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akin-Pressedienst.
Aussendungszeitpunkt: Dienstag, 21. Oktober 2008; 17:47
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Glossen:

> Pompoese Enteignung

Eine Rezession droht in den westlichen Laendern. Ihre Regierungen und
Parlamente ueberbieten einander mit angeblich systemveraendernden
Rettungsplaenen. Pompoes wird eine der groessten Enteignungen der
Geschichte zelebriert. Anders allerdings, als es sich die politische
Kaste vorstellt. Analyse von Viktor Englisch.

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Man koennte meinen, die Finanzkapitalisten dieser Welt stuenden
pleitebedingt vor der massenhaften staatlichen Enteignung. Die
groesste Bank Europas, die UBS, ist de facto verstaatlicht, einige der
groessten US-Banken sowieso. Nicht anders ergeht es der Hyporeal. Die
Summen, die die Staaten und supranationalen Vereinigungen der
kapitalistischen Welt ankuendigen, machen schwindlig. Einen wirklichen
Ueberblick hat niemand mehr. Sind's jetzt drei Billionen Euro in EU
und USA oder war das der Stand von vorgestern? Ankuendigung folgt
Ankuendigung, Gipfel Gipfel. Der staatliche Einfluss auf einen der
sensibelsten Teilnehmer der Kapitalwirtschaft, das Finanzwesen,
scheint zurueckzukehren. Es ist gar von einem Systemwechsel die Rede,
von einem neuen Kapitalismus. Allerdings nur fuer die Finanzen, die so
genannte Realwirtschaft wird als beinahe abgekoppelter Teil des
Systems dargestellt, den es nur vor den Auswirkungen dessen zu
schuetzen gelte, was weltweit als Finanzkrise bezeichnet wird. Schoene
neue Welt.

Ein Blick unter die Oberflaeche lohnt. Die "Finanzkrise" mit ihren
bemerkenswerten Dimensionen ist nichts als Symptom einer zyklischen
Krise des kapitalistischen Weltsystems. Einer sehr schlimmen,
zugegebenermassen. Bei einer auch in den USA immer staerker werdenden
Verflechtung der Eigentuemerstrukturen von Finanzkapital und
Produktion war es nur eine Frage der Zeit, bis eine zyklische
Produktionskrise einmal das Finanzkapital erfasste. Erst so konnte die
an sich halb so wilde Krise der Bauwirtschaft in den USA derartige
Ausmasse annehmen. Die Regeln des Aktienmarktes lassen sich nicht so
ohne weiteres auf alle Sektoren der Wirtschaft ausdehnen. Kapitalismus
ist bei all seiner einfach gestrickten Grundpsychologie eine aeusserst
komplexe Sache. Die "Liberalisierung" der Finanzmaerkte hat diese
Krise zweifelsohne verstaerkt. Dass diese Entwicklung die halbe
"entwickelte" Welt erfasste, hat eine weitere Ursache, die gerne
uebersehen wird: Es gibt keinen internationalen Finanzmarkt. Es gibt
zahlreiche Finanzmaerkte, die von ihrer eigenen Geschichte, ihren
Traditionen, der Kapitalkraft ihrer Teilnehmer und von gesetzlichen
Voraussetzungen gepraegt sind. Das wurde, vor allem von den
Teilnehmern, oft vergessen. Es gab keine gemeinsamen Spielregeln.
Weder geschriebene noch ungeschriebene, die fuer einen Markt von
ebenso wichtiger Bedeutung sind. Nur so ist erklaerbar, dass man
einander Finanzprodukte verkaufte, die irgendwann keiner der
Teilnehmer verstand. Gefragt wurde, mangels einer durch Spielregeln
irgendeiner Art existierenden gemeinsamen Sprache, nicht.

Die Markt-Reglementierungen, die USA und EU einfuehren werden, werden
diese Spielregeln schaffen. Die nationalen Finanzmaerkte werden
synchronisiert werden, ob sie wollen oder nicht. Vordergruendig werden
die Maerkte reglementiert werden. Langfristig wird das erst recht zu
einem entfesselten internationalen Markt fuehren. Dem werden die
Staaten noch hilfloser gegenueberstehen als sie das den existierenden
eigenen Maerkten tun. Sobald der Druck der Krise weg ist, wird sich
der Kapitalismus wieder von den als Fesseln empfundenen "unnoetigen"
Regeln befreien. Das werden alle sein, die nicht dazu dienen, den
globalen Markt zu schaffen.

Dass die Diskussion derzeit anders laeuft, ist eine Konzession der
selbst erschuetterten Marktteilnehmer an die Politik. Untereinander
herrscht mittlerweile beinharter Wettbewerb (Stichwort: Misstrauen bei
Krediten zwischen Banken). Ungeschriebene Regeln existieren nicht
mehr. Was gerade mit staatlicher Schuetzenhilfe laeuft, ist eine
Bevorzugung kapitalstarker Teilnehmer. Eine de facto Enteignung
kleinerer Teilnehmer wie in Oesterreich der Constantia Privatbank. Mit
nur 450 Millionen Euro holen sich die groessten Banken des Landes eine
Verfuegungsgewalt ueber 10 Milliarden Euro an Einlagen und Fonds. Die
bisherige Eigentuemerin kann froh sein, die Bank los zu sein.
Aehnliches hat sich in den USA auf groesserer Ebene abgespielt.

Die massiven staatlichen Hilfen verstaerken die Entwicklung. Auch,
wenn Banken verstaatlicht werden. Laut allen Ankuendigungen sollen sie
zu gegebener Zeit wieder zurueckgegeben oder verkauft werden.
Angeblich gewinnbringend, nach Moeglichkeit. Geld, die Banken zu
kaufen, wird nur haben, wer aus der Krise gestaerkt vorgegangen ist.
Polemisch koennte man sagen: Allen Unkenrufen zum Trotz: Der Markt im
neoklassischen Sinn funktioniert besser als je zuvor. Er beschleunigt
die Konzentration am Finanzmarkt. Der Kapitalismus erweist sich in dem
Moment, wo ihn manche schon totgesagt haben, als zaeher denn je. Mit
Billionen vom kleinen Steuerzahler.

Es erscheint nicht unangebracht, hier von einer zweiten
Enteignungsaktion zu sprechen. Die Arbeiterklasse wird zugunsten der
Finanzkapitalisten enteignet. Nicht genug, dass ihre Spareinlagen die
Finanzkraft der grossen Banken ausmachen, die die kleinen oder maroden
aufkaufen. Es auch ist ihr Steuergeld, das hinter den grosszuegigen
Subventionen steht. In Oesterreich zahlen die Lohnabhaengigen je nach
Berechnungsart zwischen 80 und 90 Prozent der Steuern. Diesen Anteil
zahlen sie auch gegebenfalls am Rettungspaket der Republik, sollte es
schlagend werden. Und wird's nix mit den versprochenen Gewinnen - es
koennen Wetten angenommen werden, wer dann wieder die Zeche zahlt. Da
wuerde es auch wenig helfen, wenn die Republik das deutsche Konzept
uebernimmt. Die Manager gescheiterter Banken sollen nur mehr bis zu
500.000 Euro im Jahr verdienen duerfen. Die Armen. Bei diesen
Aussichten wird Josef Ackermann von der deutschen Bank vermutlich nach
Dienstschluss noch mit einem Spendenhut durch die Strassen Frankfurts
irren, in der Hoffnung, ein Arbeiter helfe ihm beim Ueberleben. Und
Julius Meinl V wird vermutlich Teilzeit bei Fiona Swarovski
Glaskristalle kleben muessen, sollte das auch in Oesterreich Realitaet
werden.

Gefragt wird die Arbeiterklasse nicht. Die politische Kaste ruehmt
sich lieber, die Gesetze moeglichst rasch durchgepeitscht zu haben.
Allerdings: Die Alternative ist auch nicht sonderlich attraktiv. Einen
teilweisen Zusammenbruch des Bankensystems hat es hier schon einmal
gegeben. Damals standen 500.000 Menschen auf der Strasse. Auch das
eine Folge des Wirtschaftssystems. Stellt sich die Frage, wie lange
man sich noch diese Alternativenlosigkeit gefallen lassen will. ###



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