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akin-Pressedienst.
Aussendungszeitpunkt: Dienstag, 11. November 2008; 19:08
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Recht:

> Der Anti-NGO-Paragraph

Nach dem grossen Lauschangriff und den Hausdurchsuchungen gegen
Tierschutz-AktivistInnen Ende Mai wurden 10 Personen in
Untersuchungshaft nach §278a StGB genommen. Die gegen diesen
Haftbeschluss gerichtete Beschwerde wurde Ende Oktober vom Obersten
Gerichtshof OGH in letzter Instanz abgewiesen.

Konkret setzt sich §278a StGB aus einer Reihe von Merkmalen zusammen,
die gemeinsam erfuellt sein muessen, damit von einer kriminellen
Organisation gesprochen werden kann. Dazu gehoert die Gruendung auf
laengere Sicht und die Teilnahme einer groesseren Zahl von Personen
mit dem Ziel schwere Sachbeschaedigungen zu begehen. Im Fall des
Tierschutzes sieht das der OGH allein schon dadurch gegeben, dass es
fuer den Tierschutz seit ueber 10 Jahren mit gewisser Regelmaessigkeit
Sachbeschaedigungen gibt, die den Wert von 3000 Euro uebersteigen. Die
Unternehmensaehnlichkeit, die §278a StGB fordert, sei laut OGH schon
dadurch gegeben, dass einige der Beschuldigten mit hunderten nicht
Beschuldigten in einem moderierten, nicht-oeffentlichen Internetforum
per Email diskutiert haben, sowie durch den Umstand, dass in
verschiedenen Staedten durch verschiedene Personen legale
Tierschutzkampagnen durchgefuehrt werden.

Um §278a StGB anwenden zu koennen, muessen jetzt noch 2 weitere
Aspekte erfuellt sein: Erstens muss ein erheblicher Einfluss auf
Wirtschaft oder Politik angestrebt werden. Das sei laut OGH fuer
Tierschutz evident. Und zweitens muesste es Versuche geben, sich der
Strafverfolgung zu entziehen. Das waere durch verschluesselte Computer
und Emails geschehen.

Daher sei laut OGH die Existenz der kriminellen Organisation nach
§278a StGB nachgewiesen.

Betrachtet man die Argumentation des OGH und die vorliegende
Beweislage, so wird rasch die Dimension dieses Urteils klar: Es
genuegt, dass es eine normale NGO gibt, und dass Sachbeschaedigungen
im Schadensausmass von mindestens 3000 Euro zu einem ideologisch der
NGO nahestehenden Thema von Unbekannten veruebt worden sind, und es
liegt bereits eine kriminelle Organisation vor. Fuer die allermeisten
NGOs, die politische Kampagnen fahren, gilt naemlich automatisch,

a.. dass sie auf laengere Zeit angelegt sind,
b.. dass sie eine groessere Zahl von Personen umfassen,
c.. dass es eine gewisse Organisations- und Infrastruktur gibt,
d.. dass man sich konspirativ verhaelt (um InformantInnen,
AktivistInnen und zukuenftige Aktionen nicht zu gefaehrden) und
e.. dass das Ziel eine Einflussnahme auf Wirtschaft oder Politik ist.

Um §278a StGB anzuwenden fehlt also nur noch eine kriminelle Handlung
geographisch in etwa in der Gegend, in der die NGO aktiv ist, und mit
in etwa einer ideologischen Begruendung, die der der NGO
zugrundeliegenden Ideologie nahekommt.

In praktisch allen sozialen Bewegungen wird das der Fall sein. Damit
ist durch das OGH-Urteil der Umstand gegeben, dass in jeder sozialen
Bewegung und insbesondere in jedem Bereich, in dem eine NGO politisch
aktiv ist, schon die Existenz einer kriminellen Organisation
anzunehmen ist. Diese kriminelle Organisation ist aber nicht mit der
NGO identisch. Das macht auch das OGH-Urteil deutlich. Vielmehr ist
das so zu sehen, dass die Infrastruktur der NGO von der kriminellen
Organisation verwendet wird.

Ist einmal das Bestehen einer kriminellen Organisation auf diese Weise
gesichert, so wird die blosse Mitgliedschaft bereits mit mindestens 6
Monaten und bis zu 5 Jahren Haft strafbar.

Abgesehen davon kann §278a StGB jederzeit fuer grosse Lauschangriffe,
Hausdurchsuchungen und Untersuchungshaft als Begruendung herangezogen
werden. Dafuer ist es nicht notwendig, auch nur irgendeine konkrete
kriminelle Handlung wie eine Sachbeschaedigung irgendeiner Person
nachzuweisen oder zu beweisen, dass sie im Umfeld einer NGO getaetigt
worden sein muss. Wer konkret die Straftaten ausfuehrt ist
unerheblich. Ebenso, ob die Mitglieder davon wissen, wer oder wann
konkret welche Straftat gesetzt hat.

Mitglied wird man allein dadurch, dass man eine an sich legale
Unterstuetzungshandlung setzt, im Wissen, dass es eine derartige
kriminelle Organisation gibt, d.h. dass es zu Sachbeschaedigungen
kommen wird - von wem auch immer. Derartige Unterstuetzungshandlungen
koennen jetzt legale Demonstrationen sein, oder Hilfe fuer die NGO,
ihre Computer zu verschluesseln, oder die Ausbildung von
NeuaktivistInnen fuer legale Kampagnen usw. Mit anderen Worten:

Mitglieder bzw. AktivistInnen einer NGO machen sich nach §278a StGB
bereits dann strafbar, wenn sie eine legale Kampagne unterstuetzen,
aber gleichzeitig wissen oder wissen muessten, dass irgendwann
irgendwer irgendwo fuer diese oder aehnliche Kampagnen eine kriminelle
Handlung mit einem Sachschaden von mindestens 3000 Euro setzen wird.

Diese Wissentlichkeit wird ebenfalls leicht erfuellt. Einerseits
muessten NGOs von vergangenen strafbaren Handlungen in ihren sozialen
Bewegungen wissen und daher von zukuenftigen ausgehen. Andererseits
koennen Sympathiebekundungen fuer derartige Handlungen als Argument
fuer die Wissentlichkeit herangezogen werden. Aber selbst die blosse
Hilfe bei Computerverschluesselung - was offenbar laut OGH nur zu
kriminellen Zwecken geschehen kann - reicht schon aus.

Das ist die Lesart von §278a StGB, die einem nach dem Urteil des OGH
aufgezwungen wird. §278a StGB wird dadurch zu einem Gesinnungsdelikt,
zu einer unglaublich schlagkraeftigen Waffe gegen
ausserparlamentarische politische Arbeit.

Praktisch alle sozialen Bewegungen, alle NGOs und alle legalen
Kampagnen sind der Staatswillkuer ausgeliefert.

Gegen wen dann wirklich vorgegangen wird, ist dem Innenministerium
ueberlassen. Sollte eine soziale Bewegung eine echte Veraenderung in
der Gesellschaft bewirken, wie das der Tierschutzbewegung zunehmend
gelungen ist, dann kann sie auf diese Weise zerschlagen werden. Es ist
ein altbekanntes Rezept von Geheimdiensten, sich an die legal
agierenden und die Sympathie der Oeffentlichkeit fuer ihre Sache
gewinnenden Gruppierungen zu halten. Gerade diese Gruppierungen sind
naemlich wesentlich einflussreicher als etwaige
Verzweiflungshandlungen von EinzeltaeterInnen oder Kleinstgruppen mit
Sachbeschaedigungen. Letztere fallen politisch ueberhaupt nicht ins
Gewicht, und werden so von der Behoerde instrumentalisiert, um die
eigentlichen politischen GegnerInnen, die erfolgreichen NGOs, zu
zerschlagen.

Bemerkenswert ist aber auch an dieser Lesart von §278a StGB, dass so
kriminelle Handlungen durch das altbewaehrte Konzept der Sippenhaftung
hintan gehalten werden sollen. Wenn man der TaeterInnen nicht habhaft
werden kann, dann haelt man sich an jene, die diesen ideologisch
nahestehen, auch wenn sie voellig legal und offen agieren.
Mitgefangen, mitgehangen. Vielleicht erwartet man so auch, dass
diejenigen, die die Sachbeschaedigungen setzen, davon Abstand nehmen
werden, weil sie Racheaktionen des Staates gegen jene nicht
verschulden wollen, die zwar nichts getan haben, aber allein schon
durch ihre ideologische Naehe zu den TaeterInnen willkommene Opfer
sind.

Die Grundsatzfrage an die Gesellschaft ist daher, ob sie einen §278a
StGB dieser Auslegung ernsthaft fuer richtig haelt.
(Aussendung Verein gegen Tierfabriken / gek.)

Originaltext: http://www.vgt.at/presse/news/2008/news20081104_1.php

***

> Petition gegen die Kriminalisierung von politischem Engagement durch
> §§ 278ff!

Die "Plattform gegen Kriminalisierung von politischem Engagement"
startet eine Petition an den Nationalrat fuer die
demokratievertraegliche Reformierung der §§ 278 ff StGB. Diese
Paragrafen, die angeblich zur Bekaempfung von Mafia- und
Terrororganisationen eingefuehrt wurden, sind so bedenklich
formuliert, dass dadurch leicht politisches Engagement kriminalisiert
und damit mundtot gemacht werden kann.
(Werkstatt Frieden&Solidaritaet/gek.)

Die Petition gegen die Kriminalisierung von politischem Engagement
durch §§ 278 ff kann heruntergeladen werden unter
http://www.werkstatt.or.at/index.php?option=com_docman&task=doc_download&gid=54&Itemid=49



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