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akin-Pressedienst.
Aussendungszeitpunkt: Dienstag, 27. Jaenner 2009; 22:50
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Religion/Recht/Glosse:
"...mit Gottes Hilfe"
Durch Susanne Winter wurde eine Rechtsnorm wiederbelebt, der in einer 
aufgeklaerten Gesellschaft nichts verloren hat -- der §188 StGB.
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FPOe-Nationalratsabgeordnete Susanne Winter hat in mehr als einer 
Hinsicht einen unappetitlichen Praezedenzfall geschaffen. Um die 
Rechts-Aussenpolitikerin moeglichst oeffentlichkeitswirksam zu 
verurteilen, wurde ein Gesetz wiederbelebt, das in den naechsten 
Jahren vor allem kritische Oppositionelle mundtot machen koennte - 
seien es Liberale oder Linke. Und die Grazer Hobbyhistorikerin zeigt, 
dass man in Oesterreich sagen kann, was man will. Ernsthaft passieren 
wird nichts. Vorausgesetzt, man ist stramm rechts.
Vielleicht sollte es nicht verwundern, dass die 
Rechtsaussen-Opposition ein weiteres vorbestraftes Mitglied in ihren 
Reihen duldet. Die Partei bzw. mittlerweile die Parteien der 
Anstaendigen und Ehrlichen und ihre Funktionaerinnen und Funktionaere 
dokumentieren einmal mehr ihr gespanntes Verhaeltnis zum Rechtsstaat 
und seinen Vorschriften. Die gelten nur fuer die anderen. Dass die 
FPOe hinter jeder Verurteilung eines Mitglieds eine Verschwoerung 
wittert, sollte auch nicht sonderlich ueberraschen. Erhellender war 
vielmehr die Aussage von BZOe-Abgeordnetem Ewald Stadler. Er 
begruesste ausdruecklich, dass zum ersten Mal seit sehr langer Zeit 
jemand wegen Verstosses gegen Paragraf 188 verurteilt worden war. 
"Herabwuerdigung religioeser Lehren". Dass das "tote Recht" 
wiederbelebt worden sei, eroeffne auch die Moeglichkeit, die 
abzuurteilen, die das Christentum verspotten.
Vor fast genau einem Jahr habe ich an dieser Stelle die Aussagen 
Winters verurteilt und eine moegliche Verurteilung wegen Verhetzung 
begruesst. Im selben Kommentar habe ich mich dafuer ausgesprochen, 
Winter nicht wegen Paragraf 188 anzuklagen. Leider habe ich die damals 
schon in mir schlummernde Befuerchtung nicht ausgesprochen, dass 
dieser Paragraf, der lange Zeit nicht angewandt wurde, so wiederbelebt 
werden koennte. Zu sehr war ich in diesem Kommentar mit einer Analyse 
der Winterschen Aussagen beschaeftigt.
Es ist davon auszugehen, dass der reaktionaer-katholische Stadler und 
Gleichgesinnte unter Verweis auf die Verurteilung Winters eine 
Anzeigenflut gegen Kritiker starten werden, die sich satirisch oder 
polemisch mit der katholischen Kirche befassen. Oder einfach nur 
pointiert. Auch sie, so werden sie argumentieren, haetten "religioese 
Gefuehle", die des staatlichen Schutzes beduerfen. Der Gummi-Paragraf 
188 laesst eine solche Interpretation zu. Es ist zu befuerchten, dass 
Staatsanwaelte auf dieser Grundlage auch ernstzunehmende Kritiker 
verfolgen werden. "Glaeubige", die sich in ihren Gefuehlen verletzte 
sehen, werden sich ausreichend finden. Gerichte, die sich ihrer 
Meinung anschliessen, hoffentlich nicht. Wofuer es aber keine Garantie 
gibt.
Ungeachtet dessen wird es fuer Kritiker der bestehenden Verhaeltnisse 
sicher muehsamer werden, teurer und in gewisser Weise gefaehrlicher. 
Wenn sich jeder religioese Eiferer gerichtlich bestaetigt bemuessigt 
fuehlen darf, ihm Unliebsame der Blasphemie zu zeihen, ist ein gutes 
Stueck Rechtssicherheit mit einem Mal weg. Man wird sehen, was das 
fuer die Arbeit von Aufklaerern wie denen des Freidenkerbundes 
bedeutet.
Wenn man die Sache naeher betrachtet, hat das erstinstanzliche Urteil 
gegen Susanne Winter die Unnoetigkeit des 188er bewiesen. In der 
Urteilsbegruendung sagte der Richter, Winters Aussagen seien objektiv 
geeignet gewesen, Hass zu erzeugen. Zumindest soweit den Medien zu 
entnehmen war, war vom 188er nicht die Rede. Obwohl Winter auch 
seinetwegen schuldig gesprochen wurde.
Dass die Aussagen der nunmehrigen Nationalratsabgeordneten skandaloes 
waren und sich ein Gericht mit ihnen zu befassen haette, hat auch der 
Freidenkerbund damals klargestellt. Zwischen Religionskritik und 
rassistischer Polemik gegen eine Migrantengruppe, bei der Religion 
vorgeschoben wird, ist ein Unterschied. Dass diese Gesellschaft 
Probleme mit ihren Religionsgemeinschaften hat, ist evident. Das gilt 
auch fuer den Islam. Wie alle Religionen verursacht er auch 
spezifische gesellschaftliche Probleme. Das allen tuerkischen 
Einwanderern vorzuwerfen (und nur die hat Winter gemeint), ihnen 
anzudrohen, sie zurueck uebers Mittelmeer zu werfen, hat damit nichts 
zu tun. Die Probleme, die die tuerkischen Migranten in Oesterreich 
haben, sind primaer soziale Probleme. Mit Kritik an ihrer 
Mehrheitsreligion darf das nicht vermischt werden. Zumal man bei 
Winters Aussagen nicht von einer differenzierten Auseinandersetzung 
mit dem Thema sprechen kann. Ihr Ziel war Ressentiments zu schueren um 
Waehlerstimmen zu gewinnen. Eine bessere Gesellschaft stand und steht 
nicht auf ihrer Agenda. Schon gar nicht der Schutz der Kinder und 
Frauen, wie sie treuherzig beim Prozess versicherte. Laecherlicher 
haette sie sich kaum machen koennen. Uebertroffen wurde das nur von 
der Aussage, sie habe die Wahrheit "mit Gottes Hilfe" gesprochen.
Menschengruppen zu verunglimpfen und gegen sie zu hetzen, steht in 
unserer Gesellschaft zu Recht unter Strafe. Ein Mindestmass an Schutz 
vor Verleumdungen und Aufwiegelungen, an verbaler Diskriminierung ist 
ein begruessenswertes Rechtsgut, und wenn richtig gehandhabt, eine 
akzeptable Einschraenkung der Meinungsfreiheit. Die Integritaet einer 
Religion sollte kein eigenstaendiges Rechtsgut sein. Es stellt eine 
Art von Ueberzeugung ueber alle anderen. Warum ist es erlaubt, 
politische Ueberzeugungen zu verspotten und zu verunglimpfen, und 
Religionen nicht? Mit welchem Recht entscheidet ein Gesetzgeber, dass 
religioese Ueberzeugung inniger und tiefer ist als politische oder 
philosophische?
Diese Fragen hat der Winter-Prozess wieder aufgeworfen. Ohne es zu 
muessen. Winter waere den Worten des Richters zufolge auch verurteilt 
worden, haette es keinen Paragrafen 188 gegeben. Der Schutz 
tuerkischer Migranten vor freiheitlicher Hetze waere gegeben gewesen. 
Und das waere gut gewesen.
Ein gerechtfertigter, demokratisch notwendiger, Prozess hat dazu 
gefuehrt, dass ein ungerechtfertigtes, undemokratisches Gesetz wieder 
aktuell wird.
Statt die Spielregeln unserer parlamentarischen Demokratie 
festzulegen, hat dieses Urteil eine vergessene juristische Front 
eroeffnet, die berechtigte Formen der Kritik gefaehrdet. Der 
Demokratie hat dieser Aspekt des Urteils einen Baerendienst erwiesen - 
und mag es hundertmal die Richtige getroffen haben, die zu Recht wegen 
Verhetzung verurteilt wurde. Wegen "Herabwuerdigung religioeser 
Lehren" sollte in einer demokratischen Gesellschaft niemand vor 
Gericht stehen muessen. Nicht einmal Susanne Winter.
*Viktor Englisch*
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