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akin-Pressedienst.
Aussendungszeitpunkt: Dienstag, 7. Oktober 2008; 18:12
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Glosse/Medien:
> Vernunft statt Populismus?
Der letzte Wahlkampf hat - wieder einmal - einen tiefen Einblick in 
unser System und die Geisteswelt seines politischen und ideologischen 
Personals geliefert. Ich moechte dies am Beispiel der Kleinen Zeitung 
zeigen, eines im praezisesten Sinne des Begriffes "buergerlichen" 
Mediums, wie aus den folgenden Ausfuehrungen hervorgehen soll. 
Indirekt vieleicht auch EINE Erklaerung fuer den Rechtsruck in 
Oesterreich.
Eine Linie durchzieht die verschiedenen Beitraege der letzten Wochen 
in der Kleinen Zeitung, am ausgepraegtesten wohl die Leitartikel ihres 
Chefredakteurs Hubert Patterer: Der Kampf gegen den Populismus, wie er 
nach Patterer von der Kronenzeitung fuer die Sozialdemokratie und 
namentlich deren Parteivorsitzenden Faymann betrieben worden sei.
Vernunft versus Populismus - das Urteil scheint "aufgelegt": Was waere 
gegen Vernunft zu sagen? Was fuer den Populismus? Angesichts des 
Themas verlieren die Verantwortlichen fuer die Blattlinie der KLEINEN 
vollkommen die Contenance und werfen sich fuer Vernunft und 
Verantwortung in die Bresche. Doch die Scheidelinie ist nicht so klar, 
wie es auf den ersten Blick scheint.
Boeser, boeser SOZIAL-Populismus
Zunaechst ist auffaellig: Nicht jeder Populismus wird in der Kleinen 
Zeitung so massiv verdammt wie andere Varianten. Waehrend kaum einmal 
gegen die Auslaenderhetze Stellung bezogen wird (eine der wenigen 
ruehmlichen Ausnahmen ist da Werner Wintersteiner, aber der ist ja 
auch in der KLEINEN nur mit Gastkommentaren vertreten), bringt der 
sogenannte SOZIAL-Populismus Chefredakteur Patterer vollkommen in 
Rage. Im Zusammenhang mit der von der SPOe bereits im letzten 
Wahlkampf versprochenen Abschaffung der Studiengebuehren schreibt 
Patterer von einer "karitativen Panikattacke", von "Zuegellosigkeit" 
und "kopflosem Sozialpopulismus" (Kleine Zeitung, 26.9.08, S. 10).
Welche "Vernunft" liegt also dem Eintreten Patterers fuer die 
Beibehaltung der Studiengebuehren zugrunde? Patterer sieht ein Studium 
als "Investition" in die eigene Zukunft, aus dem sich dann spaeter die 
"Rendite" eines besseren Einkommens und einer gesellschaftlich hoehere 
Stellung ergaebe. So koennte man Patterer mit seinem Plaedoyer schon 
folgen. Nun hat aber Patterer da schon was reingeschummelt: Naemlich 
ein liberales Bild von Gesellschaft, wie es ja tatsaechlich der 
Mainstream ist. Insofern argumentiert Patterer folgerichtig.
Es gaebe aber auch eine andere Vernunft: Bildung als gesellschaftliche 
Grundleistung, bei der die Bildung der einzelnen zur Verbesserung der 
Lage aller beitragen soll, in der es um eine gemeinsame, bessere 
Zukunft, ein Abwerfen von Fesseln etc. geht und in der Bildung einfach 
ein Grundrecht ist. Eine solche Vernunft ist jedoch nicht Patterers 
Sache.
Beispiel Pensionen: Nicht ganz zu Unrecht kritisiert Patterer die 
Verlaengerung der Hacklerregelung als Populismus. Aber aus welcher 
Vernunft heraus, was ist sein Massstab? Ist es das steigende 
Produktivitaetsniveau der gesellschaftlichen Produktion, das in 
Wirklichkeit eine Ruecknahme der gesamten Pensionsverschlechterungen 
erlauben wuerde? Nein, ganz im Gegenteil, er meint in Anlehnung an den 
sozialliberalen Ex-Finanzminister Androsch "Der Versorgungsstaat alter 
Praegung aber habe ausgedient. Vollkasko sei unfinanzierbar und mit 
den Erfordernissen der Wissensgesellschaft, die auf Individualitaet 
und Mobilitaet setze, unvereinbar." (Kleine Zeitung, 28.9.08, S.12) 
Der Mensch als des Menschen Wolf, der eine des anderen Feind, das ist 
das Leitbild, dem auch die entsprechende "Vernunft" folgt.
Zwischenresuemee:
Die Vernunft, die sich da durch Patterer durchsetzt, ist nicht die 
einer Kritik der Verhaeltnisse, sondern ganz im Gegenteil: Es ist die 
Vernunft eines Systems, dessen oberstes Prinzip die Akkumulation von 
Kapital ist und das mittlerweile weltweit nicht nur an seine 
aeusseren, oekologischen Grenzen stoesst, sondern das an seinem 
eigenen angehaeuften Kapital zu ersticken droht: Um die Profitraten 
fuer die ungeheuren Kapitalmassen zu gewaehrleisten, sind 
Umverteilungsmassnahmen nicht mehr leistbar (mit dem Nebeneffekt, dass 
dafuer mit dem Hintenbleiben der Masseneinkommen die Konsumnachfrage 
einbricht. Hinausgezoegert wird das offene Ausbrechen dieser 
systemimmanenten Krise durch immer neue Kredit- und 
Finanzkonstruktionen, siehe platzende Finanzblase! Diese Vernunft 
(nach der letzten Nationalratswahl sprach Patterer von "Einsicht in 
die Notwendigkeit" - Okt. 2006) ist eine Vernunft der 
"Folgerichtigkeit": Indem sie ihre eigenen Voraussetzungen nicht 
kritisiert, sondern nur in ihren Bahnen weiter folgert, wird Vernunft 
zur gefaehrlichen Drohung!
Das direkte Engagement fuer die Logik des Systems
Wie sich die Systemzwaenge durchsetzen, ist selten ganz einfach 
nachzuweisen. Und es laeuft ja auch meist indirekt: Es ist halt 
einfach mitten in einem Meer von Geld keines mehr da, die 
Wettbewerbsfaehigkeit muesse in der Konkurrenz der Standorte erhalten 
bleiben... Wo allerdings gut ausgebaute Bastionen, Rechte, 
festgeschriebene Ansprueche bestehen, da kann es schon sein, dass aus 
dem sich hinter dem Ruecken der Beteiligten durchsetzenden 
Systemerfordernis die soziologisch greifbare Intervention wird. Die 
Kleine Zeitung selbst hat aus der juengeren Vergangenheit einen 
interessanten Fall dokumentiert, bei dem sie die proklamierte 
Objektivitaet verlassen hat und in einem vorgezogenen Fall von 
"embedded journalism" (der Begriff stammt aus dem 2. Irakkrieg 2003) 
selbst zum Kombattanten wurde:
Ende 1999 / Anfang 2000 liefen bereits seit Jahren die Anpassungen an 
die verschaerften Konkurrenzverhaeltnisse, allerdings immer noch in 
sozialpartnerschaftlicher Manier unter Zustimmung der Gewerkschaften, 
Kammern etc.. Das ging den Vertreter/innen der Vernunft aber immer 
noch zu langsam, nach einem jahrelangen journalistischen Trommelfeuer 
gegen angebliche Blockaden von "Reformen" (und damit sind immer 
Verschlechterungen gemeint!) wurde im Jahr 2000 die 
OeVP-FPOe-Koalition gebildet. Ganz vorne mit dabei der ehemalige 
Journalist der Kleinen Zeitung, Hans Winkler. Er beschreibt die 
Situation und seine Rolle ganz offen:
"Die Kleine Zeitung hat die Wende des Jahres 2000 unterstuetzt. Nicht, 
weil wir grosse Sympathien fuer Haider oder die FPOe gehabt haetten, 
sondern weil wir ueberzeugt davon waren und sind, dass es eine 
Alternative zur Grossen Koalition geben muesse. Die Wende des Jahres 
2000 brachte dann den ueberraschenden Beweis, dass in diesem Land noch 
Politik moeglich ist. In einem Parforceritt wurden laengst faellige 
Reformen durchgezogen, zu denen die grosse Koalition vorher nicht mehr 
faehig war und die das Land europareif machen und fuer die 
Herausforderungen der Globalisierung wappnen sollten: Anpassung des 
Pensionssystems, Universitaetsreform, Privatisierungen und Sanierung 
der alten OeIAG, die Schaffung der Abfertigung Neu, um nur einiges zu 
nennen. Vor allem aber ein Paradigmenwechsel in der Finanzpolitik." 
(Hans Winkler, Von einer grossen Koalition zur naechsten. In: Kleine 
Zeitung, 2.6.07)
Die so offen eingestandene Intervention fuer die Logik des Systems 
(daher auch die Bezeichnung "buergerliche Medien") ist die Ausnahme. 
Festzuhalten aber ist: Eine Gegenueberstellung Populismus versus 
Vernunft fuehrt nicht weiter. Die Frage ist vielmehr, welche Vernunft 
wir denken: Die Vernunft der Folgerichtigkeit, der Anpassung, des 
Sich-Einfuegens in die Verhaeltnisse oder eine Vernunft, die davon 
ausgeht, welches Potenzial an Wohlstand fuer alle Menschen prinzipiell 
da ist und die die Verhaeltnisse, die dieser Realisierung des ,guten 
Lebens' im Wege stehen, ueberwindet. Freilich: Wahlkaempfe sind fuer 
ein solches Innehalten und Reflektieren denkbar ungeeignet - siehe 
Wahlergebnis.
*Walther Schuetz*
Quelle:
http://www.kaernoel.at/cgi-bin/kaernoel/comax.pl?page=page.std;job=CENTER:articles.single_article;ID=2530
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