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  akin-Pressedienst.
  Aussendungszeitpunkt: Dienstag, 30. September 2008; 17:25
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  Moderne Zeiten:
  
  > Sind wir nicht alle Piraten?
  
  Um das Anti-Counterfeiting Trade Agreement steht eine Mauer des 
  Schweigens
  
  
  100 zivilgesellschaftliche Organisationen weltweit fordern in einer 
  Petition die sofortige Offenlegung des Entwurfs zum bisher geheim 
  ausgehandelten Abkommen ACTA (Anti-Counterfeiting Trade Agreement) 
  gegen Produktpiraterie. Datenschuetzer fuerchten, dass ACTA 
  weitreichende Eingriffe in die Grundrechte der Buerger bringen wird. 
  Die wenigen nach aussen gedrungenen Dokumente weisen darauf hin, dass 
  Zollbeamte weitestreichende Durchsuchungsbefugnisse bekommen sollen 
  und Internet-Provider zur "Kooperation" mit der Medienindustrie 
  gezwungen werden koennen.
  
  Die beiden US-Buergerrechtsorganisationen Electronic Frontier 
  Foundation (EFF) und Public Knowledge wollen die US-Regierung 
  gerichtlich zur Herausgabe von Informationen ueber das weitgehend 
  geheim ausgehandelte Anti-Counterfeiting Trade Agreement (ACTA) 
  zwingen. Sie haben dazu eine Klage gegen die Handelsvertretung der 
  Vereinigten Staaten eingereicht, zu deren Aufgaben die weltweite 
  Ausweitung des Regimes geistiger Eigentumsrechte gehoert.
  
  ACTA soll noch vor Ende der Regierung Bush unterzeichnet werden. Die 
  EFF hatte bereits im Juni eine Pruefung des Entwurfs gemaess "Freedom 
  of Information Act" in Aussicht gestellt.
  
  Zuvor hatten auch Entwicklungslaender Front gegen ACTA gemacht und 
  darauf gedraengt, die Arbeiten an dem geplanten multilateralen Vertrag 
  auf eine breitere internationale Basis etwa im Rahmen der 
  Weltorganisation fuer geistiges Eigentum (WIPO) zu stellen. 
  Aids-Hilfe-Organisationen von Malaysia bis Peru fuerchten um die 
  Versorgung der Entwicklungslaender mit billigen Generika, 
  Datenschuetzer warnen vor einer Totalueberwachung des Internets.
  
  Die Beteiligten
  
  Initiiert wurde ACTA, das ausserhalb der eigentlich zustaendigen 
  Gremien Welthandelsorganisation (WTO) und der Weltorganisation fuer 
  Geistiges Eigentum (World Intellectual Property Organization, WIPO) 
  steht, von den USA, Frankreich und anderen EU-Staaten sowie Japan und 
  Australien.
  
  Der EU-Ministerrat hatte sich am 11. September dem Thema gewidmet. Die 
  Geheimniskraemerei seitens der EU- und US-Unterhaendler geht freilich 
  weiter. Sicher ist nun aber, dass auch das Internet von den 
  ACTA-Massnahmen betroffen sein soll.
  
  In den Vereinigten Staaten, die bereits 2007 anlaesslich des 
  G-7-Treffens den ACTA-Prozess anstiessen, hat am 22. September in 
  Washington DC ein nach Registrierung offenes Informationstreffen fuer 
  Interessensgruppen ueber ACTA stattgefunden. Auch seitens des EU-Rats 
  liegt nun ein Arbeitsdokument vor, das auf den 26. August 2008 datiert 
  ist. Der eigentliche Vertragsentwurf zu dem Abkommen, das noch in 
  diesem Jahr zwischen der EU, den USA und anderen Industrienationen 
  abgeschlossen werden soll, wird aber von den beteiligten Parteien 
  weiterhin sorgfaeltig unter Verschluss gehalten. Auch die mit den 
  Verhandlungen betraute EU-Kommission weigert sich bisher, den Stand 
  der Verhandlungen offenzulegen.
  
  In Oesterreich federfuehrend in Sachen ACTA ist das 
  Wirtschaftsministerium, derzeit unter der Leitung von Martin 
  Bartenstein (OeVP), beteiligt sind auch Justiz- und das fuer den Zoll 
  zustaendige Finanzministerium.
  
  Massnahmen gegen Internet-Piraterie
  
  Das Arbeitspapier des Rates ist vage formuliert. Generell fordert der 
  Rat die Kommission und die Mitgliedslaender auf, mehr gegen Piraterie 
  zu unternehmen. Dass dabei auch gegen die Piraterie im Web vorgegangen 
  werden soll, wird mehrmals ausdruecklich erwaehnt. Zu genauen 
  Massnahmen steht in dem Papier nichts.
  
  Der Rat empfiehlt die Einrichtung eines EU-Zentrums zur Bekaempfung 
  der Produktpiraterie. Kommission und Mitgliedsstaaten sollen fuer die 
  Jahre 2009 bis 2012 einen Plan erstellen, mit dem die Zollbehoerden 
  besser fuer den Kampf gegen Faelschungen geruestet werden sollen. Auch 
  dieser Zeitplan weist darauf hin, dass ACTA schnell verabschiedet 
  werden soll. Dazu sollen die Zollbehoerden besser vernetzt und die 
  Gesetzgebung entsprechend angepasst werden. Um das "geistige Eigentum" 
  zu schuetzen, so schliesst das Dokument, sollten "alle geeigneten 
  Massnahmen getroffen werden".
  
  Ueberwachung und Zensurmassnahmen
  
  In dem offenen Brief weisen die NGOs darauf hin, dass bisher 
  bekanntgewordene Dokumente von Lobbyisten-Organisationen darauf 
  hinweisen, dass ACTA tief in die buergerlichen Grundrechte eingreifen 
  und Verschlechterungen bei ihrer Arbeit bringen koennte. So sei es 
  wahrscheinlich, dass in dem Vertrag restriktive Passagen zu Patenten 
  auf Medikamente und Software enthalten seien. Die EFF befuerchtet, 
  dass ACTA Internet-Provider dazu verpflichten koennte, ihren 
  Datenverkehr permanent auf urheberrechtlich geschuetztes Material hin 
  zu scannen.
  
  In den USA haben sich die Fachverbaende von Internet-Providern samt 
  Branchengroessen wie AT&T, Amazon, eBay, Yahoo und anderen 
  Internet-basierten Unternehmen bereits gegen die Art und Weise 
  ausgesprochen, was und wie hier verhandelt wird.
  
  Flankierende Massnahmen
  
  In Frankreich versucht die Regierung von Praesident Nicolas Sarkozy 
  gerade, ein Gesetz durchzubringen, das eine vollstaendige Ueberwachung 
  des Internet-Verkehrs durch die Provider voraussetzt. Bei drei 
  Verstoessen gegen Urheberrechte sollen die Netzbetreiber gezwungen 
  werden, den Internet-Zugang des betreffenden Kunden zu sperren.
  
  Frappierend aehnliche Passagen fanden sich auch im Telekompaket der 
  EU, das am 2. September im Plenum des EU-Parlaments diskutiert wurde.
  
  Ein Positionspapier des Bundes der Deutschen Industrie [BDI], tendiert 
  in dieselbe Richtung. Ausser einem ACTA-Diskussionspapier, datiert mit 
  Ende 2007, das offenbar ganz am Anfang der Verhandlungen stand, ist 
  aber bisher nichts vom tatsaechlichen Inhalt des Abkommens bekannt.
  
  Die Mauer des Schweigens
  
  Eine parlamentarische Anfrage des Abgeordneten Johann Maier an das 
  Justizministerium wurde mit der Auskunft beantwortet, dass bei ACTA 
  das Wirtschaftsministerium federfuehrend sei. Eine Antwort des 
  Wirtschaftsministeriums blieb bis dato aus, auf Anfragen an die 
  EU-Kommission, die oesterreichische Industriellenvereinigung, den Bund 
  Deutscher Industrie, den EU-Datenschutzbeauftragten Peter Hustinx und 
  EU-Ombudsmann Nikiforos Diamandouros gab es ebenfalls keine Reaktion.
  
  Seitens der EU-Kommission wurde regelmaessig wie stereotyp versichert, 
  es sei noch kein Abkommenstext vorhanden, auch alle anderen 
  Beteiligten schweigen sich nachhaltig aus.
  (Diverse/DAZ/bearb.)
  
  Quellen und weitere Infos:
  http://www.orf.at/ticker/302619.html
  http://www.heise.de/newsticker/Protest-gegen-Anti-Piraterieabkommen-ACTA--/meldung/116095
  http://www.eff.org/issues/acta
  http://www.eff.org/files/filenode/EFF_PK_v_USTR/USTRcomplaint.pdf 
  
  (Klageschrift USA)
  http://qummunismus.at/p/article55.html
  http://en.wikipedia.org/wiki/Anti-Counterfeiting_Trade_Agreement
  
  
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