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akin-Pressedienst.
Aussendungszeitpunkt: Dienstag, 30. September 2008; 17:17
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Wahl/Reportage:
> "Niemals wieder"
Die SPOe feiert das schlechteste Ergebnis ihrer Geschichte frenetisch.
Dem Rechtsruck bei den Nationalratswahlen steht sie hilflos
gegenueber. Parolen wie "Niemals wieder" kaschieren den Nicht-Umgang
mit dem oesterreichischen Rechtsradikalismus.
"Niemals wieder, niemals wieder". Das Festzelt der SPOe vor der
Loewelstrasse droehnt von der Parole der Sozialdemokraten. Wieder ist
es Michael Haeupl, der Wiener Buergermeister, der den Einpeitscher
macht. "Niemals wieder ein 1938" fordert er vor den
Parteifunktionaeren ein, die frenetisch das Wahlergebnis feiern. Die
Sozialdemokratie ist die staerkste Partei in Oesterreich geblieben. Es
ist das wohl am meisten beklatschte schlechteste Wahlergebnis in der
oesterreichischen Geschichte. Vor allem nach rechts ist die SPOe
ausgeblutet. Zusammen liegen FPOe und BZOe nur ein paar
Zehntelprozentpunkte hinter ihr. Den wenigen Nachdenklichen
Sonntagabend macht das Angst. Haeupl bringt es mit seinem Vergleich
1938 auf den Punkt. Der heutige Rassismus sei der neue Antisemitismus.
FPOe und BZOe bedienen sich der gleichen Strategien wie die Nazis.
Haeupl hat aus seiner Sicht Erklaerungen parat. "Diese Parteien wollen
die Menschen spalten. Das duerfen wir nicht zulassen". Die
Beinahe-Katastrophe, die als Triumph gefeiert wird, ist aus Sicht des
Wiener Buergermeisters denen zu verdanken, die bei EU-Erweiterung und
Globalisierung verloren haben. "Ja, es gibt Verlierer. Ja, es gibt
Armut in Oesterreich, dem viertreichsten Land der EU". Das sei eine
Schande. Man duerfe die Armen und Verlierer nicht der Rechten
ueberlassen. "Wir muessen ihnen sagen: Wir kuemmern uns um euch, wir
helfen euch". Auch ein Aufruf fuer die Wienwahl 2010. "Dieser
Wahlkampf wird heute eroeffnet" schreit Haeupl ins Mikrofon und
beschwoert die Aktivistinnen und Aktivisten, die von den vergangenen
Wochen erschoepft sind. "Niemals wieder, niemals wieder" droehnt es
zurueck. "Die Rechten wollen die Armen gegen die Wohlhabenden
ausspielen. Das ist nicht der oesterreichische Weg". Vielleicht
verspricht er sich hier, vielleicht beschwoert er wirklich eine
Vorstellung von Klassenharmonie.
Derart differenzierte Betrachtungen gehen unter. Im Jubel, der
Erschoepfung und im Ottakringer Bier. "Niemals wieder", diese
antifaschistische Beschwoerung, die Haeupl ins Zelt geworfen hat, wird
zum neuen Kampfruf der oesterreichischen Sozialdemokratie. Harry
Kopietz, der Wiener Landesgeschaeftsfuehrer, holt die
Zukunftshoffnungen der Sozialdemokratie auf die Buehne, zusammen mit
Parteipromis. Bis Spitzenkandidat und Bundesvorsitzender Werner
Faymann von der Fernsehkonfrontation eintrifft, sollen sie die
Stimmung am Kochen halten. Nach der emotionsgeladenen Rede Haeupls
eine schwierige Aufgabe. Tosender Applaus, als Laura Rudas, Andi
Schieder, Rudolf Hundstorfer, Doris Bures und andere auf die Buehne
steigen. Die Kameras fangen vor allem die jungen Genossinnen und
Genossen ein, die sich an die Absperrung aus rotem Band draengen.
Einige recken Faymann-Schals in die Hoehe, andere klatschen wie wild.
Dazwischen immer wieder "Niemals wieder". Der OeGB-Praesident bezieht
sich sofort auf Haeupl. "Ich moechte seine Aussage nach dem Niemals
wieder erweitern. Nicht nur, dass wir niemals wieder ein 1938 zulassen
duerfen. Wir duerfen auch niemals wieder zulassen, dass die
Sozialdemokratie und die sozialdemokratischen Gewerkschafter getrennt
marschieren. Ueberall in Europa, wo das passiert, geht es den
sozialdemokratischen Parteien noch viel schlechter als hier". Ein
Seitenhieb auf Noch-Bundeskanzler Alfred Gusenbauer. Er hatte waehrend
des BAWAG-Skandals die OeGB-Spitzenvertreter von ihren sicheren
Listenplaetzen bei der Nationalratswahl 2006 vertrieben. Das haben die
ihm nie verziehen.
Hier jemanden zu finden, ist unmoeglich. Hunderte draengen
gleichzeitig hinein und hinaus. Man busselt einander ab, faellt
einander um den Hals. Distanz gibt es heute beinahe keine. Die
Menschen, mit denen man bei Wahlkampfaktionen war, sind heute abend
die besten, die engsten Freunde. "Wir sind gerannt und es hat sich
ausgezahlt", sagt ein sichtlich erschoepfter Jungaktivist und
schuettet ein Bier aus dem Plastikbecher hinterher. "Wie viel werden
wir heute abend trinken", fragt ihn ein anderer. Eine rhetorische
Frage. Der naechste Schluck ist gross und lang, der Weg zu einer der
beiden Bars nicht weit. Die beiden stehen direkt davor, neben ihnen
ein paar andere Jungaktivisten, die sich angeregt unterhalten.
Hundstorfers Rede sorgt fuer wenig Aufmerksamkeit. Jubel ist vorne
angesagt, wo die eigenen Live-Kameras stehen, die die Bilder auf zwei
Grossleinwaende werfen, wo die nationalen und internationalen
Fernsehsender ihre Kameras platziert haben, wo dauernd Blitzlichter zu
sehen sind.
"Laura, Laura", schreien Hunderte, Hunderte klatschen mit. "Heute
abend gibt es keine Freunde, heute sind wir alle Genossen", beginnt
der Jungstar der Bundespartei ihre Rede. "Was ist der Unterschied
zwischen Freunden und Genossen", fragt die Oe3-Reporterin, die sich
hinter den Fernsehkameras platziert hat und streckt ihr Aufnahmegeraet
in Richtung der Jubelenden. Sie nimmt Atmo auf, heisst das im
Fachjargon. Atmosphaerische Geraeusche, die ein wichtiges Stilelement
der Radioreportage sind. Die erfahrene Innenpolitikredakteurin ist mit
den Anreden der linken Reichshaelfte offenbar nicht sehr vertraut.
"Ist ein Genosse mehr als ein Freund?" Auf der Buehne zeigt sich Rudas
kaempferisch, betreibt auch Motivation fuer die Aktivistinnen und
Aktivisten. Der Sieg sei auch den starken Frauen in der SPOe zu
verdanken, sagt sie und bittet Vizebuergermeisterin Renate Brauner auf
die Buehne, der sie um den Hals faellt.
Vor dem Eingang haben sich die Journalisten positioniert. Faymann muss
jeden Augenblick kommen. Vorne hat die Musik aufgehoert zu spielen.
Die "ZiB 2" macht einen Live-Einstieg aus dem Festzelt. Die Reporterin
hat hoerbar Muehe gegen den Applaus und die Jubelschreie, die
stellenweise ins Gegroehle uebergehen, anzuschreien. Viele hier sind
seit den ersten Hochrechnungen am Feiern, nicht immer ist die
Artikulation so klar, wie sie sein koennte.
Eine Kamerafrau bringt ihr Equipment in Sicherheit, als sie fast von
der Menge ueberrannt wird. Um den Spitzenkandidaten bildet sich
spontan ein Korridor, die Menschen draengen sich um ihn, die Kamera
steht im Weg. Haende recken sich Faymann entgegen, dem die
Erschoepfung fast nicht anzumerken ist. Er schuettelt eine nach der
anderen, waehrend er der Buehne entgegeneilt, begleitet von einem
Tross Journalisten. Sieger erwecken mehr Interesse als Verlierer,
alles draengt sich heute um ihn. Quasi dahinter leitende
Politikredakteurinnen- und Redakteure fuehrender heimischer Medien.
Die meisten haben ihre Kommentare und Analysen schon geschrieben.
Hintergrundgespraeche wird es kaum mehr geben. Zu erfahren gibt es
ausser Stimmung wenig. Bier und Wein kosten nichts und mit Wahlsiegern
feiert man gerne. In ihrer Naehe gesehen zu werden, das eigene
Interesse an ihnen zu bekunden, tut man gerne. Rituale des heimischen
Journalismus.
Faymann wird als Retter der SPOe gefeiert. Wie zum Wahlkampfauftakt
spielt er den Jubel zurueck an die Anwesenden. "Ohne Euch an meiner
Seite haette ich das nicht geschafft. Mit Freunden wie Euch habe ich
mich nie alleine gefuehlt". Seelenmassage fuer die Aktivistinnen und
Aktivisten, ihre Herzen fliegen ihm zu. Faymann zieht sein Programm
durch, neue Toene auch am heutigen Abend gibt es nicht. Er spricht
viel von der Arbeitnehmerpartei, viel von sozialer Gerechtigkeit. Die
Studiengebuehren, die Pensionen. "Es war harte Arbeit, Haltung zu
zeigen, Positionen zu beziehen und Stimmen zu gewinnen".
Dafuer, dass die Reche stark ist wie nie, hat der mutmasslich naechste
Bundeskanzler eine einfache Erklaerung bei der Hand. "Wenn sich zwei
streiten, freut sich der Dritte. Und das sind heute zwei Parteien".
Mit Ausnahme einer deutlichen Absage an Koalitionen mit FPOe und BZOe
wie schon waehrend des Wahlkampfs geht er kaum weiter auf das Thema
ein. Faymann liefert keine Analyse. Seine Strategie gegen FPOe und
BZOe besteht aus Moral und der Beschwoerung von Sozialpolitik. Keine
Koalition mit den Hetzern, wie er selber gelegentlich sagt, und den
Sozialstaat auszubauen oder zu bewahren.
"Die haben das Problem nicht verstanden", zeigen sich die Mitglieder
einer linkeren Sektion eines Arbeiterbezirks einig. "Wir muessen auf
jeden Fall rennen und innerhalb der Sektion besser gegen die Rechten
vorgehen". Kontakt zu den Leuten suchen, Aufklaerung lautet das
Rezept. "Wir muessen den Menschen erklaeren, wie gefaehrlich die Leute
sind". Wie erfolgreiche Argumentation aussehen kann, muesse man
diskutieren. Ein Genosse aus einem buergerlichen Bezirk sieht eine
andere Loesung: "Rot-Blau. Die Leute werden schon sehen, dass der
Strache nichts kann. Beim Schuessel hat es ja auch geklappt. Dann sind
wir wieder an der Absoluten". Einwaende, die Situation sei nicht
vergleichbar gewesen, laesst er nicht gelten. Die Rechten zu Tode
umarmen. Das wuerde ihnen den Naehrboden entziehen. Als Preis wuerde
er auch einen Innenminister Heinz-Christian Strache zahlen.
*Viktor Englisch*
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