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akin-Pressedienst.
Aussendungszeitpunkt: Dienstag, 27. Mai 2008; 15:16
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Zeitgeschichte:

> Wir Achtundsechziger

Michael Genners ganz persoenlicher Rueckblick, Teil III (Schluss)

Je erfolgreicher wir gegen Nazis und Heime kaempften, je mehr wir
unter der Arbeiterjugend Fuss fassten, umso verhasster waren wir
unseren Feinden. Umso sicherer kam der Gegenschlag.

Ich hatte ein Verfahren am Hals, weil ich die Tochter eines
SPOe-Funktionaers "entfuehrt" hatte. Sie war SPARTAKUS-Mitglied, ihr
Vater verbot es ihr und schlug sie, dass ihr das Trommelfell platzte
(da faellt mir ein: er war ein Funktionaer der "Kinderfreunde"); ich
riet ihr, unterzutauchen, und versteckte sie, bis er (wie Liesls Vater
bei der Aktion "Romeo und Julia") einen Vertrag mit mir unterschrieb,
dass sie bei uns sein duerfe.

Anders als Liesls Vater brach er jedoch sein Wort und holte seine
Tochter mit der Polizei (die ihm einredete, er muesse den ihm
"abgepressten" Vertrag nicht halten) von uns ab. Sie war dann ein Jahr
lang in einem Internat, bis ihr die Rueckkehr gelang; spaeter hat sie
bei uns eine fuehrende Rolle gespielt. Ich wurde wegen "Entfuehrung,
Erpressung und Widerstands gegen die Staatsgewalt" angeklagt.

Jakob Mytteis, unser Obmann, war wegen "Widerstands gegen die
Staatsgewalt" anlaesslich einer Demonstration gegen den Schah von
Persien zu einer Haftstrafe verurteilt worden; die Wiener Polizei
hatte damals, im Bund mit dem iranischen Geheimdienst Savak, Jagd auf
Demonstranten gemacht. Hauptzielscheibe aber war unser
Vorstandsmitglied Willi Stelzhammer.

Die Nazis hatten auch das Bundesheer unterwandert. 1971 rief SPARTAKUS
gemeinsam mit anderen Jugendgruppen und dem "Volksbegehren zur
Abschaffung des Bundesheeres" zu einer Demonstration gegen Kreiskys
rechtsextremen Heeresminister, General Luetgendorf, auf. Willi
Stelzhammer war Leiter des Ordnerdienstes; alle verbuendeten
Organisationen hatten ihn mit dieser Aufgabe betraut.

Wie erwartet, wurde unsere Demonstration (an der etwa 4000 Menschen
teilnahmen) von Nazischlaegern ueberfallen, an deren Spitze Ausbildner
des Bundesheeres standen. Sie provozierten, warfen Steine und
begleiteten unseren Zug bis zum Heeresministerium. Dort wurden sie von
unseren Ordnern verpruegelt und liefen davon.

Eine der zentralen Parolen der Luetgendorf-Demonstration war die
Bildung von Kasernenkomitees. Willi Stelzhammer ging bald danach
selbst als Soldat zum Bundesheer und gruendete in der Karlskaserne ein
solches Komitee. Spaeter wurde er versetzt, hielt aber zu seinen
bisherigen Kameraden Kontakt.

Ein Leutnant, der zu den Scharfmachern gehoerte, erklaerte im Februar
1972 in der Karlskaserne den Alarmzustand und behauptete, SPARTAKUS
wolle die Kaserne ueberfallen; davor habe ihn die Staatspolizei
gewarnt. Man solle auf Verdacht sofort schiessen und erst dann rufen:
"Halt, wer da".

Willi wurde vom Kasernenkomitee darueber informiert. Wir rieten ihm,
nicht in seine Kaserne zurueckzukehren, und verlangten von
Bundeskanzler Kreisky (vergeblich) Garantien fuer seine Sicherheit.

Die Falle RAF

Kurz vorher hatte mich Guenther Nenning, Herausgeber des "Neuen Forum"
und Leiter des Anti-Bundesheer-Volksbegehrens, zu sich gebeten. Bei
ihm sass ein Mann, den er mir als "Genossen von der
Baader-Meinhof-Gruppe" vorstellte. Ob ich eine Moeglichkeit haette,
ihn zu verstecken?

Ich hatte Nenning immer misstraut. Er war jahrelang ein Wortfuehrer
des rechten Fluegels der SPOe gewesen, hatte sich aber nach der
Demonstration am 1. Mai 1968, als ich rausflog, mit mir solidarisiert.
Das "Forum" hatte er von Torberg, einem Sprachrohr des CIA in
Oesterreich, uebernommen.

Seinen ploetzlichen Kurswechsel nahm ich zur Kenntnis, akzeptierte
auch seine spaetere (finanzielle und politische) Unterstuetzung fuer
SPARTAKUS, aber instinktiv wartete ich immer darauf, dass er uns eines
Tages verriet.

Auch hatte ich keinerlei Sympathien fuer die RAF. Nicht weil ich
grundsaetzlich gegen Gewalt waere. Sondern weil das, was sie taten,
der gesamten Linken schadete. Frueher hatte ich Artikel von Ulrike
Meinhof gelesen und sie sehr geschaetzt. Auch sie hatte sich fuer
Heimzoeglinge eingesetzt. Aber sie war in eine Falle gegangen. Eine
Falle der deutschen Polizei.

Es ist eine alte Lehre der Geschichte: Die Polizei versucht, die
radikalste Gruppe innerhalb einer unbequemen Bewegung zu isolieren, zu
provozieren, zu infiltrieren und schliesslich als Werkzeug zu
benutzen. Um mehr Vollmachten zu bekommen, Notstandsgesetze
durchzudruecken, einen Polizeistaat zu installieren. Und um der
Bewegung, fuer die diese Gruppe stand, die Spitze abzubrechen.

In Oesterreich waren wir fuer diese Rolle vorgesehen. Teile der
Polizei wollten uns zur oesterreichischen Baader-Meinhof-Bande machen.
Das kann ich nicht beweisen. Nur riechen konnte ich es. Nennings
Vorschlag war eine Falle, eine klassische Provokation. Ich lehnte
sofort ab.

Im Februar 1972, zeitgleich mit dem Alarm in der Kaserne, wurde dieser
Mann, den Nenning mir vorgestellt hatte, ein gewisser Guenther Voigt,
verhaftet. "Die Presse" (4.2.1972) berichtete darueber unter dem Titel
"Deutsche Tupamaros in Wien gesucht".

In diesem Artikel stand (zutreffend), dass wir nach dem Naziueberfall
in Muerzzschlag Waffenscheine zwecks Selbstverteidigung beantragt
hatten, was jedoch von den Behoerden verweigert worden war. Woraus die
"Presse" die groteske Schlussfolgerung zog, aus diesem Grund haetten
wir nun die "wesentlich potenteren deutschen Tupamaros um Instruktion
und Material" ersucht.

Wenige Tage spaeter warfen Nazis einen Sprengkoerper durch ein Fenster
unserer Wohngemeinschaft in der Theobaldgasse.

In dieser Situation fassten wir den Beschluss, die Arbeit von
SPARTAKUS in Oesterreich einzustellen und ins Exil zu gehen. Wir
hielten das fuer die einzige Alternative zum Abdriften in den Terror
und in den Untergang.

Von Spartakus zu Longo Mai

Wir gingen in die Schweiz, wo unsere Schwesterorganisation "Hydra" uns
gastfreundlich aufnahm. Spaeter gruendeten wir in Frankreich die
"Europaeische Kooperative Longo mai". Aber das ist eine andere
Geschichte.

Heute halte ich unseren damaligen Entschluss fuer falsch. Wir haetten
dableiben sollen - und doch nicht in die Falle gehen. Wir haetten die
Prozesse, die uns bevorstanden, als Waffe nutzen sollen, um die
Missstaende, gegen die wir kaempften, anzuprangern. Und einfach -
weitermachen.

Wir gingen aber von der falschen Annahme aus, dass "die
Verschaerfung", ja geradezu ein neuer Faschismus vor der Tuere stand.
Tatsaechlich aber waren Kreisky und Broda im Begriff, demokratische
Reformen durchzufuehren, zu denen wir den Anstoss gegeben hatten. Wir
haetten die Fruechte unserer Arbeit ernten koennen. Broda selbst
sprach von "Arbeitsteilung" zwischen ihm und uns.

So die Heimreform: Die Bundeserziehungsanstalten wurden 1975 von Broda
abgeschafft. Es war unser Erfolg - aber wir waren nicht mehr da.
Jugendamt und Bewaehrungshilfe richteten, wie wir es gefordert hatten,
offene Wohngemeinschaften ein. Damit fiel ein wichtiges Druckmittel
gegen die Jugend, ein Bollwerk der buergerlichen Familie weg.

Ueberhaupt begannen die Menschen damals freier zu atmen in diesem
Land. Die Macht der Kirche wurde durch die Fristenloesung eingedaemmt.
Die Abschaffung der Studiengebuehren oeffnete die Universitaeten und
machte breiten Massen den Zugang zur Bildung frei.

Die gegen uns eingeleiteten Verfahren wurden 1976 - nach einer in der
Schweiz gefuehrten Amnestiekampagne - von Bundespraesident
Kirchschlaeger auf Antrag des Justizministers Broda (und auf Wunsch
von Bundeskanzler Kreisky) niedergeschlagen.

Aus "Longo mai", das eine Zeitlang zu einer autoritaeren Sekte verkam
und eine andere Art von Falle war, habe ich mich 1977 "selbst
ausgeschlossen" (diesen Ausdruck kannte ich doch von irgendwo?), habe
mich spaeter (als "Longo mai" in den Medien angegriffen wurde) wieder
solidarisiert, bin aber 1986 endgueltig von dort gegangen.

Seit 1989 betreue ich Fluechtlinge, vertrete sie im Asylverfahren und
kaempfe (nach langen Irrwegen) wieder - wie in der Heimkampagne - an
einer besonders sensiblen Stelle der Front. Dort, wo die
Menschenrechte am meisten gebrochen werden. An der Seite der am
meisten Unterdrueckten, Entrechteten. So schliesst sich der Kreis.

Unser Ausflug in die Vergangenheit ist damit zu Ende. Wir wenden uns
wieder der Gegenwart und Zukunft zu. Neue Kaempfe stehen uns bevor.
Liebe Leserinnen und Leser: Kaempfen Sie mit!
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