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akin-Pressedienst.
Aussendungszeitpunkt: Dienstag, 2. Dezember 2008; 20:01
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Regierungspakt:
> Beaengstigende Einigkeit
Weisser Rauch ueber dem Ballhausplatz. Wir haben eine neue Regierung. 
Und ein 267 Seiten starkes Regierungsabkommen, das, so die meisten 
Kommentatoren, eine Menge Sollbruchstellen aufweise. Wenn man sich 
aber anschaut, worin sich die Koalitionspartner einig sind, kann man 
die Sollbruchstellen nur als Hoffnungsmomente ansehen. Ein Rundblick 
ueber kritische Reaktionen, die wir zum Teil stark gekuerzt 
wiedergeben:
Militaerpolitik
"Das Bundesheer soll … zum gesamten militaerischen Aufgabenspektrum 
der Europaeischen Sicherheits- und Verteidigungspolitik auch nach 
kurzen Vorwarnzeiten beitragen koennen. Das betrifft auch die 
Wahrnehmung der Teilnahme an schnellen Krisenreaktionskraeften der EU 
(Battle-Groups-Konzept) und die Weiterentwicklung des Beitrages dazu 
auf Basis der Erfahrungen der fuer 2011 und 2012 festgelegten 
Teilnahmen. … Ein Schwerpunkt dabei ist die Erreichung des bestehenden 
EU-Planungsziels (‚Headline Goals 2010’). Gleichzeitig wird auf das 
ambitionierte Ziel hingearbeitet, kurzfristig verfuegbare, 
strukturierte Kraefte zur Fuehrung einer multinationalen 
Framework-Brigade mit Aufgaben im gesamten Spektrum der 
Petersberg-Aufgaben neu ins Ausland zu entsenden." (aus: 
SP-/VP-Regierungsuebereinkommen, Nov. 2008, 139 f.)
Was steckt hinter diesem trockenen Militaerjargon? Einige 
Erlaeuterungen:
* "Das gesamte Spektrum der Petersberg-Aufgaben" ist eine 
euphemistische Uebersetzung fuer: Militaerinterventionen auf der 
ganzen Welt bis hin zum offenen Angriffskrieg. Die renommierte 
Militaerzeitschrift "Europaeische Sicherheit" fasst etwa unter dem 
"oberen Spektrum der Petersberg-Aufgaben" Kriege wie den NATO-Angriff 
auf Jugoslawien im Jahr 1999 (vergl. Europaeische Sicherheit, 2/2002).
* "Head-Line-Goal 2010" (HLG 2010) der EU: Das ist jenes 
Streitkraefte-Ziel mit dem die EU solche Kriege in Hinkunft ohne 
Rueckgriff auf US- und NATO-Infrastrukturen eigenstaendig durchfuehren 
koennen will. Das HLG 2010 umfasst zu diesem Zweck eigenstaendige 
Kommando-Strukturen, Errichtung der dafuer notwendigen 
"Battle-Groups", Transport-Kapazitaeten zur Luft und See (inkl. 
Flugzeugtraeger) und schliesslich die Militarisierung des Weltraums, 
um die sog. "netzwerkzentrierte Kriegsfuehrung" zu erreichen, also die 
Faehigkeit zu jenen High-Tech-Blitzkriegen, wo -- wie gegen 
Jugoslawien, Afghanistan und Irak – mit Hilfe weltraum-gestuetzter 
Satellitenkapazitaeten die gesamte Logistik und Feuerkraft der Boden-, 
See- und Luftstreitkraefte kombiniert zum Einsatz gebracht werden 
kann.
Qualitativ neu an dieser Regierungsuebereinkunft ist mehrerlei:
1) Die mehrfache Betonung, dass man am "gesamte Spektrum der 
Petersberg-Aufgaben" teilnehmen wolle. D.h. nix mehr mit 
Sanitaetseinheiten und Fluechtlingshilfe, jetzt wird in der vordersten 
Frontlinie draufgehalten.
2) Das Anstreben von Fuehrungsaufgaben bei solchen Kriegseinsaetzen.
3) Kein UNO-Mandat als Voraussetzung oesterreichischer Teilnahme (hier 
wird die aalglatte Formulierung des EU-Reformvertrags verwendet, die 
Militaereinsaetze sollten im "Einklang mit den Grundsaetzen der Charta 
der Vereinten Nationen" erfolgen. Der kleine semantische Unterschied 
zwischen Einhaltung der gesamten UN-Charta und nur der "Grundsaetze 
der UN-Charta" ist politisch ein riesengrosser, denn er bedeutet: die 
EU nimmt sich das Recht heraus, sich selbst zu mandatieren, also den 
UNO-Sicherheitsrat zu umgehen.)
(Werkstatt Frieden & Solidaritaet)
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Polizei, Ueberwachung, Grundrechte
Bei der inneren Sicherheit meint die neue Regierung, dass es "ohne 
Sicherheit keine Freiheit" gaebe und spricht von "modernen 
Fahndungsmethoden bei gleichzeitiger Garantie und strenger Wahrung der 
Grundrechte." Der Austausch von DNA-, Fingerabdruck- und KFZ-Daten 
soll im Rahmen des Pruemer Vertrages mit allen EU-Mitgliedsstaaten 
intensiviert werden. In den Laendern des Westbalkans sollen "Single 
Points of Contacts zur Gewaehrleistung des Informationsflusses und des 
Datenaustausches" geschaffen werden. Im Zuge einer "DNA-Offensive" 
soll das Ergebnis eines laufenden Pilotprojekts zur flaechendeckenden 
DNA-Auswertung die "Grundlage fuer weitere Anwendungsmoeglichkeiten" 
bilden, was jedoch unter einem Finanzierungsvorbehalt steht.
Auch der Bundestrojaner findet sich im Regierungsprogramm, wenngleich 
ebenfalls unter Finanzierungsvorbehalt. Er soll dazu dienen "Terror an 
der Wurzel zu bekaempfen und verhindern". Spionageabwehr und 
Spionagepraevention sollen verstaerkt werden. "Die Uebermittlung und 
der Austausch von Daten ueber Hooligans" zwischen Vereinen und 
Behoerden "muss ermoeglicht werden." Reisepaesse und Visa sollen "mehr 
Sicherheit durch Biometrie" erfahren, wozu auch Fingerabdruecke in 
Reisepaessen zaehlen. Zur Kostensenkung sind gemeinsame Visa- und 
Biometrie-Zentren mit anderen Schengenlaendern und die Pruefung von 
Outsourcing vorgesehen.
"Moderne grund- und menschenrechtliche Standards" erforderten eine 
Neufassung des Versammlungsgesetzes. Versammlungen sollen nicht mehr 
lange im Voraus angemeldet werden koennen; und die "Interessen 
unbeteiligter Dritter" sollen bei der Anmeldung Beruecksichtigung 
finden. Damit koennten etwa Demonstrationen auf vielbefahrenen 
Strassen untersagt werden.
Fuer private Videoueberwachungen sollen groesstenteils keine 
individuellen Genehmigungsverfahren mehr erforderlich sein. Dies soll 
durch die Schaffung von "Standardanwendungen fuer gleich gelagerte 
Faelle (Trafiken, Juweliere, etc.)" erfolgen. Im Datenschutzgesetz 
soll zudem klargestellt werden, dass der Datenschutzkommission im 
Bereich Strafrechtspflege der Kriminalpolizei keine Zustaendigkeit 
zukommt. Die Justiz soll "Massnahmen zur Geheimhaltung von 
Informationen in besonders sensiblen Verfahren" treffen, wofuer 
"Systeme qualifizierter Geheimhaltung" einzurichten seien. Das 
Amtsgeheimnis soll strafrechtlich staerker geschuetzt werden. Ein 
Informationsfreiheitsgesetz findet sich nicht im Regierungsprogramm.
(Daniel AJ Sokolov auf Heise Online)
Volltext: http://www.heise.de/ct/hintergrund/meldung/119424
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Asyl- und Migrationspolitik
"Das Asyl- und Migrationskapitel im Regierungsuebereinkommen hat 
offensichtlich die OeVP diktiert unter Einfluesterung der FPOe. Es ist 
nicht einmal mehr von einer Evaluierung des Fremdenrechtspakets die 
Rede. Das zumindest hat die SPOe vor Monaten noch gefordert. Dass die 
SPOe nun auch das schwarz-orange Staatsbuergerschaftsgesetz 
unangetastet lassen moechte passt in ihr Verhaltensmuster", kritisiert 
die Menschenrechtssprecherin der Gruenen, Alev Korun. "Beim 
Bleiberecht geht es gleich noch einmal einen Schritt zurueck, obwohl 
der Verfassungsgerichtshof eine Reparatur des verfassungswidrigen 
Kapitels ueber die Vergabe humanitaerer Aufenthaltsgenehmigungen bis 
Maerz 2009 vorschreibt", erlaeutert Korun. Die Formulierung im 
Regierungsabkommen, dass "eine Neuregelung des humanitaeren 
Aufenthaltes ueberhaupt entfaellt und im wesentlichen ins 
Niederlassungsverfahren eingegliedert werde" klingt da eher als 
gefaehrliche Drohung als nach einer rechtstaatlichen und fairen 
Loesung. "Asyl wird ueberhaupt nur noch mit Kriminalitaet 
gleichgesetzt und weiter munter am Qualitaetsabbau im Asylverfahren 
gearbeitet. Das alles zugunsten einer nur scheinbaren Beschleunigung 
des Asylverfahrens, wie die aktuelle Statistik zeigt. Die 
Aktenerledigungszahlen sind naemlich von Jaenner bis Oktober um neun 
Prozent im Vergleich zum Vorjahr noch einmal kraeftig gesunken. Also 
weiter wie bisher, Hauptsache es wird verschaerft", kritisiert Korun.
(Aussendung der Gruenen)
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Universitaeten
Die Koalition plant die flaechendeckende Einfuehrung von quantitativen 
Zugangsbeschraenkungen in allen Doktoratsstudien und laesst den 
Universitaeten mit den so genannten "verpflichtenden 
Studieneingangsphasen" eine Hintertuer, um bereits fuer 
Bachelor-Studien Zugangshuerden aufzustellen. Denn eine Universitaet 
braucht die Pruefungen in diesen Studieneingangsphasen nur 
entsprechend schwer gestalten, um die Zahl der Weiterstudierenden zu 
beeinflussen. Eine solche Regelung ist aus Sicht der Studierenden 
sogar schlimmer als "echte" Zugangsbeschraenkungen, da sie im Falle, 
dass sie sich fuer ein anderes Studium entscheiden, ein Semester und 
einen der zwei zulaessigen Studienwechsel fuer Beihilfen verlieren.
Hinter den Schlagworten "Staerkung der Leitungs- und 
Entscheidungsstrukturen" versteckt sich die Absicht, die Macht weiter 
in Richtung Rektorat und Unirat zu verschieben, also weg vom 
demokratisch legitimierten, von allen Gruppen der 
Universitaetsangehoerigen beschickten Senat. Die geplante Aufloesung 
des Kuriensystems droht den universitaeren Mittelbau vollends aus den 
Entscheidungsgremien hinauszudraengen, und die Willkuer bei 
Personalentscheidungen gegenueber der Wahl zu bevorzugen.
Geplante Massnahmen zur Senkung der Studienzeiten und Drop-Out-Quoten 
setzen nicht etwa bei der Behebung der bestehenden Maengel an, sondern 
versuchen mittels "Tutoring" und "Coaching" die Studierenden 
moeglichst schnell durchs Studium zu schleusen. Eine Anpassung der 
Studienplaene auf "berufliche Relevanz", nach dem Vorbild der 
Fachhochschulen, die im Koalitionspakt als "Erfolgsmodell" tituliert 
werden, entspricht kurzfristigen Interessen der Wirtschaft, bedeutet 
aber fuer die Studierenden massive Verschlechterungen, weil sie 
dadurch nur sehr beschraenkt einsetzbar werden. Sobald sich die 
Beduerfnisse der Wirtschaft aendern, ist ihre Ausbildung am 
Arbeitsmarkt nicht mehr gefragt. Massenarbeitslosigkeit von 
AkademikerInnen waere die Folge. Ein Problem, das einigen 
AbsolventInnen des "Erfolgsmodells" Fachhochschule uebrigens schon 
bestens bekannt ist.
(Aussendung Kommunistischer StudentInnenverband)
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Entwicklungspolitik
"Viel hatte der baldige Ex-Staatssekretaer Winkler auf seiner Reise 
zur heute beginnenden Entwicklungsfinanzierungskonferenz der UNO in 
Doha wohl nicht im Gepaeck", stellt Ulrike Lunacek, 
entwicklungspolitische Sprecherin der Gruenen, fest: "Das neue 
Regierungsprogramm haelt ziemlich deutlich fest, dass das in der EU 
vereinbarte und fuer Oesterreich verbindliche Ziel fuer das Budget der 
Entwicklungszusammenarbeit (EZA) wohl nicht erreicht werden wird."
Oesterreich soll naemlich bis zum Jahr 2010 0,51 Prozent seines 
Bruttonationaleinkommens (BNE) dafuer leisten. "Der Letztentwurf des 
Doha-Abschlussdokuments enthaelt die Aufforderung, dass die Geber auch 
in Zeiten der Finanzkrise ihre Verpflichtungen vor allem gegenueber 
den aermsten Entwicklungslaendern erfuellen sollen. Wie kann 
Staatssekretaer Winkler dieses Dokument mit gutem Gewissen
unterstuetzen, wenn gleichzeitig klar ist, dass die neue 
Bundesregierung die Erfuellung dieses Zieles schon in ihrem Programm 
als ‘schwierig’ bezeichnet? Die darin zum Ausdruck kommende Absicht, 
das 0,51-Ziel schon jetzt, zwei Jahre vorher, zu verwaessern, kommt 
einer Bankrotterklaerung Oesterreichs gegenueber den aermsten Laendern 
gleich", so Lunacek.
(Aussendung der Parlaments-Gruenen, Sekretariat Aeusseres und Kultur)
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Pensionen, Gesundheit
Zur Frage der Pensionssicherung verwenden SPOeVP eine 
aalglatt-unschuldige Formulierung. Sie verpflichtet sich zu einer 
"nachhaltigen Finanzierung des staatlichen Umlagesystems zur Erhaltung 
der Lebensstandardsicherung im Alter. Hiezu ist ein langfristiges 
Monitoring unerlaesslich. (…) Klare Indikatoren fuer das Monitoring 
(z.B. Lebenserwartung, Produktivitaet, Einnahmen, Aufwendungen und 
Bundesmittel – in Prozent des BIP – einschliesslich des Aufwandes fuer 
Ausgleichszulagen) sind gesetzlich festzulegen. Die Auswirkungen 
etwaiger Massnahmen insbesondere Aenderung beim Beitragssatz, 
Kontoprozentsatz, Anfallsalter, bei der Pensionsanpassung und dem 
Bundesbeitrag auf die Indikatoren sind zu analysieren. Zur 
Vergleichbarkeit auf internationaler Ebene sind Brutto- und 
Nettogesamtaufwendungen der Bundesmittel auszuweisen." (siehe 
Regierungsprogramm S. 165)
In Wirklichkeit zielt dies in genau die gleiche Richtung ab wie die 
Pensionsplaene der SPOeVP-Regierung im Sommer vor den Neuwahlen. Nur 
ist diesmal nicht formell eine sogenannte gesetzlich festgelegte 
Automatik enthalten. Ansonsten jedoch ist dies der gleiche Inhalt.
Darueberhinaus soll die sogenannte "Hacklerregelung" im Jahr 2013 
enden und durch eine Neuregelung ersetzt werden, die – so die rosigen 
Worte des Regierungsprogramms – "abrupte Ende vermeidet und durch eine 
leistbare Regelung ersetzt." (S. 167)
Im Gesundheitssektor werden weitere Angriffe auf unsere 
Errungenschaften auf uns zukommen. Die Regierung knuepft oeffentliche 
Zuschuesse an niedrigere Ausgaben (also Einsparen bei den Leistungen 
bzw. den Beschaeftigten der Kassen) und hoeheren Einnahmen (also 
hoehere Selbstbehalte o.ae.). So heisst es: "Die Bundesregierung 
bekennt sich zum schrittweisen Abbau des negativen Reinvermoegens der 
Krankenversicherungstraeger und knuepft diese an eine erbrachte oder 
fix vereinbarte, nachvollziehbare Daempfung der Ausgabendynamik und 
neue Verteilungsmodelle unter staerkerer Beruecksichtigung von 
Strukturfragen. (…) Die Traeger haben alle Anstrengungen zu 
unternehmen um alle Kostendaempfungspotentiale zu realisieren. Die 
Bundesregierung wird die Traeger durch Verbesserung der gesetzlichen 
Rahmenbedingungen unterstuetzen eine einnahmenorientierte 
Ausgabenpolitik zu ermoeglichen." (siehe Regierungsprogramm S. 185)
Die von der schwarz-blauen Regierung 2001 durchgesetzte Entmachtung 
der Gewerkschaften in den Sozialversicherungen bleibt damit aufrecht, 
was nur rhetorisch durch Floskelsaetze wie "Die Bundesregierung 
bekennt sich zur im System der Selbstverwaltung gefuehrten 
Sozialversicherung" uebertuencht wird. (siehe Regierungsprogramm S. 
179)
(Michael Proebsting, Liga der Sozialistischen Revolution)
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Siehe auch Kommentar zum Justizkapitel in diesem akin-pd
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