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akin-Pressedienst.
Aussendungszeitpunkt: Dienstag, 30. September 2008; 17:19
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Wahl/Glosse:

> Sie verstehen das Problem nicht

Einen flaechendeckenden Kampf gegen den grassierenden
Rechtsradikalismus koennen nur groessere Gruppen wie SPOe und Gruene
fuehren. Doch beide glauben, mit Moral und ein bisserl mehr
Sozialstaat FPOe und BZOe stoppen zu koennen.


Maerz 1938 als Chiffre, als Warnung vor der rechten Gefahr. "Niemals
wieder" als Slogan*. Ein Wiener Buergermeister, der die Parolen von
FPOe und BZOe mit denen der Nazis vergleicht und Wien als "Stadt der
Toleranz beschwoert". Alles nicht falsch. Aber das alles riecht nach
Moral, die das einzige ist, was man dem Rechtsradikalismus
entgegenzusetzen hat.

Aehnlich wie die Gruenen glaubt die SPOe, die Arbeitslosen, die
zu-kurz-gekommenen, seien der Naehrboden fuer den Rechtsradikalismus,
der bei dieser Wahl froehliche Urstaend gefeiert hat. Wenn man nur was
fuer diese Menschen tut, wird das schon reichen. Vielleicht erklaert
man ihnen auch ein bisserl was. Wenn sie's verstehen. Vielleicht macht
man auch ein Fest'l, wo ein paar Bands tuerkischstaemmiger
Jugendlicher spielen duerfen vor den Hacklern aus dem Gemeindebau.
Dazu gibt's Wiener Schnitzel fuer die Tuerken und Kebap fuer die
Oesterreicher. Sirtaki und Walzer werden gemeinsam getanzt und am Ende
faellt man sich in die Arme und hat einander lieb.

Schoen, wenn die Welt so einfach waere. Und nicht, dass es nicht
latenten und manchmal offenen Rassismus in Teilen der Arbeiterklasse
geben wuerde. Nur: Nicht die Verlierer der oekonomischen Entwicklungen
der vergangenen Jahrzehnte haben die Rechte stark gemacht. Wer etwas
verloren hat, geht nicht waehlen oder waehlt rot, in welcher
Schattierung. Blau ist nicht in, wie ein differenzierter Blick auf die
Wahlergebnisse zeigt. (Oder orange, das ich in der weiteren Analyse
der Einfachheit halber aussen vor lasse. Die Unterschiede
diesbezueglich sind vernachlaessigbar). Die FPOe ist keine
Arbeiterpartei im klassischen Sinn und das BZOe schon gar nicht. Blau
waehlt, wer etwas zu verlieren hat. Blau waehlen die, die sich eine
grosse Wohnung im Gemeindebau und einen Schrebergarten leisten
koennen. Blau waehlen die, bei denen es fuer ein Reihenhaus reicht.
Blau waehlen die Arbeiter und Angestellten, die ihren relativen
Wohlstand auf die eigene Leistung zurueckzufuehren und sich fuer
Angehoerige der so genannten Mittelschicht halten. Blau waehlen die
kleinen Haendler, die sich von internationalen Ketten bedroht fuehlen.
Vielleicht auch vom chinesischen oder tuerkischen Ramschladen um die
Ecke. Blau waehlen kleine Beamte, die Angst haben, das Ende der
Pragmatisierung und die seit Jahrzehnten angekuendigte
Verwaltungsreform koennte auch sie treffen.

Blau waehlt, wer Angst vor der Proletarisierung hat. Der Kleinbuerger,
die ideologische Mittelschicht. Das haben unsere Rechtsradikalen mit
den Nazis gemein.

Diese diffusen Abstiegsaengste, die Betroffene gerne verdraengen,
machen die Rechte stark. Sie koennen leicht kanalisiert werden. "Du
bist eh klass, die anderen sind schuld", kommt gut an. Die Botschaft
richtet sich an Menschen, die den eigenen (mitunter nur subjektiv
empfundenen) Erfolg eigenem Koennen zuschreiben, eigenem Fleiss und
Geschick. Vielleicht auch der eigenen, im allgemeinen als gross
eingeschaetzten, Intelligenz. Dass die bei vielen nicht ueber
Bauernschlaeue hinausreicht, ist eine andere Sache. Und dann gibt es
die anderen. Die, aus deren Mitte man selber kommt. Die, die man
abgestreift hat wie ein altes, durchgeschwitztes Hemd. Man hat sich
erhoben aus dem Kreis der Proletarier, "aus eigener Kraft", nicht
aufgrund solidarischer gesellschaftlicher Leistungen, man will mit
denen nix mehr zu tun haben. Die haben das wenige, was sie haben,
nicht verdient. Ihnen das wegzunehmen, bestaetigt den Kleinbuerger in
seiner eigenen Selbsteinschaetzung. Es nimmt ihm voruebergehend die
Angst, dass auch er, und vielleicht sehr bald, auf den oekonomischen
Status derer zurueckfallen koennte, die er so sehr verachtet.

Dazu kommt, dass in Oesterreich ethnische und soziale Bruchlinien
weitgehend zusammenfallen. Die "Auslaenderprobleme" wie
Bildungsresistenz auch in nachfolgenden Generationen, ueberbelegte und
entsprechend laute Wohnungen, etc., sind bei naeherer Analyse keine
"kulturellen" Probleme. Sie sind die gleichen Phaenomene, die es bei
oekonomisch schlechter gestellten Gruppen seit der Entstehung des
Kapitalismus gegeben hat. Die Vorurteile sind, mit wenigen Ausnahmen,
die gleichen. Nur der Ton, in dem sie vorgetragen werden, hat sich
geaendert. Der frueher offene Klassenduenkel ist dem offenen Rassismus
gewichen.

Beides ist das gleiche, nur Verkleidung und Sprechweisen wechseln.
Aber die wenigsten Menschen differenzieren gerne und wer Angst hat
schon gar nicht. Und es erleichtert dem Kleinbuerger, sich von "denen
da unten" abzugrenzen, wenn sie eine andere Sprache sprechen und
anders aussehen. Da haut er gleich dreimal so gerne hin, um es
polemisch zu sagen. Dass er sich das nur in der Wahlzelle traut und
nicht einmal bei einer telefonischen Umfrage, ist wieder eine andere
Sache.

Wenn der Wiener Buergermeister, eine nicht ganz unwichtige Figur der
Sozialdemokratie, davon spricht, dass die Rechten die Armen gegen die
Wohlhabenden aufhetzen wuerden, ist das Unsinn. Die Rechten begehren
nicht gegen die Wohlhabenden auf. Es sind die Satten, die aus Angst
auf die Hungrigen losgehen. Wenn Haeupl das versteht, kann er
vielleicht auch Strategien gegen Rechts entwickeln. Und eine dieser
Strategien muss sein: Man gibt "den Armen" das Gefuehl zurueck, dass
sie Angehoerige einer bei allem Wohlstand entrechteten Klasse sind.
Und dass die Verantwortlichen die sind, die von ihrer Arbeit leben.
Die Meinls und Grassers dieser Welt, um nur einige zu nennen und nicht
die, die noch weniger haben als man selbst. Gibt es etwas Absurderes
als einem halb Verhungerten die Schuessel Reis zu neiden, wenn man
selbst vor einem halbwegs gefuellten Tisch sitzt, und nichts ueber die
Festtafel des Nachbarn gegenueber zu sagen? Werden die drei Reiskoernd'l
den Kleinbuerger satter machen? Wohl kaum. Die Festtafel des Nachbarn
wuerde fuer alle reichen. Aber nach der geluestet es ihn nicht.

Gefuehl ist ein hier bewusst gebrauchtes Wort. Gegen Rechts wird man
nicht mit Argumenten vorgehen koennen, so richtig sie auch sein
moegen. Auch ein schluessiges Argument muss ueber die Emotion
vermittelt werden. Erst das wird ein Verstaendnis ermoeglichen.

Auch das werden Sozialdemokraten und Gruene lernen muessen. An den
Intellekt der Massen zu appellieren, ist zu wenig. Darauf spricht eine
Minderheit an. Sie werden die Urangst vor dem Gefuehl ablegen muessen,
das eigene Vorurteil, dass Emotion automatisch in Demagogie muendet.

Erst dann kann ein flaechendeckender Kampf gegen den
Rechtsradikalismus moeglich sein. Der kann nur von diesen beiden
relativ grossen Gruppen getragen werden. Bei allem Respekt vor der
harten Arbeit vieler kleinerer Gruppen wie der KPOe oder der SLP, auch
vieler NGO's: Ihnen fehlen Netzwerk und Breitenwirkung. Die koennen
unter aktuellen Voraussetzungen nur rot und gruen gewaehrleisten.
Unter der Voraussetzung, dass sie das Problem jemals verstehen.
*Viktor Englisch*


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