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akin-Pressedienst.
Aussendungszeitpunkt: Dienstag, 21. Oktober 2008; 17:40
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Initiativen/Arbeit:
> Work Around the Clock?
WissenschaftlerInnen bei Enquete im Sozialministerium: Zeit als 
wertvolles Gut -- wem wird sie ihn Zukunft gehoeren?
Der Trend zu prekaerer Arbeits- und Lebenszeit stand im Mittelpunkt 
einer Enquete im Bundesministerium fuer soziale Sicherheit und 
Konsumentenschutz am 14.Oktober, veranstaltet von der "Allianz fuer 
den freien Sonntag Oesterreich" in Zusammenarbeit mit dem Ministerium. 
Teilgenommen hatten 120 Personen, darunter auch zahlreiche 
VertreterInnen aus Deutschland, Tschechien, der Slowakei, Slowenien, 
Polen und Kroatien aus den Bereichen Wissenschaft, Gewerkschaft, 
Kirchen und Zivilgesellschaft.
Bundesminister Erwin Buchinger unterstrich in seiner Begruessung, dass 
gerade angesichts der Krisensituation wieder die Menschen verstaerkt 
in den Mittelpunkt kommen muessen. Bischof Ludwig Schwarz betonte, 
dass der freie Sonntag in Oesterreich einen hohen Stellenwert hat und 
diesem ein besonderer Wert fuer menschengerechtes Wirtschaften 
zukommt. Gewerkschafter Franz Georg Brantner von der gpa-djp 
unterstrich die Bedeutung der Vernetzung im europaeischen Kontext im 
Kampf fuer soziale Arbeitszeiten.
Der deutsche Zeitforscher Juergen Rinderspacher 
(Sozialwissenschaftliches Institut der Evangelischen Kirchen 
Deutschland) erklaerte in seinem Referat, dass es zu weiteren 
Verschiebungen in der Zeit-Architektur kommen werde und "zeitliche 
Areale der Nicht-Arbeit" zunehmend gefaehrdet sind. Erkennbar sind 
solche Areale an den Zuschlaegen, die an diejenigen zu zahlen sind, 
die zu "unsocial times" wie Abend, Nacht, Samstag oder Sonntag 
arbeiten muessen.
Einerseits gebe es kommerzielle Interessen, die eine Bewirtschaftung 
saemtlicher Zeiten verlangen und diese Entwicklung vorantreiben, es 
gebe aber auch gesellschaftliche Entwicklungen, die die Aenderungen 
erforderlich machen, so werden kuenftig vermehrte Pflegeangebote zu 
allen Zeiten erforderlich sein. Auch das Internet mache Druck in 
Richtung einer Rund-um-die-Uhr-Gesellschaft. Andererseits wuerden es 
vollautomatisierte Fabriken kuenftig erlauben, zu Zeiten zu 
produzieren, die fuer Menschen "unsoziale Zeiten" sind und zu denen 
die Maschinen deshalb bisher stillstanden.
Gleichzeitig haben Wochenende und freier Sonntag hohe 
Attraktivitaetswerte. Denn neben dem materiellen Wohlstand gilt fuer 
die Menschen Zeit(wohlstand) als wertvolles Gut. Und an keinem anderen 
Tag ist das Ausmass an verfuegbarer Zeit so hoch wie am Wochenende.
Die Arbeitssoziologin Johanna Muckenhuber vom IHS (Institut fuer 
Hoehere Studien) praesentierte Ergebnisse einer qualitativen Befragung 
von Solo-UnternehmerInnen. Die Erfahrungen der Befragten sind dabei in 
hohem Ausmass ambivalent. Solche selbstaendigen Beschaeftigungen gehen 
einher mit einem hohen Gefuehl, ueber die eigene Zeit autonom 
verfuegen zu koennen. Tatsaechlich fuehlen sich die Befragten aber 
auch in hohem Ausmass getrieben von der Notwendigkeit, Projekte 
abzuschliessen, neue Auftraege zu akquirieren oder einfach im 
Geschaeft zu bleiben. Dies fuehrt haeufig dazu, dass aufgrund des 
Wettbewerbs sehr niedrige Stundensaetze angeboten werden, es zu einem 
fortwaehrenden Dumping-Prozess kommt und damit die Zeitsouveraenitaet 
tatsaechlich oft sehr eingeschraenkt ist.
Muckenhuber betonte auch, dass Erwerbsarbeit immer im Kontext mit 
anderen Verpflichtungen (z.B. Reproduktion) zu sehen sei. So gesehen, 
ist der freie Sonntag bisher immer sehr stark maennlich konnotiert und 
bedeutet bisher nicht automatisch einen Zugewinn an Zeitsouveraenitaet 
fuer Frauen.
Alfred Bujara von der polnischen Gewerkschaft "Solidarnosc" 
praesentierte die am 1. Februar 2008 gegruendet Allianz fuer den 
freien Sonntag Polen. Die Solidarnosc hat sich schon seit Laengerem 
fuer Sonn- und Feiertage eingesetzt. Gemeinsame Aktionen im Handel 
haben schliesslich dazu gefuehrt, dass 2007 der Gesetzgeber 
beschlossen hat, 12 Feiertage im Jahr fuer ArbeitnehmerInnen 
einzufuehren. "Befluegelt" durch diesen Erfolg wurde heuer eine 
Allianz fuer den Freien Sonntag gegruendet, die letztlich ein 
Handelsverbot am Sonntag erreichen will. In einem ersten Schritt soll 
ein Gesetzesentwurf fuer die Einschraenkung der Sonntagsarbeit 
eingebracht werden. Mehr als 75% der Bevoelkerung befuerworten heute- 
so Bujara - den arbeitsfreien Sonntag im Handel, nachdem die Menschen 
gesehen haben, dass die Feiertage trotz eines liberalen 
Wirtschaftsklimas und trotz des Drucks der multinationalen Konzerne 
erkaempft werden konnten.
Hannes Kreller von der "Allianz fuer den freien Sonntag Deutschland" 
berichtete, wie die Allianz kontinuierlich in den Regionen und 
Gemeinden Fuss fasst. Allein in Bayern gibt es bereits rund zwei 
Dutzend kommunale Sonntags-Allianzen. Im Zuge der Bayerischen 
Landtagswahl wurden saemtliche Abgeordnete zu ihrer Position zum 
freien Sonntag befragt. Kreller wies auf die Entwicklungen im Bereich 
prekaerer Arbeit in Deutschland hin. Seit 1991 hat sich der Anteil der 
Beschaeftigten zu allen atypischen Zeiten (Abend, Nacht, Samstag, 
Sonntag) stark erhoeht. Der Anteil derer, die regelmaessig am Sonntag 
arbeiten muessen, ist von 20,7% (1991) auf 28,2% (2006) angestiegen. 
Ziel der Allianz in Deutschland ist es u. a., eine bundeseinheitliche 
Regelung der Oeffnungszeiten herbeizufuehren, um den Wettbewerb 
zwischen den Laendern einzudaemmen.
Gemeinsam haben die Allianzen fuer den freien Sonntag Deutschland, 
Polen und Oesterreich eine Resolution zur Aufnahme des freien Sonntags 
in die EU-Arbeitszeitrichtlinie verfasst, die bei der Enquete 
vorgestellt und von 100 TeilnehmerInnen unterzeichnet wurde. Die 
Argumentation lautet, dass der freie Sonntag eine wichtige gemeinsame 
Pause ist, die einen besonderen Beitrag zur Gesundheit der Menschen 
leistet.
Der Allianz fuer den freien Sonntag Oesterreich gehoeren ueber 50 
Organisationen aus den Bereichen Kirchen, Wirtschaft, Gewerkschaften 
und zivilgesellschaftlichen Organisationen an.
(Aussendung Katholische Sozialakademie Oesterreichs/bearb.)
Weitere Infos: http://www.freiersonntag.at
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