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akin-Pressedienst.
Aussendungszeitpunkt: Dienstag, 16. September 2008; 16:47
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BRD/Polizei/Justiz:
> Auf den Busch klopfen
Was die Verfahren gegen die Tierrechtsszene in Oesterreich fuer einen 
Sinn machen sollten, kann man sich vielleicht mit einem Blick nach 
Deutschland erklaeren.
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Mit dem §129 StGB-Vorwurf der Mitgliedschaft in einer "kriminellen 
Vereinigung" waren in Deutschland in den letzten Jahrzehnten schon 
viele politische Aktivist/innen konfrontiert. In den 1970er Jahren 
wurde die Pilotenvereinigung "Cockpit" auf Grundlage des §129 
ueberwacht und abgehoert, weil sie einen Streik organisierte. Und in 
Hamburg erklaerten die Behoerden kurzerhand 150 Hausbesetzer/innen zur 
kriminellen Vereinigung, einige landeten im Gefaengnis.
Mitte der 1980er Jahre wurden rund 2000 atomkraftkritische 
Buerger/innen des Landkreis Luechow-Dannenberg wegen Verdachts der 
Mitgliedschaft in einer kriminellen Vereinigung in einer Datenbank 
erfasst. In den 1990er Jahren traf es autonome Antifaschist/innen aus 
Goettingen und Passau sowie das klandestine Zeitungsprojekt radikal.
In Oesterreich entspricht der deutsche §129 in etwa dem seit dem 
Vorgehen gegen die Tierrechtsszene bekannten hiesigen §278a. Der noch 
beruechtigtere §129a D-StGB ("terroristische Vereinigung") entspricht 
§278b Oe-StGB, wonach im "Islamistenprozess" verhandelt wurde. Bei den 
deutschen Paragraphen handelte es sich vor allem um brauchbare Mittel, 
um Repressionen wie U-Haft, Ueberwachung oder Hausdurchsuchung zu 
legitimieren. Lediglich 5% aller Verfolgungen nach §129a sollen zu 
einer Verurteilung fuehren, so Schaetzungen. Vor Gericht zerbroeseln 
die Vorwuerfe meistens.
G8: Razzien wegen Offiziers-Aussage
Der einzige bisher benannte "Belastungszeuge" der Ermittlungen nach 
§129a, die in den Razzien gegen die Anti-G8-Bewegung am 9. Mai 2007 
gipfelten, wurde Ende Juli enttarnt. Im Mai hatte die 
Bundesanwaltschaft rund 40 Objekte in Berlin, Brandenburg, Hamburg, 
Bremen, Schleswig-Holstein und Niedersachsen durchsuchen lassen. 900 
Beamte beschlagnahmten Computer, Unterlagen und erzwangen 
Geruchsproben einiger Beschuldigter. Wohnungen wurden zuvor akustisch 
ueberwacht, Peilsender an Autos angebracht und umfangreiche 
Observationen per Video dokumentiert.
Fuer die Ermittlungen hatte die Polizei die zwei groessten Treffen des 
damaligen "dissent"-Netzwerkes in Berlin und Hamburg ueberwacht und 
jedes Handy der rund 250 TeilnehmerInnen, das sich in der betreffenden 
Funkzelle einbuchte, protokolliert.
Die Razzien galten dem im Fruehjahr 2007 immer breiter werdenden 
Anti-G8-Widerstand. Allein in Berlin demonstrierten am gleichen Abend 
5000 Menschen.
Der 74-jaehrige Peter A. aus Kiel, frueher Offizier der Bundeswehr, 
war Mitglied der lokalen attac-Gruppe geworden und tauchte seit 2006 
bei Treffen bundesweiter G8-Buendnisse auf, darunter dem "Hannoveraner 
Koordinierungskreis", dissent, Aktionsnetzwerk Globale Landwirtschaft 
etc. Er wird in den Ermittlungsakten als einziger Zeuge gefuehrt. In 
33 Aktenordnern, welche die AnwaeltInnen der Beschuldigten einsehen 
koennen, wird von seiner "anonymisierten Zeugenvernehmung" durch das 
Bundeskriminalamt berichtet. Die Ordner repraesentieren jedoch 
lediglich 10% der verschriftlichten Akten, den AnwaeltInnen wird der 
Zugang zu weiterem Material verweigert.
Am 20. Dezember 2007 hob der Bundesgerichtshof (BGH) nach der Klage 
eines Betroffenen den Durchsuchungs- und Beschlagnahmebeschluss 
nachtraeglich auf. Das BKA haette die Ermittlungen nicht an sich 
ziehen und die Beschuldigten "nicht als terroristische Vereinigung 
eingeordnet werden" duerfen. Der 3. Strafsenat hatte entschieden, dass 
eine Strafverfolgungskompetenz des Generalbundesanwalts, die 
Voraussetzung fuer die Zustaendigkeit des Ermittlungsrichters des 
Bundesgerichtshofs ist, nicht gegeben war. Fuer die Entscheidung ist 
letztlich ohne Bedeutung geblieben, ob sich -- woran, so juristische 
Beobachter, allerdings nachhaltige Zweifel bestehen -- die 
beschuldigten Globalisierungsgegner tatsaechlich zu einer Vereinigung 
im strafrechtlichen Sinne zusammengeschlossen haben. Die 
Zustaendigkeit der Strafverfolgungsorgane des Bundes scheidet naemlich 
jedenfalls aus rechtlichen Gruenden aus. Eine von den Beschuldigten 
etwa gebildete Vereinigung kann nicht als terroristische Vereinigung 
eingeordnet werden, was die Zustaendigkeit des Generalbundesanwalts 
ohne weiteres begruendet haette. Soweit es den Verdacht der 
mitgliedschaftlichen Beteiligung in einer kriminellen Vereinigung (§ 
129 StGB) anbelangt, fehle es an der fuer die Bundeszustaendigkeit 
zusaetzlich erforderlichen besonderen Bedeutung des Falles, so der 
BGH.
Zustaendig ist seitdem die Staatsanwaltschaft Hamburg. Ermittelt wird 
nur noch nach §129, der Vorwurf der Mitgliedschaft einer 
terroristischen Vereinigung musste fallengelassen werden.
Andreas Christeleit, Sprecher der Bundesanwaltschaft, am 9. Mai 2007 
im ZDF-Heute-Journal: "Die heutigen Durchsuchungen sollten Aufschluss 
erbringen ueber die Strukturen und die personelle Zusammensetzung von 
diesen Gruppierungen und dienten nicht in erster Linie zur 
Verhinderung von konkreten Anschlaegen, dafuer gab`s keine 
Anhaltspunkte".
Keine Anklage
Auch die Ermittlungen gegen elf Linke in Bad Oldesloe nach den 
Paragrafen 129a und 129 sind endgueltig eingestellt worden. Nach mehr 
als zwei Jahren mit Hausdurchsuchungen, Ueberwachung des Internet- und 
Telefonverkehrs - auch die Gespraeche mit Journalisten und 
Rechtsanwaelten wurden aufgezeichnet - und der Observation von 
Personen und Wohnungen wurden saemtliche Ermittlungen Ende Juli aus 
Mangel an Beweisen eingestellt, bevor es ueberhaupt zu einer Anklage 
kam.
Nicht nur das Konstrukt einer linken terroristischen oder zumindest 
kriminellen Vereinigung hat sich endgueltig als nicht haltbar 
erwiesen. Auch koennen die Beschuldigten noch nicht einmal wegen 
einzelner Straftaten angeklagt werden. »Die Staatsanwaltschaft 
Flensburg hat damit eingestanden, dass es einfach nichts gibt, was sie 
ihnen vorwerfen kann«, sagt der Goettinger Rechtsanwalt Sven Adam, der 
in dem Verfahren als Verteidiger taetig war.
Vor dem G8-Gipfel im vergangenen Jahr leitete die Bundesanwaltschaft 
(BAW) mehrere Verfahren wegen Bildung einer terroristischen 
Vereinigung nach Paragraf 129a ein, durchsuchte in mehreren Staedten 
linke Zentren, Bueros und Privatwohnungen und observierte mit allem, 
was die moderne Ueberwachungstechnik zu bieten hat. Ein Ermittler des 
BKA drueckte es damals so aus: »Wir haben in den Busch geschossen, nun 
sehen wir, was und wer sich dort bewegt.« Dass der Vorwurf des 
Terrorismus auf dieser Grundlage nicht lange zu halten war, sei den 
Beteiligten von Anfang an klar gewesen, sagt Adam. »Dies aendert 
jedoch nichts an den genutzten Moeglichkeiten der Behoerden, aufgrund 
fadenscheiniger Konstrukte mit grossen Ressourcen die komplette linke 
Szene auszuforschen.«
§129-Prozess Ende September
Am 25. September beginnt vor dem Berliner Kammergericht (OLG) ein 
Staatsschutzprozess gegen die Genossen Axel, Florian und Oliver. Der 
Vorwurf lautet: Mitgliedschaft in einer kriminellen Vereinigung, 
konkret: militante gruppe (mg), und versuchte Brandstiftung, konkret: 
sie haetten Bundeswehrfahrzeuge auf dem Gelaende der MAN AG in 
Brandenburg/Havel angezuendet.
Nach dem Beschluss des Bundesgerichtshof vom Oktober 2007 werden sie 
nicht, wie die Bundesanwaltschaft das wollte, als Mitglieder einer 
terroristischen Vereinigung nach §129a, sondern wegen Mitgliedschaft 
in einer kriminellen Vereinigung (§129) angeklagt. Begruendung: Die 
Aktionen der militanten gruppe seien nicht geeignet, die 
gesellschaftliche Ordnung ernsthaft zu gefaehrden.
Um ihre Indizien zu untermauern, bemueht die Bundesanwaltschaft einen 
Spitzel des Bundesamts fuer Verfassungsschutzes (VS). Nach dessen 
Aussagen - die der VS selbst als "nachrichtenrelevant, aber nicht 
bestaetigt" einstuft -- sollen die Angeschuldigten der mg angehoeren.
(indymedia/akin)
Quellen: http://de.indymedia.org/2008/08/223666.shtml
 http://www.lawblog.de/index.php/archives/2008/01/04/bgh-g-8-durchsuchungen-waren-rechtswidrig/
 http://gipfelsoli.org/Repression/5456.html
 http://de.indymedia.org/2008/09/226549.shtml
 http://einstellung.so36.net/de/pm/1019
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