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akin-Pressedienst.
Aussendungszeitpunkt: Dienstag, 2. September 2008; 14:53
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Debatte/Migration:

> "Nicht akzeptabel"

Zu den praesentierten Forderungen rund um den 'Tag des Bleiberechts'


Im Zusammenhang mit der Mobilisierungskonferenz fuer den dezentralen
Aktionstag fuer Bewegungs- und Bleibefreiheit am 10. Oktober 2008 fand
eine Pressekonferenz statt, zu der einige NGOs und karitative
Organisationen geladen hatten. Ein relativ prominent besetztes Podium
praesentierte dort "Forderungen", die nicht mit denen vieler
AktivistInnen vereinbar sind. So ist bezeichnend, dass einige der
SprecherInnen fuer den Aktionstag selbst nicht an den
Vorbereitungskonferenzen teilnahmen. Der folgende Artikel behandelt
anhand der Berichterstattung ueber die Pressekonferenz die
vorgeblichen Ziele des Aktionstages, die der medialen Oeffentlichkeit
praesentiert wurden.

Auffaellig bei den Berichten ist, dass sie lediglich ein Bleiberecht
fuer AsylwerberInnen thematisieren. Dies steht im klaren Gegensatz zur
Position von zahlreichen AktivistInnen, die sich an der bisherigen
Vorbereitung des Aktionstages beteiligten. Mehrmals wurde darauf
hingewiesen, dass es um eine grundsaetzliche Problematisierung der
rassistischen Migrationspolitik geht - und in der Folge um eine
grundsaetzliche Aenderung. Auch wenn die Positionen sehr
unterschiedlich sind, faellt auf, dass viele Forderungen entweder
einfach vergessen oder ignoriert wurden. (Wobei sich diese Kritik
nicht nur auf die Pressekonferenz bezieht.)

Ein Beispiel ist ein unabhaengiger Aufenthaltstitel fuer Frauen, denn
nach wie vor ist es so, dass das Visum vieler Frauen ohne EU-Pass an
das eines Mannes gekoppelt ist. Fuer Frauen ist der Zugang zum
offiziellen Erwerbsarbeitsmarkt - mit Ausnahme "frauenspezifischer"
Taetigkeiten wie Pflege, Haus- oder Sexarbeit, die ohnehin einen
rechtlichen Graubereich darstellen - oft versperrt.

Gleichzeitig wird aber auf die Traenendruese gedrueckt, wenn Familien
mit Kindern ins Bild gerueckt und auf Emotionen gesetzt wird. Denn mit
dieser Argumentationsweise wird ein Diskurs, der MigrantInnen -
Maenner wie Frauen und Kinder - als kriminell brandmarkt,
unterstuetzt, anstatt sich klar gegen diese rassistische Hetze zu
aeussern.

Es gibt zwar auch eine im Parlament vertretene Partei, deren Obmann
versprach, "die Initiative der Zivilgesellschaft fuer ein Bleiberecht"
zu unterstuetzen, doch sollte nicht vergessen werden, dass eben dieser
Van der Bellen schon vor Jahren MigrantInnen auf ihre "Nuetzlichkeit"
reduzierte, und mit diesem Argument den Zuzug von ausgewaehlten
MigrantInnen - als Arbeitskraefte - forderte. Die Formel dahinter
lautet: "Wir" brauchen MigrantInnen - um "unseren" Wohlstand zu
erhalten. In diesem Diskurs hat ein wenig Mitgefuehl fuer ein paar
"arme Fluechtlinge" durchaus Platz. Im Gruenen Wahlprogramm 2008 ist
zum Thema Bleiberecht lesen: "bleiberecht statt gnadenakt. Gut
integrierte Familien zerreissen, qualifizierte junge Menschen, die in
Oesterreich ihren Beruf erlernt haben, abschieben - das ist
unmenschlich und dumm. Wer bleiben will, soll das Recht haben, einen
Antrag zu stellen. Ein ordentliches Verfahren mit einer klaren
Entscheidung - das ist die Alternative zur Willkuer von Haider und
Fekter."

Was sagt dieser Absatz aus: Ein "Bleiberecht" soll es nur fuer
Familien geben, mit dem Zusatz "gut integriert". Auffaellig ist auch,
dass "qualifizierte junge Menschen" extra genannt werden, was
hervorragend in den Diskurs um die "Nuetzlichkeit" passt. Wie wenig
ernst es die Gruenen mit tatsaechlichen Rechten meinen, zeigt sich in
der Forderung des Rechts, "einen Antrag zu stellen" in Verbindung mit
einem "ordentliche(n) Verfahren mit einer klaren Entscheidung". Wenn
das alles ist, was von den Gruenen zu erwarten ist, dann ist das nicht
mehr, als sie in den vergangenen Jahren immer wieder bewiesen haben.
Somit relativiert das Programm die Aussage des Obmannes, der
anlaesslich der Mobilisierungskonferenz in einer Aussendung bekundete:
"Seit fast zwei Jahren kaempfen die Gruenen fuer das Bleiberecht."

Dass Van der Bellen und die Gruenen angesichts der beschriebenen
Fakten kein Problem haben, einen "Tag des Bleiberechts" zu
unterstuetzen, wird nach einen Blick in die Berichte klar, die nach
der Pressekonferenz am 29. August 2008 erschienen sind. Wobei
anzumerken ist, dass sogar der ORF unter der Rubrik Religion ueber den
Tag des Bleiberechts berichtete, als ob dies nichts mit Politik zu tun
haette?

Auf stephanscom.at ist zu den Positionen, die auf einer
Pressekonferenz von den "InitiatorInnen" des Aktionstages im Oktober
verkuendet wurden, zu lesen: Im Mittelpunkt des Forderungskataloges
steht die klare rechtliche Ausgestaltung des Bleiberechts. Diese
muesse ein Antragsrecht und einen Instanzenzug umfassen. Zudem brauche
es fuer all jene AsylwerberInnen ein Bleiberecht, die bereits laenger
als fuenf Jahre in Oesterreich leben und auf ihr Asylverfahren warten.
Fuer Antraege, die durch den Asylgerichtshof abgelehnt wurden, sei es
notwendig, eine unabhaengige Berufungsinstanz auf Bundesebene
einzurichten. Ausserdem muessten AsylwerberInnen Zugang zum
Arbeitsmarkt erhalten. Dabei schaetzen die InitiatorInnen die Zahl der
von einer Bleiberechtsregelung betroffenen AsylwerberInnen in
Oesterreich auf 10.000."

Hier werden jene Forderungen dargestellt, die in den letzten Monaten
massiver Kritik ausgesetzt waren. Denn diese beruecksichtigen nicht,
dass auch unzaehlige Menschen von Abschiebung bedroht sind, die keinen
Asylantrag gestellt haben oder keinen stellen wollen. Ueber
verschiedene Gesetzesaenderungen in den vergangenen Jahren wurde
vielen der Aufenthaltstitel entzogen, obwohl sie schon lange in
Oesterreich lebten oder sogar hier geboren sind. Und noch etwas wird
klar aus dieser Formulierung: Das Bleiberecht wird an Bedingungen
geknuepft. Damit stellt sich die Frage: Ist es ernst gemeint mit der
Forderung von Rechten? Oder wollen jene, die derartige Forderungen
aufstellen, trotz aller Beteuerungen, dass es nicht so sei, lediglich
einen "Gnadenakt"?

In ihrem Programmpapier tritt die Plattform Bleiberecht aus Innsbruck
fuer ein "humanes Bleiberecht" ein. Doch anders als aus oben
beschriebenen Forderungen wird klar gestellt:

"Ein Bleiberecht darf nicht zu einem Privileg werden, das lediglich
unter bestimmten Voraussetzungen gewaehrt oder versagt werden kann.
Denn jede Regelung, die das Bleiberecht an Voraussetzungen knuepft,
wie Dauer des Aufenthalts oder Grad der Integration, schliesst ganze
Gruppen von Menschen vom Recht, sich in Oesterreich sicher aufzuhalten
aus, und privilegiert damit einige wenige MigrantInnen, waehrend
andere um so mehr unter Druck kommen, abgeschoben zu werden. Es ist
inkonsequent und unlogisch, ja eigentlich zynisch, von Mitmenschen,
denen man bisher keine Moeglichkeiten geboten hat, sich im Alltag des
gesellschaftlichen Lebens zu integrieren, zu fordern, sie sollten die
eigene Integration nachweisen, um sicher in Oesterreich bleiben zu
duerfen. Daher ist es in jedem Fall Aufgabe der politisch
Verantwortlichen, jene Moeglichkeiten zu schaffen, die die Integration
von Mitmenschen, deren Zukunft momentan noch unsicher ist,
ermoeglicht."

In einem offenen Brief hat die Plattform aus Innsbruck die
Forderungen, die im Rahmen der Pressekonferenz und schon laenger auf
Foldern, Plakaten und diversen Seiten im Internet praesentiert wurden,
massiv kritisiert. Doch weder diese Kritik, noch jene Kritik, die im
Rahmen der bisherigen Bleiberechtskonferenzen geaeussert wurden,
scheint angekommen zu sein. Die Verantwortlichen halten sich dazu
bedeckt und sagen lediglich, sie wollen keine/n vereinnahmen und alle
haetten das Recht, selbst Forderungen zu stellen und Aktivitaeten am
"Tag des Bleiberechts" zu setzen.

Gleichzeitig wird wie so oft beklagt, dass die "Betroffenen" nicht
teilnehmen. Doch, diese Frage muss gestattet sein: Wer gilt als
betroffen? Sind es die "gut integrierten Familien"? Oder sind doch
alle von Abschiebung bedrohten Menschen gemeint? Dazu passt die immer
wieder gestellte Frage: "Habe ich keine Rechte?", der schon auf der
Bleiberechtskonferenz in Linz von einigen mit Ignoranz begegnet wurde.

Ein weiterer Kritikpunkt dreht sich um die Neuwahlen, die kurz vor dem
Aktionstag stattfinden werden - und deren Termin erst viel spaeter
festgelegt wurde als jener des Aktionstages. So wird auf
religion.orf.at berichtet: "Eine Wahlempfehlung oder "Warnung" gibt es
vom Forum Asyl nicht." Trotzdem wird im Artikel auf stephanscom.at ein
Bezug zu den Neuwahlen hergestellt: "Der 10. Oktober, der zum "Tag des
Bleiberechts" erklaert wurde, soll unter anderem mit einem
oesterreichweiten "Sesselmeer" begangen werden. In allen
Landeshauptstaedten werden zeitgleich auf oeffentlichen Plaetzen
Sessel aufgestellt - zum Zeichen dafuer, dass in Oesterreich fuer
AsylwerberInnen durchaus Platz vorhanden ist. Durch die Aktion soll
Druck auf die moeglichen neuen Regierungsparteien ausgeuebt werden,
die Einrichtung eines Bleiberechts voranzutreiben."

Vergessen wurde offenbar, dass das Sesselmeer samt seiner
problematischen Inhalte nur einen Teil der geplanten Aktionen
darstellt. In keinem der gefundenen Berichte war von einer doch viel
breiteren Mobilisierung zu lesen - und auch die sich widersprechenden
Positionen duerften den Medien verschwiegen worden sein. Somit wird in
den Berichten ein harmonisches Bild der geplanten Proteste gezeichnet,
das jedoch nicht der Realitaet entspricht.

Auch dass die Kirchen den Tag als Podium nutzen werden, ueberrascht.
So erhielt ein Bischof als prominenter Sprecher bei der
Pressekonferenz das Wort. kathpress.at berichtete: "Der evangelische
Bischof Michael Buenker unterstrich, dass die im Oekumenischen Rat der
Kirchen (OeRKOe) vertretenen christlichen Kirchen in Oesterreich sowie
die Islamische Glaubensgemeinschaft und die Israelitische
Kultusgemeinde diese Forderungen ebenfalls mit Nachdruck
unterstuetzen. Derzeit herrsche in Oesterreich ein "Gnadenrecht" bei
der Vergabe von humanitaeren Aufenthaltstiteln. Dieses muesse dringend
durch ein klar strukturiertes Bleiberecht ersetzt werden."

An dieser Stelle sollte erwaehnt werden, dass es in den vergangenen
Monaten immer wieder Initiativen von einzelnen Pfarren oder
KirchenvertreterInnen zur Unterstuetzung von Abschiebung bedrohter
Menschen gab. So ist es einerseits erfreulich, dass viele
Organisationen und Menschen zu Protesten am Aktionstag aufrufen,
andererseits laesst die Art und Weise, wie sich manche Organisationen
in der Oeffentlichkeit praesentieren, eine geplante Vereinnahmung der
Proteste vermuten. Dies verwundert um so mehr, da der Presseevent in
den Aussendungen zu Mobilisierungskonferenz nicht erwaehnt wurde,
obwohl auf der Konferenz selbst ein Workshop zur
Oeffentlichkeitsarbeit angeboten wurde. (So wie alle Workshops war
auch dieser von den OrganisatorInnen bereits im Vorfeld festgelegt und
geplant.) Dies ist nur einer von vielen Widerspruechen, die sich
auftun.

Deshalb erscheint es notwendig, den selbst ernannten Vertreter_innen
der "Zivilgesellschaft" mitzuteilen, dass nicht nur die derzeitige
Asylpolitik "nicht akzeptabel" (Buenker) ist, sondern auch ihr
Verhalten nicht unbedingt als vertrauensfoerdernd gewertet werden
kann. Dass sich viele der Involvierten dabei in einem Spannungsfeld
zwischen institutionellen Zwaengen und der Ablehnung einer
menschenverachtenden Politik befinden, soll nicht ausgeblendet werden.
Denn immerhin koennten allzu kritische Aeusserungen der beruflichen
Laufbahn im Wege stehen.

Wie sich der dezentrale Aktionstag am Freitag, dem 10. Oktober 2008
entwickeln wird und welche Forderungen an die Oeffentlichkeit dringen,
wird sich zeigen. Jedenfalls scheint allein der Umstand, dass der Tag
bereits umgetauft wurde in einen "Aktionstag fuer Bewegungs- und
Bleibefreiheit" ein deutlicher Hinweis darauf zu sein, dass es nicht
nur um symbolische Bekundungen und eine "Reparatur von Gesetzen" gehen
wird, sondern auch um eine tatsaechliche Veraenderungen. Ob dies mit
den Positionen karitativer, auf Spendengelder oder staatliche
Subventionen angewiesener Organisationen vereinbar ist, muessen diese
letztendlich fuer sich selbst entscheiden. ###

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Links:

Fuer Bewegungsfreiheit: Mobilisierung fuer dezentralen Aktionstag am
Fr, 10. Oktober 2008:
http://at.indymedia.org/node/11117

Bericht von der Mobilisierungskonferenz zum Tag des Bleiberechts:
http://at.indymedia.org/node/11109

Mobilisierungskonferenz 'Bleiberecht':
http://no-racism.net/rubrik/353

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Anmerkung der Redaktion: Dieser Artikel erschien anonym auf Indymedia.
Ueblicherweise veroeffentlichen wir keine Artikel, der Urheberschaft
wir nicht kennen. Da der Text aber eine laengst ueberfaellige Debatte
anreisst, haben wir uns trotzdem fuer den Nachdruck entschieden.
Quelle des Textes: http://at.indymedia.org/node/11127


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