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akin-Pressedienst.
Aussendungszeitpunkt: Dienstag, 14. Oktober 2008; 20:48
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USA:

> Streik bei Boeing

27.000 MechanikerInnen des US-Flugzeugbauers seit ueber einem Monat im
Ausstand

Anfang September sind 27.000 MechanikerInnen des US-Flugzeugbauers
Boeing in einen unbefristeten Streik getreten. Sie legten ihre Arbeit
nieder, nachdem die Tarifverhandlungen zwischen ihrer Gewerkschaft --
der Internationalen Mechanikergewerkschaft (IAM) -- und Boeing zu
keinem zufrieden stellenden Ergebnis gefuehrt hatten. Der
Arbeitsausstand kostet Boeing jeden Tag rund 100 Millionen Dollar
Umsatz. Die ArbeiterInnen wollen weiterstreiken, bis ihre Forderungen
erfuellt werden.

Boeing ist der weltweit zweitgroesste Hersteller von Zivilflugzeugen
(Boeing 747, 767, 777); weiters zaehlt das US-amerikanische
Unternehmen auch zu den wichtigsten Entwicklern und Produzenten von
Militaer- und Weltraumtechnologie. Das Pentagon und die amerikanische
Luft- und Raumfahrtbehoerde NASA gehoeren zum erlauchten Kundenkreis
des Konzerns, was auch erklaert, weshalb das Unternehmen in hohem
Masse von US-Regierungsstellen subventioniert wird. Allein seit dem
Jahr 1992 erhielt Boeing direkte und indirekte Subventionen in der
Hoehe von 29 Milliarden Dollar.

Der Flugzeughersteller ist der groesste private Arbeitgeber im
Bundesstaat Washington und das groesste Exportunternehmen der
Vereinigten Staaten von Amerika. Das Unternehmen erpresste im Jahr
2003 den Bundesstaat Washington im Bewusstsein des eigenen
oekonomischen Gewichts. Der Hersteller drohte damit die Produktion der
Boeing 787 "Dreamliner" in einen anderen Staat zu verlegen, falls die
vom Konzern geforderten Steuersenkung in der Hoehe von 3,2 Milliarden
Dollar nicht bewilligt werden sollte. Der "Dreamliner" ist ein
Treibstoff sparendes Grossraumflugzeug, das noch in diesem Jahr an
diverse Fluglinien ausgeliefert werden soll. Die Regierung stimmte der
Steuersenkung zu und auch ansonsten hatte der Konzern grosse Erfolge
zu verbuchen. Boeings Gewinne betragen seit dem Jahr 2002 13
Milliarden Dollar, wovon 4,1 Milliarden im Jahr 2007 und 2 Milliarden
Dollar in der ersten Haelfte des Jahres 2008 "erwirtschaftet" wurden.
Weiters verzeichnen die Auftragsbuecher ein Rekordhoch; Boeing muss
einen Lieferrueckstand in der Hoehe von 346 Milliarden Dollar
erfuellen.

Rauf mit den Loehnen!

Obwohl das Unternehmen floriert, gab sich der Konzern bei den
geplatzten Tarifverhandlungen aeusserst knausrig. Die letzte
Lohnerhoehung, die die in der Internationalen Mechanikergewerkschaft
organisierten Angestellten erhielten, liegt mehr als vier Jahre
zurueck. In der Zwischenzeit stiegen allerdings die Kosten fuer
Lebensmittel, medizinische Versorgung und Benzin drastisch an.
Waehrend die Gewerkschaft eine - ueber drei Jahre verteilte -
Lohnerhoehung von 13% einforderte, war das Unternehmen nur zu einer
Lohnerhoehung in der Hoehe von 11% bereit; ein Betrag, der nicht
einmal die Inflation der vergangenen Jahre ausgleichen wuerde. Weitere
Verhandlungspunkte waren die Anhebung der Pensionszahlungen und die
von Boeing betriebene Auslagerung der Produktion (Outsourcing) in
andere Laender bzw. zu amerikanischen Unternehmen, die ueber keine
gewerkschaftlich organisierte ArbeiterInnenschaft verfuegen. Die
Tatsache, dass die IAM-Buerokratie ein Mitspracherecht bei
Entscheidungen ueber die Auslagerung der Boeing-Produktion forderte,
war einer der Knackpunkte bei den Tarifverhandlungen.

Erste Spannungen bezueglich des Outsourcing kamen bereits in den
1990er Jahren auf, als das Unternehmen begann im Rahmen einer
Modernisierungswelle Angestellte zu feuern und immer groessere Teile
der Produktion nach Uebersee zu verlegen. Wurden vor einigen
Jahrzehnten noch alle Boeing Flugzeuge in den USA hergestellt, so ist
es heutzutage so, dass knapp 70% der Arbeiten ausgelagert sind. Dies
wirkte sich auch auf die Mitgliedszahlen der IAM aus. Innerhalb von
zehn Jahren sank die Zahl ihrer Mitglieder von 50.000 auf 27.000.
Insofern ist die Gewerkschaftsfuehrung sehr stark an einem
Mitspracherecht in Outsourcingfragen interessiert, was ihnen
allerdings durch Boeing verwehrt wird.

Boeing argumentierte seine Unnachgiebigkeit in den Tarifverhandlungen
damit, dass das Unternehmen wettbewerbsfaehig bleiben muss. Eine
laecherliche Behauptung, angesichts der Tatsache, dass der Konzern nur
einen anderen grossen Konkurrenten im Bereich der Flugzeughersteller
hat, naemlich das europaeische Unternehmen Airbus, welches ueber eine
gewerkschaftlich organisierte und gut bezahlte ArbeiterInnenschaft
verfuegt. Die Plaene von Boeing sind leicht zu durchschauen. Durch ein
Auspressen der Arbeitskraefte sollen die Profite weiterhin gesteigert
werden.

Auf Anraten der IAM-Buerokraten wurde Boeings letztes und endgueltiges
Tarifverhandlungsangebot abgelehnt. Bei einer Urabstimmung stimmten
80% der Gewerkschaftsmitglieder gegen den vom Konzern angebotenen
Vertrag. 87% stimmten fuer einen sofortigen Streik.

Micky Maus will nicht kaempfen ...

Der Streik haette am 4.September beginnen sollen. Einige Stunden vor
Streikbeginn geriet die Fuehrung der IAM allerdings von staatlicher
Seite unter Druck. Chris Gregoire, Demokratin und Gouverneurin des
Bundesstaates Washington, forderte die Gewerkschaftsfuehrung und die
Vertreter des Boeing-Konzerns dazu auf, sich noch einmal gemeinsam an
den Verhandlungstisch zu setzen. Die IAM-Verhandler Tom Wroblewski und
Mark Blondin gaben dem Druck nach und entschieden sich dafuer, den
Streik - zwecks Durchfuehrung erneuter Verhandlungen - um 48 Stunden
nach hinten zu verschieben, was in der Gewerkschaft fuer
Unverstaendnis und Zorn sorgte. Schnell wurden Stimmen laut, die ueber
Luege und Verrat sprachen. Als Wroblewski und Blondin im
Gewerkschaftshauptquartier auf die Verschiebung des Streiks zu
sprechen kamen, wurden sie ausgebuht und beschimpft. Sie mussten die
RednerInnenbuehne unter Personenschutz verlassen.
Gewerkschaftsmitglieder begannen, Emails in Umlauf zu bringen, in
denen Wroblewskis Ruecktritt gefordert wurde.

Als bekannt wurde, dass die Verhandlungen in einem Disney Hotel in
Orlando, Florida stattfinden wuerden, verschickten wuetende
ArbeiterInnen Emails, in denen Wroblewski und Blondi als Micky Maus
dargestellt wurden. Waehrend der Verhandlungen erschien die Haelfte
der MechanikerInnen nicht zu ihrem Schichtdienst. Andere ArbeiterInnen
zerstoerten die auf dem Betriebsgelaende befindlichen - Geldautomaten
und Toiletteneinrichtungen.

... die ArbeiterInnen schon!

Am 5. September gab Tom Wrobleswski, der fuer Seattle zustaendige
Gewerkschaftschef, bekannt, dass die Verhandlungen in Florida
gescheitert waren. Seit dem 6. September befinden sich 27.000 Boeing
ArbeiterInnen in den Bundesstaaten Washington, Oregon und Kansas im
Streik. Wie lange der Streik dauern wird, ist noch nicht abzusehen.
Die momentane Arbeitsniederlegung stellt den vierten Streik der IAM in
den vergangenen 20 Jahren da. 2005 streikten die MaschinistInnen 4
Wochen lang, was das Unternehmen 1,5 Milliarden Dollar kostete, da
Boeing die Zustellung von 30 Jets verschieben musste.

Die Streikenden sind in einer guten Position den momentanen
Arbeitskonflikt zu gewinnen. Der Auftragsstand des Unternehmens war
seit Jahren nicht mehr so hoch und die Werke sollten eigentlich auf
Hochtouren arbeiten. Vor der Arbeitsniederlegung produzierte Boeing
gut 40 Flieger pro Monat. ExpertInnen gehen davon aus, dass der
momentane Streik das Unternehmen $100 Millionen Dollar am Tag bzw. 2,8
Milliarden Dollar pro Monat kostet. Wesentlich kostspieliger wird die
ganze Angelegenheit, wenn sich die Produktion des Dreamliner noch
weiter verzoegert.

Die Arbeitsniederlegung bei Boeing beginnt sich bereits international
bemerkbar zu machen. Die irische Fluggesellschaft Ryanair musste vor
kurzem wegen des Streiks die Eroeffnung von elf neuen Routen
verschieben, da neue Boeing- Maschinen fehlten. Der Druck auf das
Unternehmen steigt immens. Welche Resultate der Streik nach sich
ziehen wird, haengt nicht zuletzt auch davon ab, wie stark es den
ArbeiterInnen gelingen wird, sich von der Fuehrung der IAM zu
emanzipieren, um sie so von halbfaulen Kompromissen abzuhalten.
(Philipp Djokic, RSO)

Quelle: http://www.sozialismus.net//content/view/917/1/



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