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  akin-Pressedienst.
  Aussendungszeitpunkt: Dienstag, 21. Oktober 2008; 17:34
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  Reportage/Kaernten:
  
  > Kirche, Kreuze und Gewehre
  
  Das Begraebnis von Joerg Haider wurde erwartungsgemaess zur
  staatstragenden Affaere. Es sagt sehr viel ueber das
  Selbstverstaendnis der Republik aus.
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  Die Mittagssonne ueber Klagenfurt hat es fuer die 25.000 Anwesenden
  sicher ertraeglicher gemacht. Vor allem fuer die Repraesentanten in
  der ersten Reihe. Wirtschaftsminister Martin Bartenstein (OeVP) hat
  seinen Mantel ueber seine Beine gelegt, er braucht ihn offenbar nicht.
  Nur keine Emotion zeigen, immer aufmerksam schauen. Das gilt fuer die
  gesamte erste und zweite Reihe und fuer ein paar bekanntere
  Repraesentanten der politischen Klasse ein paar Reihen weiter hinten.
  Die Kameras der Live-Uebertragungen sind vor ihnen positioniert.
  Tausende werden sie in den naechsten eineinhalb Stunden sehen.
  
  Dass der Klagenfurter Bischof den Staatsakt eroeffnet, ist
  bezeichnend. Ein Gebet am Anfang einer Zeremonie der theoretisch
  laizistischen Republik. Auf der Buehne neben ihm eine Abordnung
  Bundesheersoldaten, die den Sarg des Kaerntner Landeshauptmanns Joerg
  Haider (BZOe) symbolisch bewachen. Dahinter ein Kreuz samt
  Christusfigur. Kirche, Kreuz und Gewehr nebeneinander. Operettenhaft
  vielleicht. Symptomatisch fuer das Selbstverstaendnis der Republik.
  
  Es gibt angenehmere Termine im Leben eines Politikers oder einer
  Politikerin. Da sein, still sitzen, sich keine Bloesse geben.
  Ostentative Trauer, wie sie der Klagenfurter Buergermeister Harald
  Scheucher (OeVP) zeigen wird, mag gegebenenfalls angehen. Wenn man von
  der gleichen Fraktion ist oder wie Scheucher ein persoenlicher Freund.
  Trifft keines der beiden Kriterien zu, gilt der starre Blick nach vorn
  oder zu Boden. Raetselhaft der Gesichtsausdruck von Salzburgs
  Landeshauptfrau Gabi Burgstaller (SPOe). Vielleicht betroffen,
  vielleicht gelangweilt. Einmal scheint sie beinahe mit den Traenen zu
  kaempfen. Vielleicht ist ihr eines der Blattstueckchen ins Auge
  geraten, die sich waehrend des Begraebnisses auf Herbert Haupts
  Couleur-Kapperl ansammeln. Der merklich Gealterte, ehemaliger Sozial-
  und Frauenminister der FPOe von Haiders Gnaden, schaut so kryptisch
  wie er spricht. Vermutlich zaehlt er zu der Trauergemeinde im engeren
  Sinn. Der Grossteil der politischen Kaste ist eher aus
  Protokollgruenden da. Vielleicht auch ein paar, um sich davon zu
  ueberzeugen, dass Haider wirklich im Sarg liegt. Man weiss es nicht so
  genau.
  Scheucher wirkt, als wuerde er sich um die Nachfolge Haiders in Partei
  und Landesregierung bewerben. Fuer jemanden, der nicht in Haiders
  Partei war, erstaunlich undifferenziert. Getragen die Rede, einer
  Apotheose sehr nahe. Die versucht sein Beinahe-Namenskollege Uwe
  Scheuch (BZOe), der als Landesrat fuer Bildung eine gesetzlich nicht
  ganz gedeckt Trauerstunde in Kaerntens Schulen verordnet hatte. Er
  schildert vor allem, wie er seinen Kindern den Tod Haiders beibrachte.
  "Aber das kann nicht sein", soll sein Sohn, Uwe Junior geantwortet
  haben. "Der Landeshauptmann kann nicht sterben". Und irgendwie kann er
  wirklich nicht, findet Scheuch, neben dem Sarg Haiders stehend. Bei
  Uwe Scheuch einen Anfall von Selbstironie zu vermuten, erscheint fehl
  am Platz. Er skizziert schon die Wahlkampflinie seiner Partei fuer die
  Landtagswahlen im Maerz. Dem Gedaechtnis Haiders verpflichtet, seine
  Politik fortfuehren. Unwillkuerlich denke ich an den Slogan: "Ein
  Toter fuehrt uns an" der Kruckenkreuzler und Hahnenschwanzler.
  
  Ein lange Kameraauffahrt offenbart, dass die Sorge der Polizei,
  Rechtsradikale koennten das Begraebnis stoeren, unbegruendet ist. Sie
  nehmen friedlich zu Hunderten am Begraebnis teil. In
  (Burschenschafts-) Uniform, zum ueberwiegenden Teil bewaffnet, mit
  gezogenem Schlaeger, wie der Saebel im Jargon heisst. Ein paar gelbe
  Fahnen mit schwarzem Doppeladler blitzen durch. Das erinnert an den
  Bischof, der neben dem Bundespraesidenten sitzt. Ein paar der Fahnen
  gemahnen auch an die Reichkriegsflagge, aber so genau sieht man das
  nicht. Bei den Sitzenden, grossteils politische Repraesentanten
  (Frauen gibt es wenig) oder Vertreter irgendwelcher groesserer
  Vereine, blitzen blaue Kornblumen hervor. Das Zeichen der illegalen
  Nationalsozialisten waehrend des Klerikalfaschismus, die rote Nelke
  der Nazis. Seit der Spaltung zwischen FPOe und BZOe wird sie
  regelmaessig von FPOe-MandatarInnen getragen. Der Aufmarsch hat
  beinahe die Dimensionen des Heldenplatz am achten Mai. Die Teilnehmer
  duerften grossteils identisch sein. Vielleicht sind auch ein paar vom
  Ulrichsberg herabgestiegen.
 An diesem Aufmarsch scheint niemand Anstoss zu nehmen. Tarek Leitner,
  Kommentator der ORF-Live-Uebertragung erwaehnt ihn nicht, auch
  Co-Kommentator Fritz Plasser geht nicht darauf ein. Wobei sich
  letzterer mit seinen Aeusserungen wohltuend von den Banalitaeten
  abhebt, die in den Reden geaeussert werden, auch wenn er selber nichts
  sagt, was ein interessierter Beobachter nicht in den vergangenen Tagen
  schon lesen haette koennen. Verunglueckte Apotheose reiht sich an
  versuchte Mythisierung Haiders. Wie oft muss man noch die vom Himmel
  gefallene Sonne hoeren? Der Sager von Gerhard Doerfler, Haiders
  Nachfolger als Landeshauptmann (ebenfalls BZOe) ist zum gefluegelten
  Wort geworden, wiederholt nicht zuletzt von ihm. Wenn der Mann in die
  Kaerntner Geschichtsbuecher eingeht, dann mit diesem Satz. Ungeachtet
  dessen, dass die Sonne immer noch ueber Klagenfurt scheint.
  
  Die offiziellen Vertreter der Republik halten sich kurz. Endlich wird
  die Frage geklaert, warum der Vorarlberger Landeshauptmann Herbert
  Sausgruber (OeVP) in der ersten Reihe sitzt. Er ist Vorsitzender der
  Landeshauptleute-Konferenz und einer der beiden offiziellen
  Trauerredner der Republik. Dass dieses Gremium ein inoffizielles ist,
  nirgends gesetzlich verankert, protokollarisch bei Staatsakten nicht
  vorhanden, stoert niemanden. Vermutlich ein Kompromiss. Zwei Rote
  haetten sich dann doch nicht so gut gemacht. Bundeskanzler und
  Bundespraesident, protokollarisch durchaus angemessen, war offenkundig
  nicht drin. Der Spitzenrepraesentant Heinz Fischer ist zum Schweigen
  verurteilt. Aber vielleicht wusste er nicht, was er haette sagen
  sollen. Bei Begraebnissen ist das so eine Sache. Auch Sausgruber ringt
  nach Worten. Das ist weniger einer emotionalen Ueberwaeltigung
  geschuldet. Er ist bis zu diesem Zeitpunkt der mit Abstand ruhigste
  Redner. Eine politische Abrechnung, so der schwarze Politiker Grund
  dazu haette, koennte vielleicht als fehl am Platz empfunden werden. Da
  hinten sitzen und stehen um die 25.000. Der Grossteil hat sich sicher
  politisch mit Haider identifiziert. Man will sich nicht krampfhaft
  unbeliebt machen. Und dass jemand einer sichtlich trauernden Witwe
  nicht zusaetzlichen Schmerz zufuegen will, erscheint menschlich
  verstaendlich.
  
  So weicht Sausgruber auf das alte katholische Thema "Alles ist eitel"
  aus. Was der Tod nicht alles relativiere. Auch politisiche
  Auffassungsunterschiede. Die Widerspruechlichkeit des Joerg Haider
  wird zur Tugend umgemuenzt. Es erscheint eben alles laecherlich, wenn
  man an den Tod denkt.
  
  Das duerfte sich auch Alfred Gusenbauer gedacht haben. Er wirkt
  beinahe so sprachlos wie Sausgruber. Vage beschreibt er, dass er mit
  Haider nicht immer einer Meinung gewesen sei. Leise beschreibt er
  einen seiner Meinung nach fundamentalen Fehler, den die SPOe im Umgang
  mit Haider gemacht habe. "Oft hat man die Tatsache, dass er etwas
  kritisiert hat, zum Anlass fuer Kritik genommen". Kurz gesagt: Die
  SPOe hat nie die richtigen Worte fuer Haider gefunden. Warum sollte es
  anders sein, jetzt, da er im Sarg einen Meter rechts vom Redner liegt?
  "Bei allen Auffassungsunterschieden: Joerg Haider hat das Beste fuer
  die Menschen in Oesterreich gewollt. So wie jeder andere Politiker in
  diesem Land", umreisst er die Politikerklasse. Unabhaengig von der
  politischen Ausgangslage - was die politische Kaste in diesem Land
  eint, sind die Arbeitsbedingungen. Im wesentlichen muss jeder das
  Gleiche tun, egal, welcher Partei er angehoert. Politik als Handwerk.
  Ideologie tritt im taeglichen Umgang miteinander in den Hintergrund.
  Man ist Kollege. So wie es KrankenpflegerInnen sind oder
  BauarbeiterInnen. Selten ist das Selbstbild der politischen Kaste so
  offen angesprochen wie hier. In seinen letzten Saetzen gehen
  Politikerkollege und Katholik gleichzeitig durch mit dem
  Bundeskanzler. Die Versoehnung mit dem Menschen Haider stehe jetzt im
  Vordergrund, er zolle ihm Respekt und Anerkennung: "Landeshauptmann
  Joerg Haider, Kollege, ruhe in Frieden", spricht der protokollarisch
  hoechste Redner der Republik und bekreuzigt sich zum Sarg gewandt. Die
  Soldaten stehen regungslos.
  
  Und der Bischof sitzt neben dem Bundespraesidenten.
  *Viktor Englisch*
  
  
  
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