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akin-Pressedienst.
Aussendungszeitpunkt: Dienstag, 13. Jaenner 2009; 18:15
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Asyl/Tuerkei:
> Konventionsfluechtling in Schubhaft
In Oesterreich schuetzt sogar die Anerkennung als Fluechtling erster 
Klasse nicht unbedingt vor der Auslieferung an den Verfolgerstaat.
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Am Samstag, dem 03.01.2009, wurde der von der Schweiz und von 
Deutschland anerkannte Konventionsfluechtling Mesut Tunç in 
Oesterreich aufgrund eines internationalen Haftbefehls der tuerkischen 
Behoerden festgenommen und sitzt seither in der Justizvollzugsanstalt 
Salzburg in Auslieferungshaft.
Er hatte Freunde in Wien besucht und befand sich mit seiner ebenfalls 
asylberechtigten Frau und seinen Kindern in der Westbahn auf der 
Rueckreise in die Schweiz, wo die Familie ihren Wohnsitz hat.
Wegen seiner politischen Aktivitaeten fuer eine linksgerichtete Gruppe 
(DHKP-C) war Mesut Tunç in der Tuerkei jahrelang inhaftiert, wurde 
gefoltert und zu lebenslanger Haft verurteilt. Die tuerkischen 
Behoerden beschuldigten ihn der Mitgliedschaft in einer 
"Terrororganisation" und der Teilnahme an bewaffneten Aktionen, die 
1994 stattgefunden haben sollen.
Im Jahre 2002 beteiligte er sich am Todesfasten fuer bessere 
Haftbedingungen und gegen die Einfuehrung von Isolationszellen. Wegen 
seines Gesundheitszustandes wurde seine Haft kurzfristig ausgesetzt. 
Er nuetzte die Gelegenheit zur Flucht nach Deutschland, beantragte 
Asyl und wurde vom dortigen Bundesamt als Fluechtling anerkannt.
Aus familiaeren Gruenden verlegte er seinen Lebensmittelpunkt im Jahre 
2005 in die Schweiz, wo seine Gattin (ebenfalls anerkannter 
Fluechtling) lebt, und erhielt mit Bescheid vom 29.5.2008 auch dort 
Asyl.
Bemerkenswert ist, dass die Schweizer Behoerden ihn im Asylbescheid 
warnten, "dass die Anerkennung als Fluechtling lediglich fuer die 
Schweiz gilt. Unser Land verfuegt nur ueber sehr beschraenkte 
Einwirkungsmoeglichkeiten, sollten Sie im Ausland im Rahmen eines 
Straf- oder Auslieferungsverfahrens behoerdlichen Massnahmen 
ausgesetzt sein."
Ein im deutschen Asylverfahren vorgelegter Befund des Psychosozialen 
Zentrums des Evangelischen Regionalverbandes Frankfurt am Main 
bescheinigt ihm eine posttraumatische Belastungsstoerung mit 
andauernder Persoenlichkeitsaenderung und eine durch das Todesfasten 
ausgeloeste hirnorganische Schaedigung (Wernicke-Korsakoff-Syndrom), 
die ihn staendig hilfsbeduerftig macht.
Obwohl er als anerkannter Fluechtling gemaess Artikel 33 der Genfer 
Fluechtlingskonvention nicht in ein Land ausgewiesen werden darf, wo 
ihm Verfolgung droht, und obwohl Artikel 3 der Europaeischen 
Menschenrechtskonvention das Folterverbot festschreibt, sitzt Mesut 
Tunc in Auslieferungshaft.
Im Fall seiner Auslieferung in die Tuerkei erwartet ihn dort die 
sofortige Inhaftierung und neuerliche Folter. Infolge seiner 
schlechten Gesundheit bedeutet dies aller Voraussicht nach seinen Tod.
Das Vorliegen von Ausnahmeklauseln im Sinne der Konvention 
(Gefaehrdung der Sicherheit Oesterreichs, schwere nichtpolitische 
Verbrechen u.dgl.), welche die Auslieferung rechtfertigen koennten, 
wurde von den oesterreichischen Behoerden bisher - soweit aus dem uns 
bisher vorliegenden Akt ersichtlich - nicht geltend gemacht; auch 
waren solche Vorbehalte von den deutschen und Schweizer Asylbehoerden 
zu pruefen und nicht von Oesterreich.
Tuerkische Begehren: Kein Einzelfall
Die Warnung, dass im Ausland ein Konventionsstatus nicht anerkannt 
werden koennte, ist mittlerweile "eine Standardformulierung, mit der 
sich das Eidgenoessische Justiz- und Polizeidepartement die Haende in 
Unschuld waescht", wie ein Schweizer Unterstuetzungskomitee mitteilte. 
Diese Formulierung ist das Ergebnis aehnlich gelagerter Faelle aus den 
Jahren 2000 (Naci Oeztuerk) und 2003 (Huesseyin Sevinç) bei denen das 
schweizerische Bundesamt fuer Justiz von den Auslieferungsersuchen der 
Tuerkei gegen diese beiden anerkannten und zu diesem Zeitpunkt bereits 
in der Schweiz eingebuergerten Fluechtlinge wusste, diese aber nicht 
informiert hat. Damals haben sozialdemokratische und gruene 
NationalraetInnen gefordert, dass die Betroffenen gewarnt wuerden - 
was die Behoerden unter Hinweis auf die Vertraulichkeit des 
Rechtshilfe- und Interpolverkehrs ablehnten.
Naci Oeztuerk sass rund 70 Tage in Slowenien in Haft. Er war damals 
auf dem Weg mit der Familie in die Ferien in Kroatien und war an der 
slowenisch-kroatischen Grenze verhaftet worden. Die Tuerkei schickte 
ein Auslieferungsersuchen, das in Slowenien erst in der zweiten 
Instanz zurueckgewiesen wurde.
Huesseyin Sevinç sass ueber hundert Tage in Freiburg/Breisgau 
(Deutschland) in Haft, bevor das Oberlandesgericht Karlsruhe seine 
Freilassung beschloss. Sevinç strengte dann einen Prozess gegen die 
schweizerischen Behoerden an und gewann ihn 2006. Das Bundesgericht 
sah die Notwendigkeit der Staatshaftung der Schweiz, weil deren 
Behoerden ihn nicht gewarnt hatten...
Auch der oesterreichische Staatsbuerger Mustafa Akguen (heute Obmann 
der Gesellschaft fuer bedrohte Voelker, Sektion Oesterreich) wurde im 
Jahre 2002 bei einem Urlaub in Bulgarien verhaftet, weil der 
tuerkische Geheimdienst ihn per Interpol verfolgte. Nur mit Muehe und 
dank vielen Protesten gelang es damals, Akguens Auslieferung zu 
verhindern, sodass er aus Bulgarien nach Oesterreich zurueckkehren 
konnte.
Jahre zuvor hatte die Tuerkei von Oesterreich verlangt, Mustafa Akguen 
auszuliefern, jedoch ohne Erfolg. Die oesterreichische Justiz hatte 
vielmehr selbst die Vorwuerfe gegen Akguen geprueft und das Verfahren 
eingestellt.
(Asyl in Not/bearb.)
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Protestmails: Fuer die Verhaengung der Auslieferungshaft ueber Mesut 
Tunç ist die Staatsanwaltschaft Salzburg zustaendig. Sie untersteht 
dem Bundesminister fuer Justiz. Emails daher bitte an:
ministerbuero{AT}bmj.gv.at
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