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akin-Pressedienst.
Aussendungszeitpunkt: Dienstag, 13. Jaenner 2009; 18:45
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Israel/Palaestina/Buecher:
> Begriffsklaerungen im Gaza-Konflikt
John Bunzl / Alexandra Senfft (Hrsg.):
Zwischen Antisemitismus und Islamophobie
Vorurteile und Projektionen in Europa und Nahost
Hamburg 2008. 255 Seiten. 20,40 Euro
Zu einem Zeitpunkt, wo die Bevoelkerung des Gaza neuerliche, schwerste
Leiden erfaehrt und selbst fundierte und differenzierte Kritik an der
moerderischen Politik der israelischen Regierung als "Antisemitismus"
abqualifiziert wird, ist es unerlaesslich, die Begriffe zu schaerfen
und die realen historischen Wurzeln des Nahost-Konflikts zu
beleuchten.
Der von John Bunzl und Alexandra Senfft herausgegebene Reader
"Zwischen Antisemismus und Islamophobie - Vorurteile und Projektionen
in Europa und Nahost" traegt wesentlich zur Begriffsklaerung bei.
"Islam, Islamismus und terroristischer Extremismus sind bekanntlich
nicht ein und dasselbe, und es gibt auch nicht EINEN Islam,
ebensowenig wie es ein Juden- oder ein Christentum gibt" (S.11).
Quer zu theologisch-religioesen Argumentationsmustern geht Matti Bunzl
in die historische Konkretion: "Antisemitismus und Islamophobie
muessen daher aus einer saekularen Sichtweise verstanden werden und
das entlarvt sie als zeit- und ortsspezifische Phaenomene.
Antisemitismus hat seinen Ursprung im spaeten 19.Jahrhundert... Im
Gegensatz dazu kam Islamophobie erst vor relativ kurzer Zeit auf,
angefeuert durch Geopolitik und vorher nie dagewesene
Bevoelkerungsbewegungen, durch die Millionen Muslime nach Europa
kamen" (S.60f.).
Ansteigender Antisemitismus wird von den AutorInnen mit Besorgnis
registriert. Etwa wenn der Exkommunist Roger Garaudy, der die Existenz
von Gaskammern anzweifelte, in arabischen Haupstaedten gefeiert und
vom syrischen Vizepraesidenten empfangen wurde! (S.137 f.)
Antisemitismus wird jedoch nicht enthistorisiert, sondern konkret
geschichtlich verortet." Wenn junge ausgegrenzte Muslime franzoesische
Juden angreifen, dann nicht aus dem Interesse heraus, ein ethnisch
reines Frankreich zu schaffen... Im Gegenteil. Sie greifen Juden eben
deshalb an, weil sie sie als Teil einer europaeischen Hegemonie
begreifen, die sie nicht nur in Frankreich marginalisiert, sondern die
aus ihrer Sicht auch fuer die Leiden der Palaestinenser verantwortlich
ist" (S.65f.). In die gleiche Kerbe schlaegt der empirisch
reichhaltige Beitrag von Paul A. Silverstein: "Der Zusammenhang von
Antisemismus und Islamophobie in Frankreich" (S.88ff.). "Das
andauernde Erleben von Rassismus und Ausgrenzung im Alltag vieler
franzoesischer Maghrebiner zeigt, dass das manichaeische Weltbild, wie
es Frantz Fanon im spaeten kolonialen Algerien gesehen hat, auch eine
zutreffende Beschreibung der gegenwaertigen Realtaet ist" (S.90).
Ohne auch nur im mindesten die Singularitaet des Holocaust zu in Frage
zu stellen, verweist Brian Klug zu recht darauf, dass "Israel
Parallelen zwischen den Palaestinensern und den verfolgten Juden
vergangener Zeiten schafft" (S.86). Zitiert wird der
Holocaust -Ueberlebende Primo Levi, der im Anschluss an die Invasion
im Libanon im Juni 1982 sagte: "Jeder ist irgendjemandes Jude und
heute sind die Palaestinenser die Juden der Israelis" (ebd.)
Ins Zentrum des Problems fuehrt schliesslich Alexander Flores' Beitrag
"Arabischer Antisemitismus in westlicher Perspektive" (S.145 ff). "Der
Zionismus, entstanden als juedisch-nationalistische Defensivbewegung
gegen verschaerften Antisemismus in Europa, wurde in Palaestina zur
Kolonisierungsbewegung und verband sich mit den imperialen Interessen
europaeischer Maechte, ohne deren Protektion die Realisierung seines
Ziels undenkbar war" (S.152 ). Die "Feindschaft" der Palaestinenser
gegen den juedischen Staat laesst sich "aus dem Schaden erklaeren, der
den Palaestinensern aus der Realisierung des zionistsichen Projekts
und spaeter aus der israelischen Politik erwuchs. Sie ist nicht an
sich antisemtisch. Sie wird es erst, wenn sie als Feindschaft gegen
Juden ALS JUDEN artikuliert wird" (S.152 f.)
*Hermann Dworczak*
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