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akin-Pressedienst.
Aussendungszeitpunkt: Dienstag, 9. September 2008; 16:29
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(K)Wahlen/Reportage/SPOe:
Vom Rueckgrat des Aals
Die Wahlkampfauftaktveranstaltung der SPOe offenbart Aufbruchswillen 
und Kampfesstimmung - und zeigt, dass die Partei immer noch in einer 
Sinnkrise steckt.
"Frueher hab ich sowas mieselsuechtig genannt, heute tu ich das nicht 
mehr. Mir ist nur bis jetzt kein besserer Begriff eingefallen". Wiens 
Buergermeister Michael Haeupl gibt den Einpeitscher und die Sprueche 
fliegen durch die Gegend. Vor allem gegen die OeVP, den erklaerten 
Hauptgegner der Sozialdemokratien in dieser Auseinandersetzung. 
Unterbrochen von teils tosendem Applaus der bis zu 3.000 Teilnehmer am 
SPOe-Wahlkampfauftakt in der Wiener Stadthalle. Die eher jungen 
Mitglieder in den Sitzreihen drei bis sieben toben. Teils echt, teils 
um die anderen mitzureissen. Auch weiter hinten sind einige platziert, 
erkennbar an den roten Polos.
Regisseur Michael Kartnitschnigg sorgt fuer Unterstuetzung durch 
Kamerafuehrung und Scheinwerfer. Der Wiener Parteivorsitzende ist auf 
zwei Grossbildschirmen ueber der Buehne zu sehen. Zwischenschnitt. Ein 
Maedchen um die 20 und ein etwa gleichaltriger Bursch reissen ihre 
Faymann-Fanschals enthusiastisch in die Hoehe. Die Begeisterung reisst 
die danebensitzenden Aelteren mit, sie klatschen frenetisch. Am 
zweiten Bildschirm geniesst Haeupl sichtlich die Wirkung des Schmaehs 
und setzt fort mit seiner Attacke. "Wenn der Wilhelm Molterer sagt, es 
reicht, hat er recht. Mit der OeVP reicht es uns naemlich schon 
lange". Die Angriffe sind hart, teils nur knapp oberhalb der 
Guertellinie und sie halten das Publikum mehr als bei Laune. "Dem 
OeVP-Bildungssprecher Neugebauer ist alles suspekt, was nach dem 21. 
Jahrhundert riecht". Tosender Applaus. "Er ist noch im 19. 
Jahrhundert. Das sei ihm und seinen Freunden unbenommen, aber er soll 
nicht unsere Kinder in Geiselhaft nehmen". Haeupls Angriffigkeit muss 
auf viele hier eine Befreiung wirken. Endlich einer, der den benennt, 
der als Schuldiger an der Krise der Partei ausgemacht wird, die sich 
in den Umfragen manifestiert. Steigenden Werten zum Trotz. Die SPOe 
liegt bei deutlich unter 30 Prozent. Selbst Platz Eins bei den 
aktuellen Groessenverhaeltnissen waere eine historische Schlappe. Und 
doch: Viele wollen das nicht so sehen. Die Parteimitglieder steigen 
aus dem Tal der Traenen. Es kann nur aufwaerts gehen. Es muss. 
Niederlagen werden ebenso wie Siege aus der Situation heraus 
definiert.
"Servas, wie geht's dir", fragt Franz Gartner einen Genossen. Der 
Traiskirchner Vizebuergermeister verfolgt den Auftakt auf einem 
Flachbildfernseher im Eingangsbereich der Halle. Nicht jeder hat 
drinnen Platz gefunden. Die Haeupl-Rede sorgt auch hier fuer Applaus. 
"Wenn es populistisch ist, dass die SPOe nicht wie die OeVP Hilfe 
verweigert, sind wir gerne populistisch", donnert der Wiener 
Buergermeister in den Saal. Die OeVP habe alles verhindert, "weil sie 
der SPOe und Bundeskanzler Alfred Gusenbauer nicht einen Funken 
Fortschritt goennen wollte". Die anderen Parteien spart er nicht aus. 
Jeder werfe der SPOe Populismus vor. "Die Gruenen werfen uns vor, die 
Mehrwertssteuersenkung ist populistisch und nicht sozial treffsicher. 
Wenn sie fordern, dass die oeffentlichen Verkehrsmittel gratis sein 
sollen und das mit nie gebauten Autobahnen finanziert wird, ist das 
natuerlich nicht populistisch". Der gruene Parteichef Alexander van 
der Bellen ist fuer ihn "Professor fuer Oekonomie oder so". Mit FPOe 
und BZOe haelt er sich nicht lange auf. Fuer manche Dinge reicht nicht 
einmal der Sarkasmus eines Michael Haeupl. Zu sehr scheint ihn die 
Lage Rechtsaussen zu aergern.
Die Genossinnen und Genossen wirken entspannt, sofern sie nicht beim 
Auftakt mitarbeiten muessen. Der Optimismus ueberwiegt. "Ich glaube, 
wir schaffen es", sagt ein Bezirksrat aus der Josefstadt. "Mit etwas 
Glueck steht ein Dreier vorn", sekundiert ein Endzwanzinger, der bei 
mehreren Verteilterminen dabei war.
Programmatische Ansagen zu erwarten waere bei einem Wahlkampfauftakt 
falsch. Er soll die Mitglieder mobilisieren, Optimismus nach innen und 
aussen ausstrahlen. Dieses Ziel erreicht die SPOe-Veranstaltung. 
"Werner Faymann wird empfangen wie ein Rockstar", wird es spaeter im 
ORF heissen. Nicht ganz falsch. Der neue Vorsitzende und 
Spitzenkandidat bekommt minutenlange Standing Ovations. Hunderte 
Schale werden in die Luft gereckt, dazwischen jubeln vor allem die 
Juengeren laut. "Werner" oder "Faymann", und aehnliches. Dem 
amtierenden Bundeskanzler Alfred Gusenbauer war das verwehrt 
geblieben. Er hat nur hoeflichen Applaus bekommen. Immerhin gibt es 
keine Buhrufe fuer den von der eigenen Partei Abmontierten. Wunden 
lecken war gestern, jetzt gilt es eine Wahl zu gewinnen.
Werner Faymann tut, wovon es heisst, dass er es am besten kann. Er 
strahlt, wirkt entspannt, natuerlich. Der Spitzenkandidat appelliert 
an die Geschlossenheit der Partei - und an die Aktivistinnen und 
Aktivisten. "Ich bin zuversichtlich, weil ich Euch an meiner Seite 
habe. Miteinander sind wir nicht zu schlagen", bezieht er auch die 
Gewerkschaften mit ein. Balsam fuer die Genossinnen und Genossen, von 
denen viele seit Wochen fuer die Partei rennen und denen Umfragen und 
manch harte Diskussion bei Verteilaktionen zugesetzt hatten. 
Ideologische Fragen bleiben bei solchen Veranstaltungen 
notwendigerweise auf der Strecke. Das ist Sache von Parteitagen. Und 
doch, Faymann laesst Worte hoeren, die man bei 
SPOe-Spitzenfunkionaeren der vergangenen Jahre vermisst hat. "Unser 
Platz ist immer auf Seite der Arbeitnehmer", klaert er ab, wo er die 
SPOe sieht - und wo die anderen seiner Meinung nach nicht stehen. Dass 
er das Stillhalteabkommen mit der OeVP aufgekuendigt hat, verleiht ihm 
Rueckenwind. Faymann haelt die Linie. Auch wenn es nicht so aussieht, 
als wuerden das gesamte 5-Punkte-Programm der Partei auch im 
Nationalrat beschlossen werden.
Faymann spielt auf Risiko. Die Wahlkampfrede macht klar: Die 5 Punkte 
wird er durchziehen, es ist der rote Faden der Rede. Einen Rueckzieher 
kann er sich nicht erlauben. Tut er das, steht er als Umfaller da. 
Werden einige Punkte nicht beschlossen, riskiert er ein 
Verliererimage. Der von Parteimitgliedern als "Aal" Bezeichnete zeigt 
Rueckgrat. Vielleicht ist es auch Populismus. Aber auch den muss man 
durchstehen. "In den letzten 20 Monaten hat das Bremserduo Schuessel 
und Molterer verhindert, dass die Studiengebuehren abgeschafft werden, 
dann verhoehnen sie die SPOe, dann drohen sie. Aber wir lassen uns 
nicht verhoehnen und drohen. Wir stehen zu unserem Wort". Ein Signal 
nach aussen: Faymann als "neue Wahl", Faymann, der fuer 
Glaubwuerdigkeit steht. Faymann, der die SPOe als Arbeitnehmerpartei 
wiederentdeckt. Protest und die Vision von mehr sozialer 
Gerechtigkeit, einem besseren Bildungssystem, fairen Chancen fuer 
Migranten, Sicherheit durch Umverteilung.
Ein Linksruck? Vielleicht. Eine Besinnung auf sozialdemokratische 
Wurzeln? Nicht im engeren Sinn. Auch dieser SPOe-Vorsitzende kommt 
nicht ohne Bekenntnis zur Marktwirtschaft aus. Vorbei die Zeiten, als 
eine anders aufgebaute Gesellschaft bei den Sozialdemokraten Konsens 
war. "Diesen freien Markt (innerhalb der EU, Anm.) kann es nur mit 
sozialer Absicherung geben", steckt er seine Position ab. Das 
Grundkonzept von EU und Markt wird nicht in Frage gestellt. Allen 
Bekenntnissen zur sozialen Fairness, zu Arbeitnehmerrechten, 
Mindeststandards und Oekologie zum Trotz. Ein Angebot an Waehler, die 
Menschlichkeit innerhalb des Systems anstreben. Nur bedingt an die, 
die auf einen Systemwechsel hoffen. Die werden sich bei der SPOe 
gedulden muessen.
*Viktor Englisch*
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