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akin-Pressedienst.
Aussendungszeitpunkt: Dienstag, 26. August 2008; 15:42
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Georgien/Glosse:
> Kosovo im Kaukasus
Die EU und die USA werden die Geister, die sie riefen, nicht mehr los.
Die brutale Tragikomoedie Kosovo wiederholt sich am Kaukasus. Russland
hat die Lektionen des Originals gelernt - der Westen nicht.
Natuerlich geht es in Suedossetien und in Abchasien nicht um Osseten
und Abchasen. Natuerlich hat die Moskauer Regierung den
Militaereinsatz nicht befohlen, um einen Genozid zu verhindern. Was in
russischen Medien als Kriegsgrund firmierte, der angebliche Schutz von
Zivilisten vor einer brutalen vorrueckenden Armee, war genauso
uebertrieben wie die serbischen Uebergriffe gegen die
kosovo-albanische Bevoelkerung. Dass sich die russische Regierung
implizit auf den Praezedenzfall am Balkan berief, bestaetigt diese
These.
In beiden Faellen geht es um Grossmachtpolitik. Abtruennige Provinzen,
ethnische Minderheiten, jahrzehnte- oder jahrhundertelang schwelende
Konflikte sind fuer sie eine ideale Basis. Wenn das Gebiet strategisch
oder oekonomisch guenstig liegt, kann man sehr schnell die Lunte am
Pulverfass entzuenden und hat einen Interventionsgrund.
Der Kaukasus ist seit der Zarenzeit Objekt strategischer und
oekonomischer Begierden Russlands. Die Region sichert einen Zugang zum
Schwarzen Meer. Im mit eisfreien Haefen nicht uebermaessig verwoehnten
Russland nicht unwichtig. Militaerisch wie kommerziell ist das
wichtig. In der Region gibt es Bodenschaetze. Und wer den Kaukasus
kontrolliert, hat einen direkten Zugang zur Tuerkei. Auch das nicht zu
verachten. Das erklaert auch das Interesse Russlands an
Tschetschenien. Verschaerft wird das durch die teils willkuerlichen
Grenzziehungen unter Josef Stalin. Die liefern mehr als einen
Interventionsgrund.
Auch die USA haben ein vitales Interesse an der Region: Oel- und
Gaspipelines, Bodenschaetze -- und mit einem treuen Regime auf seiner
Seite hat man nicht nur einen weiteren Markt erobert, sondern kann die
militaerisch zweitgroesste Macht der Welt, Russland, an ihren Grenzen
bedrohen. So ein Aufmarschgebiet ist schon was Feines. Warum sonst
haben die USA die Revolution unterstuetzt, die Michail Saakaschwili an
die Macht brachte?
Das forsche Vorgehen Russlands ist aber ohne den Kosovo nicht zu
verstehen. Die NATO hat unter Berufung auf einen angeblich
bevorstehenden oder stattfindenden Genozid das kleine Serbien
niedergebombt -- ohne Beschluss der UNO. Auf eigene Faust. Russische
Proteste verhallten ungehoert. Die westliche Anerkennung der
serbischen Provinz als eigenstaendiger Staat hat dieses Verhalten
nachtraeglich legitimiert. Das ist die erste Grenze in Europa seit
1945, die mit Waffengewalt gezogen wurde. Die NATO hat, von USA und EU
getragen, 1999 mit dieser Vorgangsweise das Grundprinzip der
politischen Nachkriegsordnung in Europa gebrochen: Militaerische
Interventionen nur mit UN-Vollmacht und keine Gebietsgewinne oder
Grenzveraenderungen durch Gewalt.
Russland hat in Suedossetien genau das gleiche getan oder zumindest
versucht. Unrechtsbewusstsein war nach der eindrucksvollen Lektion
Kosovo keines zu erwarten. Wenn der Westen das tun darf, wird das
Russland wohl auch zustehen, so das Kalkuel der Kreml-Strategen.
Prinzipien der Weltordnung koennen nicht fuer den einen gelten und
fuer den anderen nicht.
Der Westen schaeumt und westliche Medien ueberbieten sich darin, die
Propaganda aus dem Kreml zu entlarven. Die US-Regierung stellt einen
neuen Kalten Krieg in den Raum und die deutsche Bundeskanzlerin Angela
Merkel (CDU) stellt Georgien sofort einen NATO-Beitritt in Aussicht.
Das russische Vorgehen wird als Bruch des Voelkerrechts dargestellt
und als Erwachen des lange verschuetteten russischen Imperialismus.
Stimmt -- nur, wo waren diese kritischen Stimmen, als es um den Kosovo
ging? Als es darum ging, dass sich die USA einen Vorposten am Balkan
sichern wollten und Serbien als letzten Rest des alten Jugoslawien
zerschlagen? Diese Stimmen schwiegen, es gab Applaus fuer die NATO.
Teils fiel man auf die Propaganda herein, teils trugen antiserbische
Ressentiments das Ihre zur Jubelstimmung bei.
Vom Kaukasus aber weiss man nichts und den Russen misstraut man
sowieso. Was Russland dort tut, kann nur boese sein. Dass auch das,
was im Kosovo passierte, boese war, auf die gleiche Art zynisch,
vergisst man. Russland soll sich an Prinzipien halten, die man selbst
verletzt hat. Das ist nicht die Lektion, die im Kreml verstanden wird.
Die Kosovo-Lektion, dass vernuenftige Spielregeln nicht mehr gelten,
wenn sie den eigenen strategischen Interessen zuwiderlaufen, sehr
wohl. Die Geister, die NATO und EU riefen, werden sie nicht mehr so
schnell los. Wenn die duenne Schicht der Zivilisation einmal
beschaedigt ist, bedarf es grosser Anstrengung, sie
wiederherzustellen. Diese Lektion haben wir Europaeer nur allzu
muehsam und allzu grausam gelernt. Dass wir mit Hurra und Begeisterung
die duenne Schicht selbst abgetragen haben, duerfen jetzt andere
ausbaden. Menschen, mit denen wir nichts zu tun haben. Menschen, die
nichts dafuer koennen. Menschen im Kaukasus zum Beispiel.
*Viktor Englisch*
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