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akin-Pressedienst.
Aussendungszeitpunkt: Dienstag, 24. Februar 2009; 17:24
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Religion/Glosse:

> Demokratie per Austritt

Die Sache mit dem Doch-nicht-Weihbischof: Katholische Laienbewegungen
glauben, einen Machtkampf mit dem Vatikan gewonnen zu haben -- oder
zumindest gegen gut vernetzte fundamentalistische Kreise. In Wahrheit
hat die katholische Obrigkeit in Oesterreich nur versucht, eine
Gross-Abstimmung mit den Fuessen zu verhindern. Gleichzeitig hat sie
es geschafft, die "kritischen" Laien fuer ihre Zwecke einzuspannen.
Und Oesterreich hat sich einmal mehr als katholisches Kernland
entpuppt.

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Dass ein Wiener Kardinal zugibt, auch ein Papst koenne Fehler machen,
mag Balsam fuer die gewesen, die sich fuer kritische und
demokratiebewegte Laien halten. Und mag es Christoph Schoenborn noch
so verklausuliert getan haben - die Aktivisten von "Wir sind Kirche"
und der "Laienbewegung" halten das fuer einen Sieg und heften es auf
ihre Fahnen. Sie wittern Morgenluft und von heute auf morgen sind die
laut Klagenden wieder treue Katholiken. In einer fuer
Kirchenverhaeltnisse ungewoehnlich guten Krisenbewaeltigungsstrategie
haben Schoenborn und Co eine Vertrauenskrise in ihr Gegenteil
verkehrt. Gestern traten Tausende aus, heute posieren Jugendliche
enthusiasmiert mit dem Kardinal auf Fotos und propagieren, man muesse
in der Kirche bleiben, um sie zu veraendern. Unter wohlwollendem
Beifall des Boulevards. Binnen weniger Tage wurde katholisch sein
wieder hip, wird es doch oeffentlich mit Aufmuepfigkeit und
Basisdemokratie in Verbindung gebracht. So gut hat die
Klerikal-Propaganda in den vergangenen Jahrzehnten kaum funktioniert.

Das schlechte Auftreten der Vatikan-Repraesentanten in Oesterreich
beim St. Poeltner Priesterseminar oder beim Groer-Skandal war den
handelnden Personen geschuldet und hat darueber hinweggetaeuscht, dass
die Kirche 2000 Jahre Erfahrung beim Umdeuten der Realitaet hat. Ihre
Anhaenger fallen immer wieder drauf rein. Das Zweite Vatikanische
Konzil etwa hat die patriachale Gemeinschaft als weltoffen,
gerechtigkeitsstrebend und auf der Seite der Schwachen und
Unterdrueckten stehend positioniert. Nach aussen hin. Ein bisschen
Kosmetik wie Jazz-Messen, ein paar scheinbare Zugestaendnisse und
schon hat die Religion ein ganz neues Bild. 70-er-Jahre-Projektionen
eines Urchristentums, inspiriert von religioesen Ablegern der Hippies,
haben engagierte Laienbewegungen geschaffen, die seit ein paar Tagen
ernsthaft glauben, sie haetten mitzureden. Beziehungsweise glauben sie
sogar, sie haetten ein Recht auf Mitsprache und auf Protest. Die
Regeln ihrer Kirche haben sie offenbar nicht gelesen. Und eine
kritische Exegese des Neuen Testaments abseits befreiungstheologischer
Umdeutungen (beziehungsweise der abgeschwaechten Version, die der
Vatikan jetzt verbreitet) kennen sie auch nicht. Lieber plappern sie
nach, Kommunismus und Urchristentum seien eigentlich dasselbe. Aber
religioesen Gefuehlen standen Wissen und Kritikfaehigkeit immer schon
im Weg. Auch Menschen wie Andreas Khol und Erhard Busek, die bei allem
Widerspruch zu ihrer politischen Haltung, als vernunftbegabt gelten
koennen, haben in den vergangenen Wochen geglaubt, ueber
Laienengagement etwas veraendern zu koennen. Wobei sie abermals eine
Faehigkeit demonstriert haben, Realitaeten zu verleugnen, die eine
gute Erklaerung fuer ihre lange politische Karriere ist.

Um diese Katholiken, die sich fuer kritisch halten, ging es weder
Schoenborn noch den anderen katholischen Bischoefen. Sie wollten die
beginnenden Massenaustritte stoppen. Und es duerfte ihnen gegen den
Strich gegangen sein, dass der Vatikan einen Weihbischof ernennen
wollte, den sie nicht im Vorhinein abgesegnet hatten. Gerhard Maria
Wagner war zu offensichtlich Produkt der Einfluesterungen klandestiner
erzreaktionaerer Gruppen der Kirche. Nicht, dass Schoenborn ihnen
ideologisch so weit fernstehen wuerde. Er bevorzugt es nur, sich bei
Meinungsverschiedenheiten durchzulavieren. Was er denkt, verbirgt er
hinter seinem Laecheln. Er darf bei monarchistischen Umtrieben aktiv
sein. Dem immer Freundlichen wirft das niemand vor. Seine
Gesinnungsfreunden, die die Kunst der Diplomatie und des
Kampflaechelns nicht beherrschen, wuerden mit den gleichen Handlungen
und Aussagen Massenproteste ausloesen. Jemanden, der diesen seltsamen
Konsens infrage stellt, kann er nicht brauchen. So jemand waere Wagner
gewesen. Beziehungsweise haette Wagners Weihe weniger diplomatischen
reaktionaeren Kreisen einen Machtzuwachs bescheren koennen. Dass man
seinen Rueckzug mit Protesten rechtfertigen konnte, kam vermutlich
nicht ungelegen.

Bemerkenswert ist auch der Umfang der Berichterstattung in den
vergangenen Wochen. Man konnte den Eindruck gewinnen, die Krise einer
Religionsgemeinschaft entscheide ueber Wohl und Weh des Landes und
nicht, wie man mit der groessten Wirtschaftskrise nach Jahrzehnten
umgeht. Ernstzunehmende Medien wie "profil" bemuehten gar den
Agnostiker Heinz Fischer um Stellungnahmen. Eine Aufmerksamkeit, die
in Kontrast zur schwindenen Mitgliederzahl der Kirche steht. Heute
sind oesterreichweit kaum zwei Drittel der Bevoelkerung katholisch. Es
gibt eine Million Bekenntnisloser, deren Interessen nicht vertreten
werden. Organisationen wie der Freidenkerbund agieren unter Ausschluss
der Oeffentlichkeit. Ihnen hoert niemand zu. Und wenn, werden ihre
Aussagen zu Religion und Religionsunterricht vom Boulevard als
"zweifelhaft", "bedenklich" etc. abqualifiziert.

Und gerade mit dieser Krise hat die katholische Kirche ihre
gesellschaftliche Stellung, die nicht ihren Verdiensten geschuldet ist
sondern historischen Privilegien, gefestigt. Das
patriachal-autoritaere System triumphiert - gerade dank derer, die
meinen, Demokratie hineingebracht zu haben. Vielleicht hat der Klerus
ja recht, wenn er seine Anhaenger verniedlichend als Schaefchen
bezeichnet. Schafe duerfen bekanntlich nicht waehlen.
*Viktor Englisch*



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