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akin-Pressedienst.
Aussendungszeitpunkt: Dienstag, 30. September 2008; 17:20
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Wahl/Glosse:

> Nichts Neues in der Wahlzelle

Dass im Nationalrat jetzt ein paar Grosskopferte durch andere
ausgetauscht werden, ist nicht sonderlich weltbewegend.


"Wir werden damit leben muessen!" So titelte die akin 2002 angesichts
der 42%, die die OeVP bei den damaligen Nationalratswahlen einfahren
konnten. Genauso haetten wir auch schon 1999 aufmachen koennen, als
die FPOe 52 Mandate gemacht hatte. Und diesmal waere der Satz erneut
richtig gewesen. Es gibt in Oesterreich einfach eine deutlich rechte
Mehrheit unter den Wahlberechtigten -- und das wohl schon seit den
Anfaengen der 1.Republik. Zu Kreiskys Zeiten hat es prima vista ein
wenig anders ausgesehen, aber auch da muss man sich die Frage, wie
links viele seiner Waehler, aber auch viele Mitglieder der SPOe
waren -- man denke nur an so manchen Kaerntner Buergermeister.

2002 war Wolfgang Schuessel noch derjenige, der am besten den
autoritaeren Charakter bediente, jetzt waren es eben die beiden
rechtsextremen Volkstribunen. Es hat sich mit diesen Wahlen kaum
Essenzielles geaendert, die zwei FPOes haben sich konsolidiert und
sind jetzt wieder ungefaehr auf dem Stand von 1999, weil das rechte
Lager wieder zu blaun zurueckgefunden hat.

Dramatisch ist das Ergebnis lediglich fuer die Parteienlandschaft: Das
rotschwarze Ancient Regime ist nicht mehr -- die Verfassungsmehrheit
im Parlament ging den beiden Staatsparteien verloren, auch hat
erstmals seit 1945 keine der beiden Parteien mehr eine
Drittel-Sperrminoritaet. Aber auch dies ist nur eine Folge einer
jahrzehntelangen Korrosion der jetzt nur mehr ehemaligen
Grossparteien: Konnten sie 1970 zusammen noch 93% und 1983 91% aller
gueltigen Stimmen lukrieren, waren es 1990 nur mehr 75% und 1994 63%.
Dazwischen lagen das Erstarken der FPOe und das Erscheinen von Gruenen
und LiF -- ploetzlich kam breiten Schichten die Idee, dass man ja auch
mal was anderes als die Herrschaftszwillinge waehlen koennte. Hie und
da konnten sich die beiden in ihrer Gesamtheit manchmal noch etwas
erholen (1995: 67%, 2002 79%), doch das waren durch innenpolitischen
Ausnahmesituationen ausgeloeste Sonderfaelle. Die Tendenz blieb
erhalten: Heute schaffen SPOe und OeVP zusammen gerade mal die
absolute Mehrheit.

Tageszeitungskommentatoren moegen das anders sehen. Schliesslich
muessen die immer was Neues, Aktuelles sagen: Sie geben am Liebsten
dem in der Oeffentlichkeit ausgetragenen Streit die Schuld am Debakel
der Regierungsparteien. Oder besonders originell Andreas Unterberger
in der Wiener Zeitung: Er sieht die Ursache bei der SPOe in Faymanns
5-Punkte-Paket und bei der OeVP in "den Fotos und der Brille des
Spitzenkandidaten".

1995 titelte der "Standard": "Freiheitlicher Hoehenflug beendet". Das
erwies sich vorgestern als falsch: Heute koennen FPOe und BZOe nach
der Endauszaehlung zusammen mit 15 Mandaten mehr rechnen als sie
damals als Gesamtfreiheitliche erzielten.

Markus Willhelm schrieb in den 90ern im "FOeHN", wir duerften die
FPOe-Waehler nicht verdammen, sondern sehen, dass sie eben nicht mehr
einverstanden sind mit der herschenden Politik -- eine Haltung, die
prinzipiell nicht so schlecht ist. Leider aber aendert diese
Protesthaltung gegenueber den von Haider so genannten "Altparteien"
nichts am Wertekompass der Untertanen. Ein Volk, dass zum Grossteil
autoritaer und chauvinistisch gepraegt ist; wo Kaiser, Dollfuss und
Hitler dafuer gesorgt haben, dass Generationen von klein auf das
Buckeln nach oben und das Treten nach unten gelernt haben; das aendert
sich nicht so schnell.

Dennoch muss man zumindest versuchen, gegenzusteuern. Nicht mit dem
krampfhaften Versuch eine neue Partei zu etablieren, sondern es
muessen Bewegungen her, wie sie beispielsweise 1986 ohne grossen
Kraftaufwand die Gruenen ins Parlament gespuelt haben. Es muessen
Bewegungen her, die sich aber auch nicht, wie eben die Umweltbewegung,
von einer Partei instrumentalisieren lassen. Es muessen Bewegungen
her, die sich nicht mit dem begnuegen, was "sich politisch durchsetzen
laesst", sondern radikale Forderungen aufstellen und sie genauso
allgemeinverstaendlich wie provokant formulieren. Es muessen
Bewegungen her, die wieder als Gespenster umgehen, so wie man es einst
dem Kommunismus nachsagte, sodass das Buergertum mit zitterndem Finger
darauf zeigt und damit den Unzufriedenen den Weg weist. Zuletzt: Es
muessen Bewegungen her, die die Menschen dazu animieren, selbst
politisch zu agieren, anstatt auf den Messias zu warten. Dann wird
sich auch die Gesellschaft veraendern und auch die Wahlergebnisse --
die dann letztlich aber auch egal sein werden, denn die kandidierenden
Parteien haengen ihr Maentelchen sowieso in den Wind, der ihnen kalt
ins Gesicht blaest.

Ja, das jetzige Wahlergebnis ist nicht schoen. Die Unzufriedenheit der
Menschen wurde solange von den FPOes in Nationalismus umgedeutet, bis
die Unzufriedenen dieses Denken als ihr eigenes annahmen. In Zukunft
gilt es, den Unzufriedenen Alternativen zu bieten. Dann ist eine
rechte Mehrheit in diesem Volk zu beenden.
*Bernhard Redl*


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