**********************************************************
akin-Pressedienst.
Aussendungszeitpunkt: Dienstag, 26. August 2008; 14:27
**********************************************************

Gesundheit/Kapitalismus :

> Tote rauchen nicht

Die Nichtraucherpille Champix kommt in den Geruch, Menschen in den
Selbstmord zu treiben.

"Nebenwirkungen von Champix: Sehr haeufig genannte Nebenwirkungen sind
Uebelkeit, Kopfschmerzen, Schlaflosigkeit sowie abnorme Traeume.
Haeufig wird von Muedigkeit, Schwindelgefuehl, gesteigertem Appetit,
Erbrechen, Durchfall, Verstopfung und Mundtrockenheit berichtet."
Sonstige Nebenwirkungen kennt das "Rauchertelefon" der NOe
Gebietskrankenkasse nicht, wenn es die Tabakentwoehnungspille Champix
aus dem Hause Pfizer anpreist. (1)

Auch die Oesterreichische Apothekerzeitung sieht das Mittel mit dem
Wirkstoff Vareniclin eher als harmlos an: "Unter den Nebenwirkungen
steht Uebelkeit an erster Stelle. Sie ist in der ersten Woche am
haeufigsten und nimmt mit Fortdauer der Behandlung ab. Die Abbruchrate
wegen Nebenwirkungen ist vergleichsweise gering." (2)

Ganz anders verhaelt es sich mit der Tabakentwoehnungspille "Chantix".
Sucht man bei der US-Lebensmittel- und Medikamentenbehoerde FDA nach
diesem Stichwort, taucht ein aktuelles Dokument auf, das mit einem
fettgedruckten Warnhinweis beginnt: "Falls Sie, Ihre Familie oder Ihr
Pflegepersonal bei Ihnen Unruhe, Depressionen oder fuer Sie untypische
Verhaltensveraenderungen beobachten oder wenn Sie Selbstmordgedanken
haben oder selbstmoerderisches Verhalten zeigen, beenden Sie die
Einnahme von Chantix und rufen Sie sofort Ihren Arzt." (3)

Nur: Die beiden Pfizer-Produkte sind ein und dasselbe Medikament. In
den USA wird es unter dem Handelsnamen Chantix verkauft, in der EU als
Champix. Der darin enthaltene Wirkstoff firmiert unter dem
Trivialnamen Vareniclin.

Auf den Markt kam Chantix/Champix 2006. Und Pfizer durfte sich 2007
gleich freuen, dass das Konkurrenz-Produkt Zyban -- fuer das das
"Rauchertelefon" immer noch Werbung macht -- mittlerweile eine derart
schlechte Publicity wegen seiner Nebenwirkungen hatte, dass es von der
Aerzten nur mehr selten verschrieben wurde. Doch im selben Jahr
haeuften sich in den USA auch schon die Berichte ueber die "Chantix
Dreams", absurde, zum Teil aengstigende Traeume. Einer dieser Traeume
dank einer Kombination von Alkohol und Chantix koennte dazu gefuehrt
haben, dass der ansonsten nicht als aggressiv bekannte US-Musiker
Carter Albrecht im September 2007 aus heiterem Himmel seine Freundin
verpruegelte und - als sich diese in Todesangst verbarrikadiert
hatte - vor der Tuer seines Nachbarn zu randalieren begann. Doch
dieser Nachbar fackelte nicht lange und erschoss den nicht mehr zu
beruhigenden Albrecht (4).

Ab da wuchs das oeffentliche Interesse an den Nebenwirkungen der
Pille. Zuvor hatte die FDA das Mittel noch problemlos genehmigt und
eventuelle Nebenwirkungen als nicht so tragisch angesehen. Wohl nicht
zuletzt aufgrund des Todes des prominenten Musikers ging die FDA
nochmal an die Sache ran und verschickte bereits zwei Monate nach dem
tragischen Ereignis eine "Early Communication", in der ein
Zusammenhang mit aggressivem Verhalten oder Selbstmordgedanken nicht
ausgeschlossen wird (5). Im Februar 2008 wurde dann ein
FDA-Verantwortlicher zur Haeufung neuropsychiatrischer Erkrankungen
mit den Worten zitiert: "Wir wurden zunehmend beunruhigt, als wir eine
Anzahl eindeutiger Faelle sahen, die in der Tat danach aussahen, als
waere sie das Resultat der Einnahme des Medikaments und nicht anders
begruendet". Eine FDA-Sprecherin meinte bei der gleichen
Veranstaltung, man haette nicht nur erhoehtes Aggressionspotential bei
Chantixpatienten feststellen koennen, sondern es waeren mittlerweile
auch 39 Selbstmorde dokumentiert (6).

Im Mai 2008 stellt die FDA dann hochoffiziell fest, dass die
Warnhinweise fuer Chantix unzureichend seien (3).

Die finale Stellungnahme der FDA blieb nicht ohne Folgen. Wenige Tage
spaeter verbot die US-Flugaufsichtsbehoerde FAA Piloten den Gebrauch
des Mittels, einen Tag spaeter empfahl die fuer
Strassenguetertransporte und den Busverkehr zustaendige Behoerde
FMCSA, dass die einzelstaatlichen Behoerden chantixgebrauchenden
Truck- und Busfahrern die Fahrerlaubnis entziehen sollten.

Und auch die Boerse reagierte: Die Gewinnerwartungen fuer das
Mittelchen wurden von den Analysten halbiert (7).

Pfizer aber, schon nach seiner Pleite von 2006 mit dem leider manchmal
toedlichen Cholesterin-Wundermittel Torcetrabib in einigen
Schwierigkeiten, will seine Raucherentwoehnungs-Cashcow nicht auch
noch verlieren. Immerhin nahm der Konzern auf Druck der FDA
entsprechende Warnhinweise in seine Packungsbeilagen auf -- fuer den
US-Markt. In europaeischen Champix-Beipackzetteln werden seit kurzem
Nebenwirkungen wie Aggressivitaet oder Depression erwaehnt, allerdings
als Folge des Nikotinentzugs begruendet.

Daheim in den USA aber koennte sich das Beharren auf das Projekt
Vareniclin fuer Pfizer bald noch als sehr kostspielig erweisen: Der
Pharmaindustrie-Nachrichtendienst Pharmalot meldete am 10.Juli, dass
die Witwe eines Mannes, der sich nach der Chantix-Einnahme erschossen
hatte, Pfizer verklagt hat. Sollte die Klaegerin Recht bekommen, ist
eine Lawine an aehnlichen Klagen wohl kaum mehr zu vermeiden (8).

Aufgrund der Thematisierung der Nebenwirkungen in den letzten Monaten
bricht der US-Markt fuer Chantix immer weiter ein. Pfizers Aktien
erreichten im Juli eine Talsohle, doch der Konzern versucht die
Gewinnerwartungen dennoch nicht zu enttaeuschen und verbringt das Zeug
in Laender, wo man noch nichts von der Gefaehrlichkeit von Chantix
gehoert hat -- vor allem nach Japan, Russland, China und der Tuerkei
(9).

Pfizer wird also noch eine Menge "Informationsarbeit" leisten muessen,
um sein Produkt in Zukunft an den Raucher und die Raucherin zu
bringen. Doch in Europa erscheint das bislang wohl nicht notwendig.
Bei uns gilt: "Ueber Wirkungen und eventuelle Nebenwirkungen
informieren Sie Gebrauchsinformation, Arzt oder Apotheker". Und zwar
ganz im Sinne des Pharmakonzerns.
*Bernhard Redl*

Quellen:
(1)
http://www.rauchertelefon.at/portal/index.html?ctrl:cmd=render&ctrl:window=rauchertelefonportal.channel_content.cmsWindow&p_menuid=63209&p_tabid=4
(2) http://www.oeaz.at/zeitung/3aktuell/2007/05/serie/serie05_2007tara.html
(3) http://www.bio-medicine.org/medicine-news-1/Quit-Smoking-Drug-May-Raise-Suicide-Risk-10800-1/
(4) http://gesundheit.blogger.de/stories/960660/
http://www.dallasnews.com/sharedcontent/dws/news/localnews/stories/DN-musiciandead_05met.ART.State.Edition2.4247864.html
http://en.wikipedia.org/wiki/Carter_Albrecht
(5) http://www.fda.gov/cder/drug/early_comm/varenicline.htm
(6) http://www.medicinenet.com/script/main/art.asp?articlekey=86890
(7) http://blogs.wsj.com/health/2008/05/21/faa-bans-chantix-for-pilots-air-traffic-controllers
http://blogs.wsj.com/health/2008/05/23/more-trouble-for-pfizers-smoking-cessation-drug-chantix
(8) http://www.pharmalot.com/2008/07/widow-sues-pfizer-over-chantix-suicide
(9) http://www.pharmalot.com/2008/07/up-in-smoke-pfizers-chantix-sales-go-poof



***************************************************
Der akin-pd ist die elektronische Teilwiedergabe der
nichtkommerziellen Wiener Wochenzeitung 'akin'. Texte im akin-pd
muessen aber nicht wortidentisch mit den in der Papierausgabe
veroeffentlichten sein. Nachdruck von Eigenbeitraegen mit
Quellenangabe erbeten. Namentlich gezeichnete Beitraege stehen in der
Verantwortung der VerfasserInnen. Ein Nachdruck von Texten mit anderem
Copyright als dem unseren sagt nichts ueber eine anderweitige
Verfuegungsberechtigung aus. Der akin-pd wird nur als Abonnement
verschickt. Wer versehentlich in den Verteiler geraten ist, kann den
akin-pd per formlosen Mail an akin.buero{AT}gmx.at abbestellen.

*************************************************
'akin - aktuelle informationen'
a-1170 wien, Lobenhauerngasse 35/2
vox: ++43/1/535-62-00
(anrufbeantworter, unberechenbare buerozeiten)
http://akin.mediaweb.at
akin.buero{AT}gmx.at
Bankverbindung lautend auf: föj/BfS,
Bank Austria, BLZ 12000,
223-102-976/00, Zweck: akin