**********************************************************
akin-Pressedienst.
Aussendungszeitpunkt: Dienstag, 7. Oktober 2008; 17:41
**********************************************************

Kapitalismus/Krise:

"Das neoliberale Laissez-faire ist die Ursache des Fiaskos"

Dominique Plihon ist Professor fuer Finanzwirtschaft an der
Universitaet Paris-XIII und Vorsitzender des wissenschaftlichen
Beirats von Attac France. Zuvor war er lange aktives Mitglied der
linkssozialistischen PSU. Das folgende Interview erschien in der
Tageszeitung "junge Welt" (www.jungewelt.de) vom 29.9.08 in leicht
redigierter Form. Hier die Originalversion:


FRAGE:In den USA hat der Staat nach den beiden Hypothekenbanken Fannie
Mae und Freddie Mac nun auch den Versicherungsriesen AIG gerettet. Was
bedeutet diese Rueckkehr des Staates in die Wirtschaft?

Dominique Plihon: Die staatlichen Initiativen beweisen, dass der Markt
zur Selbstregulierung nicht in der Lage ist und dass das Laissez-faire
der Maerkte in einem totalen Fiasko endet. Wir befinden uns am Ende
eines Zyklus, der vor 20 bis 30 Jahren mit der neoliberalen Phase, der
Deregulierung und den Liberalisierungen begonnen hat, wo der Markt das
zentrale Element war. Nun beginnt ein neuer Zyklus, in dem die Staaten
aufgerufen sind, eine Rolle zu spielen - auch wenn das den heute
amtierenden Regierungen nicht gefaellt, weil die herrschende Ideologie
behauptet, dass die oeffentliche Hand nicht intervenieren darf. Der
neue Zyklus hat bereits begonnen. Ausgangspunkt waren die ersten
Bankenverstaatlichungen. Dabei wird es aber nicht bleiben koennen. Der
Staat und die Behoerden muessen das Funktionieren der Maerkte strenger
kontrollieren.


F: Wieso erzaehlen uns die Regierungen immer wieder, dass die Kassen
leer sind, dass kein Geld da ist, um Sozialprogramme zu finanzieren
und dann kann die Europaeische Zentralbank ploetzlich binnen zwei
Tagen 100 Milliarden Euro auf den Markt werfen?

D.P.: Die EZB schafft Geld ex nihilo (aus dem Nichts heraus), genau
wie es die amerikanische FED getan hat, waehrend das Budget, wenn Geld
fuer Forschung oder Schulen gefordert wird, aus den Steuereinnahmen
finanziert wird. Das sind zwei unterschiedliche Dinge. Dies
vorausgeschickt, fragen wir uns bei Attac natuerlich auch, warum die
Zentralbank, wenn sie in der Lage ist, neues Geld zu schaffen, um in
Schwierigkeiten geratenen Grossbanken zu helfen, dies nicht auch tun
kann, um die oeffentlichen Ausgaben zu finanzieren? Die EZB hilft den
Spekulanten, die die Wirtschaft in Gefahr bringen, waehrend sie das
Geld fuer wichtige Programme verweigert.


F: Wird die Finanzkrise unmittelbare Auswirkungen auf die reale
Wirtschaft haben?

D.P.: Es wird Konsequenzen fuer die Beschaeftigung geben und zwar
aufgrund einer zunehmend rigideren Kreditvergabe. Die Banken sind sehr
viel fragiler. Sie haben das Vertrauen verloren. Deshalb werden sie,
auch bei den kleinen und mittleren Unternehmen und den
Privathaushalten, eine restriktivere Politik der Kreditgewaehrung
betreiben. Die Auswirkung auf das Wirtschaftswachstum macht sich
bereits bemerkbar. Das Wirtschaftsmodell, auf dem das Wachstum
beruhte, hatte seine Grundlage in der wachsenden Verschuldung. Mit der
Herrschaft des Finanzkapitalismus hat es eine Veraenderung in der
Verteilung des Reichtums zwischen Lohnarbeit und Kapital gegeben - zum
Vorteil der Profite. Die Kaufkraft stagniert, aber das Kapital braucht
Absatzmaerkte und die Hauptnachfrage liefern der Immobiliensektor und
der Konsum der Privathaushalte. Die Verschuldung war der Motor des
Wachstums. Hier liegt der Widerspruch des US-Kapitalismus, der zum
weltweiten Exportprodukt wurde. Die US-Oekonomie wird vor grossen
Problemen stehen und dabei wird sie auch die aufstrebenden Laender mit
in die Krise hineinreissen.


F: Attac betont die Bedeutung der oekologischen Krise.

D.P.: Der Kapitalismus stoesst heute in der Oekologie an seine
Grenzen. Es ist nicht moeglich mit einem System weiterzumachen, dass
auf der Verschwendung basiert. Die Zeit der billigen Rohstoffe und
Energie ist vorbei. Wahrscheinlich wird es technologische Innovationen
geben, aber kurzfristig - das heisst fuer die naechsten 10 Jahre -
wird die oekologische Grenze sehr stark sein und einen weiteren
Krisenfaktor bilden. Eine Konjunkturbremse und einen Faktor, der
erneut das kapitalistische Modell in Frage stellt...


F: Die Krise findet in einem Moment statt, in dem die Linke in Europa
einen ziemlich ideenlosen Eindruck macht. Wird sie davon profitieren
koennen?

D.P.: Die Linke besitzt seit dem Ende des sozialistischen Lagers keine
alternativen politischen Projekte und war nicht in der Lage ein
alternatives oekonomisches Projekt zum Finanzkapitalismus zu
entwickeln. Deshalb ist heute fast ueberall die Rechte an der Macht
und wenn die Linke regiert, macht sie eine rechte Politik. So wie in
Spanien und Grossbritannien, die zusammen mit Irland das auf den
Immobilienboom basierende US-Modell am staerksten kopiert haben und
jetzt am schwersten erkrankt sind. Alternative Programme koennen
zusammen mit der Krise entstehen. Nach 1929 war genau das der Fall,
wobei das Spektrum von Roosevelts New Deal bis zur Volksfront in
Frankreich reichte. Vor ein paar Tagen hat Obama erklaert, dass er die
Maerkte staerker regulieren will. Eine solche Aussage waere vor kurzem
noch unmoeglich gewesen.

(Interview: Waldemar Bolze)



***************************************************
Der akin-pd ist die elektronische Teilwiedergabe der
nichtkommerziellen Wiener Wochenzeitung 'akin'. Texte im akin-pd
muessen aber nicht wortidentisch mit den in der Papierausgabe
veroeffentlichten sein. Nachdruck von Eigenbeitraegen mit
Quellenangabe erbeten. Namentlich gezeichnete Beitraege stehen in der
Verantwortung der VerfasserInnen. Ein Nachdruck von Texten mit anderem
Copyright als dem unseren sagt nichts ueber eine anderweitige
Verfuegungsberechtigung aus. Der akin-pd wird nur als Abonnement
verschickt. Wer versehentlich in den Verteiler geraten ist, kann den
akin-pd per formlosen Mail an akin.buero{AT}gmx.at abbestellen.

*************************************************
'akin - aktuelle informationen'
a-1170 wien, Lobenhauerngasse 35/2
vox: ++43/1/535-62-00
(anrufbeantworter, unberechenbare buerozeiten)
http://akin.mediaweb.at
akin.buero{AT}gmx.at
Bankverbindung lautend auf: föj/BfS,
Bank Austria, BLZ 12000,
223-102-976/00, Zweck: akin