**********************************************************
akin-Pressedienst.
Aussendungszeitpunkt: Dienstag, 7. Oktober 2008; 17:44
**********************************************************
Kapitalismus/Krise:
> Derivate: Wie wettet man auf Wetten?
*Dinu Gautier* gab in der WoZ ein leicht verstaendliches Beispiel:
Es ist Februar. Getreidebauer Ueli muss im Herbst die Rechnung fuer 
eine neue Scheune bezahlen. Wenn der Weizenpreis stabil bleibt, ist 
das kein Problem. Das Risiko, wegen moeglicherweise fallender Preise 
nach der Ernte seine Scheune nicht bezahlen zu koennen, will er aber 
nicht eingehen. Baeckerin Heidi wiederum hat das Geruecht gehoert, bis 
zur Ernte koennten die Weizenpreise massiv ansteigen. Heidi und Ueli 
schliessen nun einen Vertrag, den man auch als Wette oder Versicherung 
sehen kann: Die Baeckerin verpflichtet sich, dem Bauern in fuenf 
Monaten, wenn die Ernte eingefahren wird, 20.000 Franken fuer 10 
Tonnen Weizen zu bezahlen. Steigt in der Zwischenzeit der Weizenpreis, 
dann macht Heidi ein gutes Geschaeft. Sinkt er aber, ist das schlecht 
fuer Heidi. Ueli aber erhaelt im Herbst trotzdem genug Geld, um die 
Scheune zu bezahlen.
Vom Geruecht der steigenden Weizenpreise hat nicht nur Heidi gehoert. 
Wertpapierhaendler Anton verfuegt ueber geheime Informationen, die ihn 
kaum an steigenden Weizenpreisen zweifeln lassen. Er geht deshalb auf 
Heidi zu und bietet ihr 1000 Franken, wenn sie ihm ihre Abmachung mit 
Ueli uebertraegt. Heidi willigt ein. Sie hat soeben 1000 Franken mit 
dem Verkauf eines Derivates verdient.
Kurz vor der Ernte im August gibt es Unwetter in China. Der 
Weltmarktpreis fuer Weizen steigt um 25 Prozent. Fuer 10 Tonnen des 
Getreides zahlt man nun 25.000 Franken. Anton bekommt nach der Ernte 
von Ueli also Weizen im Wert von 25.000 Franken zum abgemachten Preis 
von 20.000 Franken. Anton hat somit mit nur 1000 Franken Investition 
einen Gewinn von 4000 Franken erzielt. Haette er im Februar 1000 
Franken direkt in Weizen investiert, so haette er bei einem 
Preisanstieg von 25 Prozent lediglich 250 Franken verdient.
Ein Derivat ist somit nichts anderes als eine Wette auf die Zukunft. 
Das hat sich Anton zunutze gemacht - und er hat seine Wette gewonnen 
(Heidi auch). Ein Derivat ermoeglicht aber auch, sich gegen eine 
unvorhergesehene negative Entwicklung zu schuetzen - wie das Ueli aus 
Angst vor sinkenden Weizenpreisen getan hat.
Der Begriff «Derivat» kommt vom lateinischen «derivare», was 
«ableiten» bedeutet. Der Wert jedes Derivats leitet sich naemlich von 
einem so genannten «Basiswert» ab. Im oben stehenden Beispiel ist der 
Weizenmarktpreis Basiswert. Dabei sind unendlich viele Arten von 
Basiswerten denkbar: Etwa Aktien- oder Waehrungskurse. Moeglich sind 
sogar Derivatwetten auf zukuenftiges Wetter.
Mit Derivaten kann mit verhaeltnismaessig wenig Kapital sehr viel Geld 
verdient oder verloren werden. Dieser Effekt heisst «Hebelwirkung». 
Dank der Hebelwirkung hat Anton in unserem Beispiel 4000 statt nur 250 
Franken verdient.
2006 betrug der Wert der weltweit gehandelten Derivate uebrigens gut 
das Achtfache der weltweiten Wirtschaftsertraege. Da Derivate 
komplizierte Gebilde sind, ist es aber schwierig, ihren Wert zu 
berechnen. Dafuer gibt es Formeln, und wer diese beherrschen will, 
braucht sehr gute Mathematikkenntnisse. Noch komplizierter wird das 
Ganze, wenn Derivate «verpackt» werden. So gibt es zum Beispiel 
Derivate, die als Basiswert wiederum Derivate haben. Man wettet nun 
also auf den zukuenftigen Wert einer anderen Wette. Und auch diese 
Wette kann wieder als Basiswert eines dritten Derivats dienen. 
Schlussendlich handelt man mit Wertpapieren, bei denen nicht einmal 
mehr Fachleute wissen, auf welchem Basiswert sie im Kern beruhen. 
Diese Verwirrung koennen HaendlerInnen noch vergroessern, indem sie 
ein Derivat auf verschiedene Basiswerte stuetzen.
Beliebt ist auch die Weitergabe von (faulen) Krediten in Derivatform. 
Man packt sie sozusagen in schoenes Papier ein und verkauft sie 
weiter. Der Kaeufer verpackt das Paeckchen ein weiteres Mal und 
verkauft es erneut. Und so weiter.
Das Ganze geht gut, bis einmal jemand genau hinguckt und merkt, dass 
im Innern der Verpackung beispielsweise faule Hypothekenkredite 
liegen. Nun will ploetzlich niemand mehr die nett anzusehenden 
Paeckchen kaufen, und die Blase platzt. Jetzt sind nicht nur 
diejenigen betroffen, die Kredite an zahlungsunfaehige KundInnen 
erteilt haben, sondern all jene, die Papiere besitzen, die sich auf 
diese faulen Kredite abstuetzen. Und das sind nicht wenige.
Was nun passiert, hat Gian Trepp bereits 1994 in der WOZ beschrieben: 
Wenn eine grosse Bank wegen unkontrollierter Hebelwirkungen von 
Derivaten enorme Summen verliere und deswegen ihre Verpflichtungen im 
Handel mit anderen Banken ueber Nacht nicht mehr erfuellen koenne, 
«droht der gefuerchtete Dominoeffekt». Die geschaedigten Banken 
wuerden in Panik geraten und ihre Kredite reduzieren, was immer mehr 
Konkurse nach sich ziehen wuerde. Dann sei die Zentralbank gezwungen 
einzugreifen, um einen Zusammenbruch der Finanzmaerkte und des 
Zahlungsverkehrs zu verhindern. Und wieder einmal muesse der Staat 
dann aus riskanten Geschaeften entstandene Verluste zu Lasten der 
Allgemeinheit uebernehmen, sagte Trepp voraus.
(WoZ 40/2008, gek.)
Originaltext: http://www.woz.ch/dossier/Kapitalismus/16924.html
***************************************************
Der akin-pd ist die elektronische Teilwiedergabe der 
nichtkommerziellen Wiener Wochenzeitung 'akin'. Texte im akin-pd 
muessen aber nicht wortidentisch mit den in der Papierausgabe 
veroeffentlichten sein. Nachdruck von Eigenbeitraegen mit 
Quellenangabe erbeten. Namentlich gezeichnete Beitraege stehen in der 
Verantwortung der VerfasserInnen. Ein Nachdruck von Texten mit anderem 
Copyright als dem unseren sagt nichts ueber eine anderweitige 
Verfuegungsberechtigung aus. Der akin-pd wird nur als Abonnement 
verschickt. Wer versehentlich in den Verteiler geraten ist, kann den 
akin-pd per formlosen Mail an akin.buero{AT}gmx.at abbestellen.
*************************************************
'akin - aktuelle informationen'
a-1170 wien, Lobenhauerngasse 35/2
vox: ++43/1/535-62-00
(anrufbeantworter, unberechenbare buerozeiten)
http://akin.mediaweb.at
akin.buero{AT}gmx.at
Bankverbindung lautend auf: föj/BfS,
Bank Austria, BLZ 12000,
223-102-976/00, Zweck: akin