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akin-Pressedienst.
Aussendungszeitpunkt: Donnerstag, 24. Juli 2008; 01:00
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2.EXTRABLATT zum Linksprojekt
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Linksprojekt:

> Aufbruch in der Krise

In Oesterreich tritt erstmals eine Linksliste bei Nationalratswahlen an. Die
Liste mit dem Namen "LINKE" soll Aufbruch in der Szene signalisieren und
Protestwaehler ansprechen. Ihre Gruendung macht auch die Krise deutlich, in
der die linke Szene in Oesterreich steckt. Eine Reportage.


Der junge Mann mit adrettem Haarschnitt und blauer Krawatte sticht heraus.
Unter den etwa 100 Aktivisten, Funktionaeren, Mitgliedern und Sympathisanten
diverser linker Gruppierungen und Parteien sticht er heraus. Er durchbricht
das Klischee jugendlicher Revoluzzer in Che- oder UdSSR-T-Shirts, langen
Haaren oder Dreadlocks, das beim "Grossen Ratschlag" im Amerlinghaus Fleisch
geworden zu sein scheint. Dazwischen ein paar Punks und Alt-68er, drei oder
vier Pensionistinnen und Pensionisten haben die heiss begehrten Sessel im zu
kleinen Saal ergattert.

Es ist ein improvisiertes Treffen. Auf den Eingangstueren sind zwei weisse
Zettel befestigt, die schlicht das "Linksprojekt" ankuendigen. Sonst nichts.
Die Organisatoren haben sie mit Tixo ueber die vergleichsweise
durchdesignten Ankuendigungen einer Roma-Kultur-Veranstaltung geklebt.

"Die Misere wird weiterverwaltet werden", analysiert Hermann Dworczak am
Podium die politische Lage der Republik - und erklaert mit dieser Aussage
sein Engagement fuer eine linke Bewegung in Oesterreich. "Die SPOe geht an
den zentralen Problemen vorbei und die Gruenen haben keine Antwort".
Dworczak kommt in Stimmung. Seine Gesten werden heftiger, waehrend er das
Linksprojekt beschreibt, das man wohl auch als sein Lebensprojekt bezeichnen
kann. Seine Stimme beginnt sich zu ueberschlagen, er laeuft rot an. "Wir
brauchen ein kaempferisches, pluralistisches Linksprojekt. Venceremos"
schreit er den Ruf der spanischen Republikaner unter tosendem Applaus
heraus.

Das Linksprojekt hat viele Sympathisanten. Aus Oberoesterreich, Salzburg,
Tirol sind Vertreter diverser Gruppierungen gekommen. Angefressene Rote und
Gruene, Mitglieder linker Parteien, vereinzelt auch der KPOe, die auf eigene
Rechnung gekommen sind. Die KP will mit der Kandidatur des Linksprojekts
nichts zu tun haben. Der junge Mann mit Krawatte erweist sich als Kaerntner
SPOe-Funktionaer, Betriebsrat und Gewerkschafter, dem es reicht.
Schuetzenhilfe bekommt er vom stellvertretenden Landesvorsitzenden der SJ
Niederoesterreich, der "in der SPOe keine Perspektive mehr" sieht. "Die SPOe
NOe ist generell kaputt", sagt er, der noch bei den Landtagswahlen im Maerz
fuer die SPOe kandidiert hat.

Und doch: Organisatorisch wird die "LINKE" als Liste fuer die
Nationalratswahlen von zwei Gruppierungen getragen: Der SLP und der LSR,
beides Wiener Linksparteien. Aus ihren Reihen kommt der Grossteil der
Teilnehmer des grossen "Ratschlags". Dass die beiden so eng
zusammenarbeiten, ueberrascht. Im Allgemeinen sind die Parteien der linken
Szene zerstritten, mitunter bis aufs Blut verfeindet. Einer der Vertreter
der LSR soll die KPOe als Feind bezeichnet haben. Migranten- oder
Arbeitsloseninitiativen, die sich als Ansprechpartner fuer die Liste
anbieten wuerden, sind nicht hier.

Die Kommunisten ziehen diesmal nicht mit und das loest geballten Unmut aus.
Sonja Grusch, Vertreterin der SLP und Didi Zach, Landessprecher der KPOe
Wien, beschuldigen einander, fuer das Nicht-Antreten der KP in der
Linksliste verantwortlich zu sein. Der KPOe ist die Zeit zu kurz, um eine
Linksliste auf die Beine zu stellen. "Uns ist das Risiko zu hoch, das
voraussichtlich magere Ergebnis wuerde die Linke schwaechen", sagt Didi
Zach, die Sache ist aus seiner Sicht zu dogmatisch angelegt. "Wollen wir
eine marxistisch-leninistische Kaderpartei oder eine breite Bewegung?" fragt
er. "Hinter diesem Buendnis stehen zwei, drei Gruppierungen". Die Zustimmung
haelt sich in Grenzen, die KP stellt eine kleine offizielle Abordnung.
Grusch stellt die KPOe als Bremserin hin, der es eher um eigene Interessen
geht als um das grosse Ganze. "Es ist Zeit, eine neue politische Kraft
aufzubauen". Auch sie sieht den Zeitfaktor kritisch: "Wir haetten gerne alle
Zeit der Welt aber das spielt es nicht". Die Kandidatur sei eine Chance zum
Aufbau einer Linkspartei, wenn auch das Risiko gross sei. "Wir koennen durch
den Wahlkampf Tausende Menschen kennenlernen und ansprechen und haetten eine
Medienpraesenz, die die einzelnen Parteien sonst nie erreichen wuerden".
Eine Vermutung, die angesichts der Berichterstattung der vergangenen Wochen
nicht von der Hand zu weisen ist. Ein Bericht auf "derstandard.at" etwa
hatte 50.000 Zugriffe in nur eineinhalb Tagen. An uebermaessigem
Journalistenandrang leidet die Veranstaltung heute trotzdem nicht. Einzig
ein Team von Okto-TV ist da. Bei allem Engagement, Grusch bleibt
realistisch: "Die Chance, ins Parlament zu kommen, ist gering".

Die Beratungen ziehen sich in die Laenge. Der ueberfuellte Saal wird stickig
und heiss, alle Fenster und Tueren sind offen. Aus dem Gastgarten des
Amerlinghauses dringt das Gemurmel der Gaeste, das fallweise die
Stellungnahmen der Teilnehmer uebertoent. Mikrofon gibt es keines. Eine
junge Aktivistin der SLP erleidet beinahe einen Kreislaufkollaps.

Der Andrang hat auch die Organisatoren ueberrascht. In der Pause werden
zusaetzliche Sessel aufgestellt, die Teilnehmer gruppieren sich um die
offenen Eingangstueren. Auch Stehplaetze gibt es kaum, fallweise stehen
Interessierte auf der Strassenseite und hoeren durchs geoeffnete Fenster zu.

35 Stellungnahmen gibt es. Meist sind es Mitglieder von SLP oder LSR, die
sich fuer eine Kandidatur aussprechen. Einzelne Sympathisanten, die keiner
Gruppierung angehoeren, unterstuetzen sie ebenfalls. Dazwischen vereinzelt
Gegner. Manche zweifeln aus praktischen Gruenden an der Sinnhaftigkeit einer
Linksliste bei den Nationalratswahlen. Andere stellen in Frage, ob es
ueberhaupt erstrebenswert sei, im Nationalrat vertreten zu sein. Sie wollen
nicht bei einem System der parlamentarischen Demokratie mitmachen, das sie
ablehnen.

Das Interesse verhaelt sich indirekt proportional zur Hitze. Mittlerweile
haben die Teilnehmer des "Ratschlages" den Gastgarten im Amerlinghaus
uebernommen. Die kuehlen Getraenke des Gasthauses werden deutlich lieber
konsumiert als das ungekuehlte Mineralwasser des Veranstaltungsbuffets.

"Alle reinkommen, es ist Abstimmung", heisst es nach gut dreieinhalb Stunden
aus dem Saal. Manche im Garten bleiben sitzen.

Abgestimmt wird per Handzeichen. Jeder, der heute hier ist, ist
wahlberechtigt. Ob er einer Fraktion angehoert oder nicht. Das soll
verhindern, dass die vertretenen Fraktionen alle anderen ueberstimmen.
Angesichts der vielen Mitglieder und Funktionaere ein eher frommer Wunsch.
Die Abstimmung ist Formsache.

Es wird chaotisch. "Noch einmal alle aufzeigen, die fuer die Kandidatur
sind", ruft Michael Gehmacher von der SLP in den Saal. Auch wenn eindeutig
ist, dass es so gut wie keine Gegenstimmen gibt - Ordnung muss sein. Die
Befuerworter muessen selbst durchzaehlen. "Eins" ruft der erste, "zwei" der
zweite und so weiter. 78 sind es. Auch praktisch alle Nicht-Mitglieder sind
dafuer. "Wer ist dafuer nicht zu kandidieren?". Der erste, der die Hand in
die Hoehe reisst, ist Hermann Dworczak, einer der Traeger eines
Linksprojekts. Stefan, linker Gruen-Sympathisant, der ganz hinten steht,
stimmt auch dagegen. Sieben Gegenstimmen werden gezaehlt. Die paar Vertreter
der offiziellen KP-Fraktion sind schon vorher abgezogen.

"Die Kraefte sind nicht ausreichend", sagt Dworczak nach der Abstimmung,
zwischen zwei Telefonaten. "Das habe ich von Anfang an gesagt, als die
Neuwahlen ausgerufen wurden. Aber jetzt muessen wir zum Arbeiten anfangen".
Gemeint ist auch, dass aus seiner Sicht zu wenige Gruppen mitarbeiten. Er
informiert die Austria Presse Agentur und den Kurier, die ueber das
Abstimmungsergebnis Bescheid wissen wollen. Mitarbeiten wird er trotzdem.
Wichtiger als die Wahlen sei eine breite Bewegung im Herbst aufzustellen -
moeglicherweise mit Unterstuetzung der KPOe.

"Das wird nix", sagt Stefan. "Das ist das, was ich von Anfang an befuerchtet
habe. Das ist eine Kandidatur von LSR und SLP, das wird das Projekt
Linkspartei auf Jahre schwaechen. Was fehlt, sind Abspaltungen, die zu einer
Gruppe stossen koennten, etwa von der SPOe oder aus der Gewerkschaft". Er
wird wahrscheinlich doch gruen waehlen. Bernhard Redl, Redakteur der akin,
sieht einen gewissen Pessimismus: "Nach der Abstimmung sind Woerter wie
Schwachsinn und Totgeburt gefallen. Das spricht nicht fuer einen gewissen
Optimismus". Andere bezweifeln Zugkraft und Kooperationsfaehigkeit
moeglicher Kandidaten: "Denen geht es doch nur um die eigene Partei und
nicht um das gemeinsame Projekt".

SLP und LSR sehen es hingegen als Aufbruch, als Beginn von etwas groesserem.
Dass sie alleine vorpreschen, stoert sie nicht. Irgendwer muesse es machen,
und wenn man alleine sei, sei das bedauerlich, aber auch nicht zu aendern.

Ungeachtet dessen stehen der "LINKEn" zwei groessere Herausforderungen
bevor, die die moegliche Kandidatur mindestens ebenso beeinflussen wie die
Abstimmung. Oesterreichweit wird die Liste 2.600 Unterschriften brauchen -
und ausreichend Kandidaten fuer die Wahlkreis- und Landeslisten. Eine
schwierige Aufgabe. Dass die Liste nicht oesterreichweit antritt, sondern
nur in einzelnen Bundeslaendern wie Wien, der Steiermark und
Oberoesterreich, wird nicht ausgeschlossen. Bleibt die Frage, ob das ein
Zeichen fuer einen Aufbruch waere oder fuer die Krise der linken Szene in
Oesterreich.
*Viktor Englisch*


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