner
dreissigjaehrigen Forschungstaetigkeit vorgelegt. Das Buch ist ein
absolutes Muss fuer Jede/n, der die Genealogie der aktuellen Konflikte
im Nahen Osten verstehen und praktisch, solidarisch eingreifen
moechte.
Nach ueber 100 Jahren Zionismus (Theodor Herzls Buch " Der Judenstaat
" erschien 1896) kann keine kritische Sichtung der Dinge ueber den
Tatbestand hinwegsehen, dass der Zionismus keine adaequate Anwort auf
den vor allem gegen Ende des 19. Jahrhundert immer staerker
aufkeimenden Antisemitismus war und ist.
Anstatt den Antisemitismus aus der konkreten historischen Situation zu
erklaeren und auch im jeweiligen geschichlichen Kontext zu begegnen ,
bemuehten die zionistischen Theoretiker als Erklaerungsversuche die
juedische "Entfernung von der Urproduktion", d.i. vom Boden. Die
Erlangung eines eigenen Territoriums wird als "Vorausetzung fuer die
Errichtung einer juedischen Mehrheit in einer 'normalen',
'vollstaendigen' Gesellschaft angesehen" (S.17 ).
Dabei "uebersahen" die zionistischen Vordenker NICHT, dass das von
ihnen fuer die juedische Landnahme vorgesehe Territorium bereits
besiedelt war- naemlich von den PalaestinenserInnen. "... Die
einheimische Bevoelkerung konnte der Perspektive, kolonisiert und
majorisiert zu werden, von Anfang an verstaendlicherweise wenig
abgewinnen. Die viel zitierte Parole 'Das Land ohne Volk fuer das Volk
ohne Land' entsprach niemals einer historischen Realitaet." (S.222).
Konflikte mit der arabischen Bevoelkerung wurden von Beginn an in Kauf
genommen (S.22ff.).Wladimir Jabotinsky etwa formulierte bereits 1921:
"Ich kenne kein einziges Beispiel in der Geschichte, wo ein Land mit
der hoeflichen Zustimmung der einheimischen Bevoelkerung kolonisiert
wurde" (ebd.).
Via vermehrte juedische Einwanderung (S.37 ff) und "Transfer" der
PalaestinenserInnen (in die arabischen Nachbarstaaten) sollte eine
juedische Mehrheit und schliesslich ein juedischer Staat
zustandekommen. Kooperation - speziell mit dem englischen -
Imperialismus spielte dabei eine wichtige Rolle. Besonders tragisch:
die zionistische ArbeiterInnenbewegung war die "Avantegarde der
Kolonisation" (ebd). Um die eigene Rolle zu legitimieren, heisst es
schon bei Herzl, dass der "Judenstaat" einen "Wall der Zivilisation
gegen die Barberei" bilden wuerde (S.224).
Eine wahre Fundgrube, um die Komplexheit der behandelten Materie zu
verstehen, ist das Kapitel " Gescheiterte Loesungsversuche vor 1948 am
Beispiel des Kommunismus in Palaestina" (S.61ff.). Aber nicht nur die
stalinistische Stroemung der Arbeiterinnenbewegung verstrickte sich in
handfeste und heillose Widersprueche. Auch die TrotzkistInnen hatten
ihre Schwierigkeiten. Bunzl analysiert sehr differenziert ein Dokument
der IV.Internationale - nach Weltkrieg und Holocaust - aus dem Jahre
1947(S.93 ff.) und erkennt darin eine "Mischung aus realistischen
und...intentionalistischen Argumenten" (S.96).
Ein aeusserst informatives Kapitel beleuchtet die Rolle der Religion
im Nahost-Konflikt (S.191ff). Darin wird u.a. festgehalten, worin die
Ursache fuer die aktuelle "Konjunktur" des Islam zu sehen ist.
"Nationalismus" und "Sozialismus" waren anscheinend gescheitert und
der "Islam" wurde als Therapie nach innen und Waffe nach aussen
(wieder-)entdeckt" (S.199).
Aus der Fuelle der weiteren spannenden Analysen sei nur auf die
Schwaechen der israelischen Friedensbewegung (S.229ff.) oder die
"Asymmetrie des Oslo-Abkommens 1993" zulasten der PalaestinenserInnen
(etwa die Steigerung der Siedlungstaetigkeit) verwiesen (S.205 ff.).
John Bunzl macht es sich nirgends leicht und vermeidet einfache,
plakative Antworten. Die - kritische - Solidaritaet mit den verfolgten
und vertriebenen PalaestinenserInnen zieht sich wie ein roter Faden
durch das Buch. Zu recht wird aber ebenso festgehalten: "Eine
realistische Haltung erfordert jedoch anzuerkennen, dass eine neue
israelisch-juedische Nation/Gesellschaft zwar auf Kosten der
Palaestinenser und in einem kolonialen Prozess entstanden ist, aber
nichtsdestotrotz ein Faktum darstellt, das in jeder Konstellation
angemessen beruecksichtigt werden muss " (S.11).
*Hermann Dworczak*
Termin: Fleischerei, 19h, Disk: Wie prekaer ist die Situation in
Israel-Palaestina? Mit John Bunzl, Thomas Schmidinger sowie
palaestinensischen VertreterInnen in Wien. Ab 21h Jam-Fusion
"Jiddisch? Muslimisch? Orientalisch? 1070 Kircheng.44
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