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akin-Pressedienst.
Aussendungszeitpunkt: Dienstag, 9. September 2008; 16:49
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Deutschland/Glosse:
> Aus Alt mach Neu
Rechtsruck innerhalb der SPD
Nach Monaten der Ver(w)irrung und Planlosigkeit, der Kreiselbewegungen 
an der SPD-Spitze und einer politischen Strategie, die als solche 
nicht mehr erkennbar war, hat sich die Partei fuer einen Wechsel in 
der Fuehrungsetage entschieden und setzt dabei auf die "Reformer", wie 
sie liebevoll genannt werden, Aussenminister Frank-Walter Steinmeier 
und den Ex-Vorsitzenden Franz Muentefering. Angesichts der Tatsache, 
welche Selbstzerfleischungsorgien die SPD in diesem Kalenderjahr 
zelebriert hat, muss man als oesterreichischer Sozialdemokrat ja 
beinahe froh sein, dass uns hierzulande Schlimmeres erspart geblieben 
ist. Andererseits muss man sich die Frage stellen, ob das Bekenntnis 
zu den reformistisch-konservativen Kraeften das gewuenschte Ergebnis 
erzielen kann und wird.
Da haetten wir zum einen Frank-Walter Steinmeier. Aus der Aera 
Schroeder als Beiwagerl des damaligen Kanzlers und Parteivorsitzenden 
bekannt, erfreut er sich der obligatorischen Beliebtheit eines 
deutschen Aussenministers und gibt sich betont diplomatisch und 
scheinbar krisenfest. Mit beschwichtigenden Appellen an die 
europaeischen Ausreisser in der Kaukasus-Frage und an Russlands 
Fuehrung ist er zuletzt staatsmaennisch in Erscheinung getreten. Doch 
auch innerhalb der eigenen Partei versuchte er sich im Wogen-glaetten 
und probierte sein diplomatisches Feingefuehl zielfuehrend 
einzusetzen. Zum anderen waere da der ehemalige Parteivorsitzende 
Franz Muentefering, der sich - kaum verwunderlich, wohl aber 
bedenklich - vor allem in der konservativen Waehlerschicht und beim 
rechten Fluegel der Partei grosser Beliebtheit erfreut. Zugute halten 
muss man ihm freilich, dass er die Nachfolge Schroeders angetreten ist 
und diesen Drahtseilakt meistern wollte - allerdings ist er 
schlussendlich damit gescheitert. Als er sich aus privaten Gruenden 
aus der Tagespolitik zurueckgezogen hat, hofften viele auf eine 
Kursaenderung, eine Rueckbesinnung auf sozialdemokratische Werte statt 
der neoliberalen Anbiederung an den Koalitionspartner CDU/CSU. Diese 
Wuensche wurden bekanntlich nicht erfuellt - weder unter Muentefering, 
noch unter dem weiter links stehenden Kurt Beck - und so gelang es der 
Linkspartei bei verschiedenen Landtagswahlen kraeftig an Stimmen 
zuzulegen und enttaeuschte, frustrierte (SPD-)Waehler fuer sich zu 
gewinnen. Eine Leistung, die den europaeischen Sozialdemokratien, und 
damit auch der SPD, zumeist verwehrt blieb.
Die politische Landschaft und die Rahmenbedingungen haben sich 
veraendert und eroeffneten neue Koalitionsmoeglichkeiten, die vor 
allem nach der Hessenwahl zu einem brisanten Streitthema innerhalb der 
SPD gefuehrt haben. Was in Berlin mit einer rot-roten Regierung 
laengst Realitaet ist, will man sich fuer das uebrige Land nicht 
einmal vorstellen, geschweige denn ernsthaft in Betracht ziehen - eine 
Koalition mit der Linkspartei oder eine Regierungsbildung unter 
Duldung eben dieser, wurde zum Zuendstoff eines unvergleichlichen 
Zick-Zack-Kurses an dem die SPD zuletzt endgueltig zu zerbersten 
drohte. Die Palette der Weisungen aus Berlin in die Laender 
orientierte sich vor allem am jeweiligen Zeitpunkt. Vor den Wahlen 
vernahm man ein rigoroses "Nein" zur Zusammenarbeit mit der 
Gysi-Lafontaine-Partei, darauf folgte ein kurzer Anflug von 
Laissez-faire-Politik ā la "Ihr muesst selbst wissen, was ihr tut...", 
bevor man sich, nach internen Diskussionen und dem negativen 
oeffentlichen Diskurs, doch wieder fuer ein "Nein" entschied und damit 
in Gang gekommene Verhandlungen vor Ort torpedierte. Die Angst vor 
einem Linksruck war innerhalb der SPD offenbar so gross geworden, dass 
man sich mit der Nominierung Steinmeiers und Muenteferings 
schlussendlich fuer den vermeintlich sicheren Weg des konservativen 
Parteifluegels entschieden hat. Das Duo aus zwei Wirtschaftslobbyisten 
soll die SPD aus der Krise fuehren und vor allem die politische Mitte 
besaenftigen. Da macht es scheinbar auch nichts, dass die beiden mit 
ihrer anti-sozialdemokratischen Politik bis 2005 massgeblich daran 
beteiligt waren, zigtausende SPD-Mitglieder zum Parteiaustritt zu 
bewegen und in Folge beinahe jede Landtagswahl mit herben Verlusten 
fuer die SPD hinzunehmen hatten. Gleichzeitig konnte die Linkspartei 
weiter zulegen - nicht zuletzt, weil sich ein beachtlicher Teil der 
SPD-Waehlerschaft fuer einen ehrlicheren, sozialeren und linken Weg 
entschieden hat.
Die SPD hat offensichtlich aufgehoert daran zu glauben, diese 
Waehlerinnen und Waehler zurueckgewinnen zu koennen. Man haelt an 
einer neoliberalen Sozial- und Arbeitsmarktpolitik der Marke Schroeder 
fest, um sich an der Mitte und rechts davon zu orientieren - obwohl 
Bundeskanzlerin Merkel juengst eine neuerliche Zusammenarbeit mit der 
SPD auf Bundesebene nach den Wahlen 2009 ausgeschlossen hat. Es wird 
die Angel ausgeworfen um im Teich der konservativen und liberalen 
Waehlerschaft zu fischen und so den Stimmenverlust auszugleichen. Eine 
Mission die zum Scheitern verurteilt ist und wohl nur eine logische 
Konsequenz hat: die SPD wird erkennen muessen, dass sie abermals den 
falschen Weg eingeschlagen hat, die Linken werden sich weiterhin ueber 
Zugewinne freuen (ein positiver, wenn auch seitens der SPD ungewollter 
Nebeneffekt) und damit auch auf Bundesebene zu einem ernstzunehmenden 
Faktor werden. Das Chaos innerhalb der SPD ist nicht beseitigt sondern 
lediglich verschoben worden und abtruennige Funktionaere, die 
sprichwoertlich die Schnauze voll haben, sind schon einmal zum 
Stolperstein fuer die deutsche Sozialdemokratie geworden. Oskar 
Lafontaine hat schon vor Jahren eine neue politische Heimat gefunden 
und der SPD den Ruecken gekehrt. Das hat allerdings nichts mit einem 
linken Putsch zu tun, sondern lediglich mit einem Rueckgrat, das nicht 
am fragwuerdigen Strukturwandel der Partei brechen wollte. Lafontaine 
wird wohl kaum der letzte "Ueberlaeufer" zugunsten der eigenen 
politischen Ueberzeugung bleiben und wir duerfen weiter das 
Trauerspiel der sozialdemokratischen Selbstzerfleischung mit ansehen. 
Und dabei waere es fuer alle besser, wenn sich nicht die Linken aus 
der Partei verabschieden, sondern die konservativen Reformer - anders 
wird die SPD kaum Chancen haben, ihr politisches Profil zu schaerfen 
und die Glaubwuerdigkeit zurueck zu gewinnen. Eine Mission, die unter 
Steinmeier und Muentefering kaum Aussicht auf Erfolg hat und doch 
bleibt eine Hoffnung fuer die Linken im Land: vielleicht hat man nach 
der Bundestagswahl 2009 dann doch keine Angst mehr vor einer 
Zusammenarbeit mit einer erstarkten Linkspartei auf Bundesebene - das 
hat immerhin auch schon mit den einst als radikale Fundi-Partei 
bezeichneten Gruenen funktioniert und eine Neuauflage der 
buergerlichen Koalition verhindert. *Stefanie Klamuth*
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