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akin-Pressedienst.
Aussendungszeitpunkt: Dienstag, 16. Dezember 2008; 21:09
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Griechenland:
Der Rauch ueber Athen verzieht sich. Vielleicht sieht man jetzt etwas
klarer. Zwei bruchstueckhafte Beitraege zur Hilfestellung:
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> Ein Akt des puren Hasses?
Zahlreiche Augenzeugen haben sich in den letzten Tagen gemeldet,
darunter solche, die bezeugen, dass Epaminondas Korkoneas, der
mutmassliche Moerder des Jugendlichen Alexandros Grigoropoulos, direkt
auf die Jugendlichen gezielt hatte und nicht in die Luft oder auf den
Boden geschossen hatte, wie er selbst zu Beginn behauptet hatte. Am
Wochenende wurden Beobachtungen bekannt, die unmittelbare Freunde von
Alexandros gemacht haben. Der 15-jaehrige Nikos erzaehlt von den
letzten Augenblicken im Leben seines Freundes und Schulkollegen. Das
Interview stammt aus der Eleftherotipia, der besten und kritischsten
Tageszeitung Griechenlands.
Auf die Frage, wann er sich mit Alexandros getroffen habe, berichtet
er Folgendes:
"Genau erinnere ich mich nicht, es war ungefaehr 45 Minuten vor dem
Vorfall. Ich wartete etwa drei, vier Minuten lang auf ihn. Als er kam,
gingen wir in ein Geschaeft und kauften was zu essen und zwei
Getraenke. Dann gingen wir wieder zum Gehsteig auf der
Messolongiou-Strasse, dort wollten wir essen und uns unterhalten.. ...
Wir waren gerade dabei, das aufzuessen, was wir eingekauft hatten und
redeten miteinander, da hoerten wir einen ordentlichen Knall.
Einigermassen in unserer Naehe, sodass wir ihn hoeren konnten, aber so
weit weg, dass wir nicht verstanden was vor sich ging.
Nach eineinhalb Minuten hoerten wir, wie etwa 4 oder 5 Passanten
sagten: 'Die Bullen kommen, da ist was los!' Aus Neugier ging ich mit
Alexandros in die Mitte der Tzabella-Strasse, wir wollten sehen, was
da los war.. ... Aus einer Entfernung von 15 bis 20 Metern sahen wir
zwei Polizisten. Der eine war kleiner als der andere. ... Neben uns war
niemand weiterer. Alexandros war vor mir.... Als die Polizisten ...
stehenblieben, hatte sie jeweils eine Hand, ... an den Waffen, die
noch im Schaft waren. ... Jemand warf von hinten mit einer leeren
Plastikflasche und traf natuerlich die Polizisten nicht. Ich hab
vergessen zu erwaehnen, dass, als ich die Polizisten sah, sie
anfingen, mich und Alexandros anzupoebeln, sie sagten: ´Tha sas g. tin
Panajia´ [Anm.: etwa: Fick dich!], ´Komm mal her, dass du mal siehst,
wer hier der Kerl ist!´ und Aehnliches.
Als nun jemand diese Plastikflasche warf, da nahmen die zwei, wenn ich
nicht irre, ihre Waffen aus den Futteralen und zielten nach vorne,
dass heisst dorthin, wo wir uns befanden, ich, Alexandros und der
andere, und dann waren drei aufeinanderfolgende Schuesse zu hoeren.
Ich vergass zu sagen, dass ich sicher bin, dass einer der beiden
Polizisten die Waffe mit beiden Haenden umfasste. Ich sah - und da bin
mir ich absolut sicher - dass die Polizisten weder in die Luft noch
nach unten schossen. Sie zielten in unsere Richtung und sie schossen."
Ein Akt der Rache, ein Akt des puren Wahns, des Hasses? Es gibt viele
Erklaerungen oder Mutmassungen; unter den vielen Beitraegen/Berichten
in Griechenland faellt einer auf, den Indymedia Athen veroeffentlicht
hat und demzufolge der Schuetze Korkoneas ein Mitglied der brutalsten
nationalsozialistischen Gruppierung des heutigen Griechenland sein
soll, Chrisi Avji ("Goldene Morgenroete"). Korkoneas soll Indymedia
Athen zufolge, aus einer Familie von Nazikollaborateuren stammen, den
sogenannten Tagmatasphalites. Die Tagmata Asphalias
(Sicherheitsbataillone) waren waehrend der deutschen Besatzung ueble
Moerderbrigaden, von einem oesterreichischen Nazi angefuehrt, Walter
Schimana, der in Jugoslawien hingerichtet wurde.
Fuer den 20. 12. hat die Vollversammlung des besetzten Politechnio in
Athen zu einem internationalen Protesttag aufgerufen.
*Aug und Ohr / stark bearbeitet*
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> Die Wut der Dozenten: "Neues Bewusstsein, aus Blut entstanden"
Pavlos Nerantzis berichtete am 9.Dezember fuer die italienische
Tageszeitung "il manifesto" aus Athen:
Voller Wut und Schmerz ueber das, was geschehen ist, aber auch voll
harter Kritik an der konservativen Regierung sind die Aeusserungen der
Universitaetsprofessoren, die wir um einen Kommentar zu der
Mobilisierung der Schueler und Studenten in Griechenland gebeten
haben. Eine Mobilisierung, die ohne Gleichen ist. Die
Universitaetsdozenten haben den Generalstreik am 10.Dezember 2008
gegen die Hochschulreform vorverlegt und bereits gestern keine
Lehrveranstaltungen abgehalten, genauso wie es sehr viele griechische
Schulen taten, die von den Schuelern besetzt wurden, bevor die
Regierung erklaerte, dass sie im ganzen Land fuer einen Tag
geschlossen wuerden.
Jannis Mylopoulos ist Professor am Politechnikum von Saloniki: "Die
Massenmobilisierung der Schueler und Studenten ist aufgrund ihres
Ausmasses, ihrer Staerke und Spontaneitaet unglaublich. Der Mord war
der Tropfen, der das Fass zum Ueberlaufen brachte, weil die
griechische Polizei ueblicherweise in einer autoritaeren und oftmals
willkuerlichen Weise agiert. Der Unterbau der Macht, die
halbstaatliche Mafia, die von der Rechten seit der Gruendung des
griechischen Staates [1830] geschaffen wurde, hat, dieses Mal dank der
Politik der Regierung Karamanlis, ihre Taetigkeit bis in unsere Tage
fortgesetzt. Die grosse Frage ist, welcher politischen Kraft es wie
gelingen wird den Buerger von heute an davon zu ueberzeugen, das er
einen Staat vor sich hat, der in der Lage ist, ihn vor Amtsmissbrauch
/ Uebergriffen und Misshandlungen zu schuetzen."
"Die Jugend sieht die Unfaehigkeit der politischen Kraefte, zu
regieren und die Ausweglosigkeit der eigenen Zukunft", sagt Zissis
Papadimitriou (Soziologieprofessor an der Rechtswissenschaftlichen
Fakultaet der Universitaet Saloniki). "In unserem Land gibt es auf
politischer Ebene keine wirkliche Alternative. Die Tatsache, dass
diese Protestdemonstrationen spontan sind, schliesst nicht aus, dass
in naeherer Zukunft in Griechenlands politischem System neue Kraefte
auftauchen koennen. Abgesehen davon ist sicher, dass diese Erfahrung
bei allen Jugendlichen, die sich an den Mobilisierungen beteiligen, zu
einem politischen Bewusstsein fuehren wird. Leider glaenzt die Welt
der Kultur allerdings durch Abwesenheit. Ein Teil meiner Kollegen
steht der Zukunft dieses Landes vollkommen gleichgueltig gegenueber,
waehrend andere inzwischen Teil des Establishments geworden sind."
Triantafyllos Mytafidis ist Vorsitzender der Lehrerverbandes der
weiterfuehrenden Schulen [Anm.: Sekundarstufe 2, in der Regel fuer die
14 bis 19jaehrigen Schueler] und war waehrend des [Anm.: von 1967 -
1974 herrschenden, rechtsradikalen] Obristenregimes politischer
Gefangener: "Nach den Skandalen mordet die Regierung Karamanlis jetzt.
Es gibt einen sehr wichtigen qualitativen Sprung in ihrer
Repressionspolitik, nachdem sie uns bisher an die Verelendung, die
Kommerzialisierung des Gemeineigentums, den Diebstahl der Gelder aus
unseren Sozialversicherungskassen und an einen allgemeinen
Autoritarismus gewoehnt hatte. Die Trostlosigkeit und Wut der Schueler
und Studenten muss sich in eine treibende Kraft fuer neue soziale
Kaempfe verwandeln."
(Uebersetzung und Anmerkungen: Rosso, Gewerkschaftsforums Hannover /
erhalten via Labournet Austria)
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