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akin-Pressedienst.
Aussendungszeitpunkt: Dienstag, 10. Juni 2008; 16:34
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Kommentar:

> Tirol bleibt schwarz

Die Tiroler Erbpacht der OeVP ist geknackt, doch politische
Alternativen haben sich bei den Landtagswahlen vom Sonntag nicht
aufgetan. Die Linken jeder Schattierung sind jedenfalls gescheitert.

Die Ergebnisse der Landtagswahlen in Tirol bedeuten ein doppeltes
boeses Erwachen. Einerseits hat die OeVP trotz aeusserst unpopulaerer
Politik in Summe der beiden Listen "OeVP" und "Dinkhauser" um ca. 9 %
zugelegt und verfuegt nun fast ueber eine 2/3-Mehrheit im Landtag.
SPOe und Gruene verloren je etwa ein Drittel ihrer WaehlerInnen und
liegen auf Platz 3 und 5 mit 15,14 und 10,4% nahezu in der
Bedeutungslosigkeit. Die SP verliert 4 von 9 Mandaten, die Gruenen
dank Wahlarithmetik "nur" eines von 5. Der grosse Gewinner ist der
schwarze (Ex-) AK-Direktor Fritz Dinkhauser, dem es gelungen ist, die
grosse Unzufriedenheit der WaehlerInnen vom Stand weg mit 18,3% der
Stimmen auf seiner Liste zu kanalisieren.

Der zweite Teil des boesen Erwachens ist absehbar: Die OeVP bleibt
tonangebend an der Regierung. Sie kann es sich aussuchen, ob in einer
Koalition mit einer der geschlagenen Parteien, SPOe oder den Gruenen
(beide konkurrieren seit geraumer Zeit, wer es fuer die OeVP billiger
macht), mit dem strahlenden Sieger Dinkhauser oder mit der FPOe.
Letztere konnte -- trotz Spaltungen -- zu allem Ueberdruss von 7,97
auf 12,66% aufstocken. Wenn -- sehr wahrscheinlich -- Van Staa
zugunsten von Guenther Platter oder Elisabeth Zanon zuruecktritt,
stehen der OeVP alle Optionen offen, womit sie den Preis fuer die
jeweilige Koalition entsprechend druecken kann. Im Folgenden ein paar
Thesen dazu:

1. In Tirol deckt die OeVP -- mangels echter Opposition -- die
Aufgaben Regierung und Opposition selbst ab -- die restlichen Parteien
scheinen ueberfluessig. Die oeffentliche Aufmerksamkeit konzentrierte
sich vor allem auf die Auseinandersetzung zwischen Landeshauptmann Van
Staa und (Ex-)AK-Praesident Dinkhauser, beide OeVP. Die Tiroler
Sozialdemokraten hatten schon immer den Ruf der braven "Ministranten"
der OeVP. In der vergangenen Legislaturperiode haben sie aber den
Vogel abgeschossen und liessen sich von einer OeVP, die ueber 20 von
36 Mandaten im Landtag verfuegt, in eine Koalition binden, in der sie
rein gar nichts zu melden hatten, trotzdem aber die politische
Mitverantwortung tragen. Damit hat die SPOe die Chance einer
Rot-Gruenen Opposition bzw. der eigenen Profilierung als Alternative
verwirkt. Stattdessen liessen sich die beiden Parteien regelmaessig
gegeneinander ausspielen und konnten so in ihrem Einfluss weitgehend
neutralisiert werden. Der "Lohn": Die SPOe verlor ein Drittel ihrer
Waehlerstimmen und fast die Haelfte ihrer Mandate. Sie wurde auf
15,16% der Stimmen marginalisiert.

2. Die Gruenen haben sich in Tirol schon seit langem bemueht, die
nettere bzw. bessere OeVP zu spielen. Sie scheuen sich, ein klares
Profil zu entwickeln, um nur ja niemanden vor den Kopf zu stossen und
hoffen, dass enttaeuschte OeVP-WaehlerInnen automatisch Zuflucht bei
den Gruenen suchen. Dementsprechend nichtssagend ("Tirol kriegt die
Kurve") war der aufwaendig gefuehrte Wahlkampf (lt. Wikipedia wurden
400.000 Euro ausgegeben, angeblich sogar mehr als Dinkhauser zur
Verfuegung hatte). Dies, ohne eine nennenswerte Information unter die
Leute zu bringen. Dabei waere diese beim vorhandenen Medienmonopol des
Moser-Konzerns dringend noetig. Das Kalkuel ist gruendlich daneben
gegangen. Von der voellig illusorischen Vorstellung, zweite Kraft zu
werden bzw. 20% zu erreichen ist der Katzenjammer von 10,4 (2003:
knapp 16 %) und der 5. Platz hinter Dinkhauser, SPOe und der FPOe
geblieben. In Waehlerstimmen ausgedrueckt: Von 45.236 Stimmen der
letzten Landtagswahl sind mehr als ein Drittel (12.219) verloren
gegangen.

3. Dazu kommt die bittere Pille, dass es trotz eines in Summe ueber
10%igen Zugewinns (3 Mandaten) fuer die OeVP auch noch der FPOe
gelungen ist, von 8 auf 12,5% zuzulegen. Dabei ist dieser Partei
ausser Hassparolen gegen Auslaender und Muslime nichts zur
Landespolitik eingefallen. Sie versuchte, sich als "soziale
Heimatpartei" darzustellen mit altbekannten Leerformeln wie "Tiroler
zuerst", "Soziale Sicherheit fuer unsere Leut" oder "Tirol die Treue"
das sagen nur wir". Besonders uebel war Straches persoenlicher Angriff
auf den engagierten gruenen Kandidaten Gebi Meyr, dem er unterstellte,
zwecks Wahlwerbung auf den Strich zu gehen. Uebrigens hat es keine
andere Partei fuer noetig befunden, sich dazu zu aeussern.

4. Die KPOe uebt sich im Buendnis mit sich selbst, bzw. mit der KJOe.
Die Jugend darf dann antreten, wenn es eh keine Mandate zu gewinnen
gibt, also Jugendliste-KPOe bei der Landtagswahl. Die KPOe hat diesmal
nicht einmal so getan, als wuerde sie versuchen, ein linkes Buendnis
zustande zu bringen. Bei der massiven Unzufriedenheit im Lande, nicht
nur mit der Regierungspolitik, sondern auch mit SPOe und den Gruenen
ist der mickrige Gewinn von fast 0,5 Prozentpunkten auf knapp 1,2%
nicht gerade berauschend, was nochmals relativiert wird, weil die KPOe
diesmal in allen Bezirken angetreten ist. So sind von der Zahl der
zusaetzlichen WaehlerInnen jedenfalls 1.321 jener Bezirke abzuziehen,
in denen die KPOe bei der letzten Landtagswahl nicht kandidiert hat.
In den Bezirken, in denen die KPOe bei der letzten Landtagswahl
angetreten ist (Innsbruck Stadt/ Innbruck Land und Kufstein) hat sie
475 Stimmen bzw. 0,14% dazugewonnen.

5. Das Wahlrecht zur Tiroler Landtagswahl ist sehr undemokratisch.
Wahlberechtigt sind nur Oesterreichische StaatsbuergerInnen, darunter
erstmals auch Jugendliche ab 16 und "AuslandstirolerInnen". Im
Extremfall waere der Auslandstiroler X, der seit dem 6. Lebensjahr
ununterbrochen im Ausland lebt, wahlberechtigt, waehrend nicht einmal
ein EU-Buerger Y, der seit Jahrzehnten in Tirol lebt, arbeitet und
Steuern zahlt, aber die Oesterreichische Staatsbuergerschaft nicht
erhaelt oder nicht will, mitbestimmen darf. Ganz zu schweigen von den
tausenden Nicht-EU-BuergerInnen aus aermeren Laendern, die voellig von
jeder demokratischen Mitbestimmung ausgeschlossen und zudem gesetzlich
mehrfach diskriminiert sind. Dieses Thema hat keine Partei wirklich
kritisiert, sieht man von der sehr allgemein gehaltenen Aussage der
KPOe ab ("jede Stimme muss gleich viel wert sein", gerade mal 2,5
Zeilen im Wahlprogramm). Im gruenen Wahlprogramm kommt das ueberhaupt
nicht vor (weder in der Kurz- noch in der Langversion).

6. Keine Partei hat die Tatsache thematisiert, dass der Bauernbund
sich in der Landwirtschaftskammer aus Oeffentlichen Geldern des Landes
die Haelfte (das sind 89) Funktionaere finanzieren laest, um den
maechtigsten Fluegel der OeVP (stellt bisher immer den
Landeshauptmann) weiterhin zu zementieren. Keine Interessenvertretung
geniesst vergleichbare Privilegien. Dies natuerlich auch ungeachtet
der demografischen Entwicklung, wonach es in Tirol gerade noch 15.000
Bauernhoefe gibt, wobei die Nebenerwerbsbauern bereits mitgezaehlt
sind. Dies ist auf dem Hintergrund der aktuellen Diskussion zu sehen,
wonach die Agrargemeinschaften sich gratis grosse Flaechen an
Gemeindeland angeeignet haben und von deren teilweiser Umwidmung in
Bauland profitieren. Eine Bevoelkerungsgruppe (maennliche Linie, seit
Generationen im Dorf wohnhaft) privatisiert Oeffentliches Eigentum und
bereichert sich daran enorm. Die Agrargemeinschaften horten in den
engen Taelern Tirols ca. 2.000 km2 Bauland und tragen auf diese Weise
wesentlich zu den hohen Preisen und Mieten fuer Wohnraum bei.

7. Keine Partei beschreibt weiters die Anatomie der Macht in Tirol,
z.B. die Bedeutung des Raiffeisen-Konzerns und billige Kredite oder
andere Verguenstigungen, mit denen Parteiloyalitaeten erkauft und
Abhaengigkeiten erhalten werden sollen. Niemand ruehrt an die Macht
der Kirche, des CV, der Schuetzenverbaende, ganz zu schweigen von
Industriellenvereinigung und Kapital. Keine Opposition -- nirgends?

8. Die wesentlichen Themen im Land wurden entweder ausgespart oder mit
ein paar allgemeinen Parolen abgetan. In dieser Hinsicht gibt es wenig
Unterschied in den Programmen von SP, Gruenen oder Dinkhauser. Auch
das Programm der KPOe zeichnet sich leider nicht durch besonderen
Tiefgang oder Orginalitaet aus.

Warum haetten die Leute in Tirol also etwas Anderes waehlen sollen? Es
bleibt die Befuerchtung, dass harte Zeiten anstehen und die Hoffnungen
der Menschen von ueblen Populisten missbraucht werden, sollte es nicht
gelingen, eine breite, glaubwuerdige und handlungsfaehige Linke auf
die Beine zu stellen.
*Wilfried Hanser-Mantl, linke.cc (leicht gek.)*

Volltext:
http://www.dieanderezeitung.at/index.php?option=com_content&task=view&id=2230&Itemid=59


Mandatsverteilung nach dem vorlaeufigen Endergebnis: OeVP 16 (-4),
FRITZ 7 (+7), SPOe 5 (-4), FPOe 4 (+2), Gruene 4 (-1)

Detaillierte Wahlergebnisse siehe: http://orf.at/tirolwahl08/ oder
http://wahlen.tirol.gv.at/WahlenTirolGvAtWeb/wahlen.do?cmd=wahlInfo&wahl_id=20&cid=1



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