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akin-Pressedienst.
Aussendungszeitpunkt: Dienstag, 4. November 2008; 18:38
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Menschenrechte/Polizei/Justiz:
> Watschen und Folter sind zweierlei
Der Verwaltungsgerichtshof hat wieder einmal polizeistaatliche 
Prinzipien aufs Korn genommen. Diesmal im Fall Bakary J. Der Gambier 
hatte sich erfolgreich gegen seine Abschiebung gewehrt und war 
deswegen von den amtshandelnden Polizisten schwerst misshandelt 
worden. Ein (mildes) Strafurteil war die Folge. Dieses ist 
rechtskraeftig -- die Disziplinarstrafen sind es nicht. Und die sind 
dem Hoechstgericht zu niedrig. Der Entscheid ist lesenswert.
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Allein die Fallbeschreibung, wie sie der VwGH in seinem Entscheid 
abgibt, zeigt, wie es einem gehen kann, wenn man ein anscheinend 
rechtloser Fluechtling ist: Die Beamten "haben am 7. April 2006 in 
Wien in bewusstem und gewolltem Zusammenwirken als Mittaeter dem .... 
Schubhaeftling J koerperliche und seelische Qualen zugefuegt, indem 
[sie] den Haeftling in eine leerstehende Lagerhalle brachten, ihm 
wiederholt und intensiv, teils durch Gesten (Vorzeigen eines einer 
Granate aehnlichen Gegenstandes ... ) androhten, ihn umzubringen und 
ihn dadurch in Todesangst versetzten, ihn in gefesseltem Zustand in 
der Lagerhalle umherschleiften, ihm zahlreiche Faustschlaege und 
Fusstritte versetzten und ihn mit einem Polizeifahrzeug von hinten 
vorsaetzlich anfuhren ... wobei die Tat eine schwere Verletzung 
(verursachte), und zwar ein komplexes Bruchsystem im Bereich der 
oberen Gesichtshaelfte, die das Stirnbein, die Augenhoehle und das 
rechte Jochbein umfasste, sowie eine Prellung der rechten Stirnhaelfte 
mit Hautabschuerfung, eine Schwellung des Ober- und Unterlides des 
rechten Auges, eine Zerrung der Halswirbelsaeule, eine Prellung der 
linken Schulter, Prellungen beider Hueften, ein Haematom am linken 
Oberarm, eine Schuerfung am linken Ellbogen und eine posttraumatische 
Belastungsstoerung."
"Erschwerend: kein Umstand"
Deswegen wurden die Beamten wegen Quaelens eines Gefangenen (StGB §312 
Abs 3, 1. Fall; Strafdrohung bis zu 3 Jahren) zu 6-8 Monaten bedingt 
verurteilt. Mildernd fuer das Urteil wurden das Gestaendnis, die 
bisherige Unbescholtenheit der Beamten, sowie "das provokante 
Verhalten des J" gewertet. Erschwerend gewertet wurde: "kein Umstand".
Dieses Strafurteil war so bemessen, dass die Beamten nicht automatisch 
des Dienstes enthoben werden mussten, was bei einer auch nur bedingten 
Strafe ueber 1 Jahr Haft der Fall gewesen waere. Da die 
Disziplinarkommission gehalten ist, sich in ihrer Strafbemessung an 
den Bemessungsgruenden des StGB zu orientieren, fiel es ihr leicht, 
nach diesem Urteil des Strafgerichts ebenfalls in der Angelegenheit 
eine Lappalie zu sehen. Die Kommission verhaengte somit lediglich 
Geldstrafen von jeweils 3 bis 5 Monatsbezuegen, die 
Disziplinaroberkommission verringerte diese Strafen noch weiter. Eine 
Entlassung sahen weder Kommission noch Oberkommission als noetig an.
Der Disziplinaranwalt sah das anders und befasste den VwGH damit. Er 
berief sich vor allem auf die Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes 
zum "Untragbarkeitsgrundsatz", wonach ein Beamter als "untragbar" zu 
entlassen ist, auch wenn Nebenumstaende wie Unbescholtenheit oder ein 
geringer Grad des Verschuldens fuer den Betroffenen sprechen. Der VwGH 
hatte allerdings mittlerweile seine staendige Rechtssprechung 
geaendert: Eine Entlassung koenne kein rein administrative 
Angelegenheit sein, sondern sei als Strafe zu betrachten, weswegen 
hier auch Milderungsgruende zulaessig sein muessten.
Aepfel mit Birnen verglichen
Das war aber so ziemlich der einzige Punkt, in dem der VwGH dem 
Beschwerdefuehrer widersprach. Der Gerichtshof brachte naemlich das 
Voelkerrecht zur Anwendung und qualifizierte das Handeln der Beamten 
nach der einschlaegigen Konvention als Folter. Damit wies es aber die 
Begruendung der Disziplinaroberkommission fuer das milde Urteil 
kilometerweit von sich. Diese hatte naemlich gemeint, die 
Angelegenheit waere "annaehernd gleich" mit einem bestimmten frueheren 
Fall von Koerperverletzung durch einen Beamten. Der VwGH in seinem 
Urteil: "Im angefuehrten Fall hatte ein Zollbeamter einer Partei einen 
einzelnen Schlag in das Gesicht mit der Folge einer schweren 
Koerperverletzung versetzt, nachdem er von diesem beleidigend 
provoziert worden war. Davon unterscheidet sich die Vorgangsweise der 
Mitbeteiligten ganz wesentlich, weil sie die schweren Misshandlungen, 
schweren Koerperverletzungen und Erniedrigungen sowie die 
Scheinhinrichtung beim Haeftling zwar nach Provokation durch den 
Schubhaeftling, jedoch in zeitverschobener Weise auf vorbedachte und 
organisierte Weise vorgenommen haben." Sprich: Eine spontane 
Gewalttaetigkeit eines Beamten in einer erhitzten Athmosphaere ist ein 
bisserl was anderes als geplante Folter.
"Provokantes Verhalten"
Auch erkannte der VwGH als einen erschwerenden Umstand, dass die 
Beamten genau jene Rechtsgueter verletzt haetten, deren Schutz ihnen 
obliegt. Weiters wird das erwaehnte "provokante Verhalten" vom 
Gerichtshof zwar nicht prinzipiell in Abrede gestellt, es koenne aber 
kein Milderungsgrund sein, "weil ein solches Verhalten zum normalen 
Risikobereich eines mit der Abschiebung von Schubhaeftlingen betrauten 
Exekutivbeamten zaehlt und sie fuer solche Situationen besonders 
geschult werden". Abgesehen davon waere nicht einmal im Urteil vor dem 
Strafrichter explizit erwaehnt worden, worin dieses "provokante 
Verhalten" ueberhaupt bestanden haette.
Zurueck zum Start
Der VwGH stellte in seinem Entscheid explizit fest, dass er die Sache 
nur an die ordentliche Instanz zurueckverweisen und nicht selbst 
entscheiden koenne. Eine solche Feststellung waere an sich nicht 
notwendig gewesen, daher ist aus der Formulierung deutlich zu ersehen, 
wie sehr der Gerichtshof seine diesbezuegliche Unzustaendigkeit 
bedauert. Und er macht klar, was er sich von der 
Disziplinaroberkommission erwartet: "Bei der Strafzumessung im engeren 
Sinn wird die belangte Behoerde darauf, dass die Mitbeteiligten eine 
Scheinhinrichtung vorgenommen haben und die Tat eine schwere 
Traumatisierung des Haeftlings zur Folge hatte, und nicht nur 
allgemein auf die ´brutale Vorgangsweise ... die zu ... schweren 
Verletzungen gefuehrt hat´, ... Bedacht zu nehmen" habe.
Nach diesem Entscheid ist eine neuerliche Suspendierung der Beamten, 
die bislang in den Innendienst versetzt worden waren, moeglich. Die 
Disziplinaroberkommission des Bundeskanzleramtes muss ein neues Urteil 
faellen. Sie wird diesmal wohl etwas strenger vorgehen muessen. Ob die 
Behoerde die belangten Beamten auch weiterhin als "tragbar" fuer den 
Staatsdienst ansehen moechte, bleibt abzuwarten. Sie hat fuer ein 
Urteil ein halbes Jahr Zeit.
*Bernhard Redl*
Dokument JWT/2007090320/20080918X00
Geschaeftszahl 2007/09/0320, Entscheid vom 18.9.2008
http://www.ris2.bka.gv.at/Dokument.wxe?QueryID=Vwgh&Dokumentnummer=JWT_2007090320_20080918X00
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