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akin-Pressedienst.
Aussendungszeitpunkt: Dienstag, 20. Mai 2008; 18:56
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Glosse:

> Zivilcourage und die selektive Arbeitsmoral von Polizisten

Ein Erfahrungsbericht

Mein Dueruem duerfte den Radfahrer gestoert haben. War's der Geruch
der orientalischen Gewuerze? In dem Mitt-Dreissiger muss der Anblick
eine heftige Reaktion ausgeloest haben, nah am Trauma. "Haengt's olle
Tiak'n auf" ruft er im Vorbeifahren und dreht sich nach mir um,
waehrend er in vollem Tempo durch eine oesterreichische Kleinstadt
radelt. Ich haette ihm das Kebap ja nachwerfen koennen.

In manchen Situationen geht es durch mit mir. "Was fuer eine
fortschrittliche Einstellung", ruf ich ihm in eher sarkastischem
Tonfall nach. Es dauert etwa zwanzig Meter, bis er merkt, dass da
vielleicht ein Schuss Ironie in der Stimme zu hoeren war. Sobald der
neue Reiz verarbeitet ist, stellt sein limbisches System auf das
Programm "Kampf" um. Der Mann in modischer Sportlerbekleidung bremst
sein Mountainbike abrupt ab, wendet, faehrt zurueck und wendet ein
zweites Mal, als er auf meiner Hoehe ist. So kann er neben mir fahren.
"Wie hom's des g'mant?" "Wonach hot's geklungen?" "De Auslaender, de G'fraster,
wonn des so weidageht, gibt's uns neama. Schau'n S' eahna do oa, wos
mit unserer Stod passiert. Iberoi san se, jetzt hom's sogoa eanere
Lokale. Und es miasst's eahna des Zeigs a nu okauf'n! Des is a
Problem!" "Also, ich hob kein Problem damit". "Du bist woascheinlich
so a Gruena, so a Oasch, so a Verraeta! Wonn's noch eich geht, gib's
uns boid neama. Ihr wuid's nua, dass mia olle tiakisch leanan und
Moslems wean!"

Wie gesagt, in manchen Situationen geht es durch mit mir. Ich sehe
nicht ein, warum ich vor Idioten kuschen soll. Auch wenn mir irgendwo
im Hinterkopf eine kleine Stimme sagt, dass das hier vielleicht
eskalieren koennte. Es waere vernuenftiger, den Mund zu halten. Die
Lust an der Konfrontation (und der Provokation) ist staerker. "Wenn
des hasst, dass es weniger Idioten gibt wie di, daonn scho!"
Abermaliges abruptes Bremsen, eine starke Bewegung des Fahrrades nach
rechts auf den Gehsteig, Fuss (mit Spezialschuhen) auf den
Gehsteigbelag, ein Vorbeugen des Oberkoerpers gepaart mit wuetender
Sprachlosigkeit. Dann oeffnet er den Mund und heraus kommt sein
Speichel, schlecht gezielt in meine Richtung oder auch nicht. Mich
verfehlt er, das Duerum (gluecklicherweise schon fast ganz gegessen)
erwischt er leider. "So, des nimmt's jetzt z'ruck du Oaschloch. Des
brauch i mia net sog'n lass'n!" "Wenn's d' so an Bledsinn red'st scho.
Wann ma a Idiot is, darf man sich net aufreg'n, wenn ma Idiot g'nannt
wird!". Seine offene Hand ist schneller als ich ausweichen kann. Zumal
ich eher nicht damit rechne, auf offener Strasse geschlagen zu werden.
(Heute denke ich mir oft, ich haett' ihm das angespuckte Dueruem in
die Fresse stecken sollen, aber zugebenermassen war ich einigermassen
perplex.) Mit ueberraschender roher Gewalt kann ich nicht umgehen.
"Wenn's net sufuat die Gosch'n hoitst, tritt i di mit meine Bock', bis'd
im Spitoi liegst du woame Sau". Zur Untermauerung tritt er mit seinen
Sportradlerschuhen bis wenige Zentimeter vor mein Gesicht".

Spaetestens ab diesem Zeitpunkt haette ich Reissaus nehmen muessen.
Die kleine Stimme im Hinterkopf meint auch, ich solle laufen. Eine
andere kleine Stimme sagt: Vor einem Rassisten darf man nicht
zurueckweichen. In einer Mischung aus Angst, Panik und aus Trotz
gespeister Dummheit gelingt es mir, meinem Hals eine ueberraschend
feste Stimme zu entwinden: "Glaubst i fiacht' mi?" Die zweite Ohrfeige
folgt auf dem Fuss. Weniger wohlmeinende Zeitgenossen koennten sagen,
ich haette es schon ein bisschen provoziert. Irgendwie schaffe ich es,
meine an sich schlotternden Knie, die in die andere Richtung wollen,
unter Kontrolle zu halten und zwei Schritte auf den Mann zuzumachen.
Seine Ankuendigung fuer einen Spitalsaufenthalt zu sorgen, nehme ich
mittlerweile durchaus ernst. Was nicht dazu beitraegt, meine Angst zu
verringern. Meinen Zorn und Trotz schmaelert das allerdings auch
nicht.

Irgendwie scheint das den tuerkenhassenden Zeitgenossen zu
ueberfordern. Er holt noch einmal aus, laesst es diesmal sein und
schreit mich an: "Sog, dass'd as z'rucknimmst". "Ich kumm net auf die
Idee". Das duerfte ihn in etwa so beschaeftigen wie vor drei Minuten
das Dueruem. "Sog dass' as z'rucknimmst", kommt es ein weiteres Mal,
fast flehend. Und irgendwie klingt er ein wenig weinerlich.

In meinem Kopf loest sich mittlerweile die Panik. Warum soll ich das
alleine durchstehen, denke ich und erspaehe zwei Passantinnen, die dem
Schauspiel aus einiger Entfernung beiwohnen. "Wuerden Sie bitte die
Polizei rufen", appelliere ich. In gewohnter oesterreichischer
Zivilcourage zeigen sie den Willen, todesmutig in das Geschehen
einzugreifen und verschwinden kommentarlos in der naechsten
Hauseinfahrt. Naja, vielleicht war meine Forderung doch etwas
unmaessig. So ein Anruf bei 133 erfordert doch etwas Mut, vor allem,
wenn sich das Geschehen in 20 Metern Entfernung abspielt. Quasi
Todesgefahr.

Erst als ich mich meines Handys entsinne und den Notruf waehle,
verschwindet der Zeitgenosse mit einer Flut netter Bemerkungen, deren
Wiedergabe ich aus Ruecksicht auf die Gefuehle gleichgeschlechtlich
liebender Menschen unterlasse. Offenbar fuerchtet er sich vor der
Polizei noch mehr als vor den Tuerken.

Aehnlich unangenehm gestaltet sich die Anzeige bei der Polizei.
Zugegebenermassen lege ich auf, sobald der Mann das Weite gesucht
hatte. Beim Notruf hatte eh noch keiner abgehoben. (Wie lange dauert
denn so etwas. Warum heisst das Notruf?). Die Bedrohung war ja
verschwunden.

Vielleicht haette ich das nicht tun sollen. "Ich hab eine Anzeige zu
machen", sage ich den offenbar uebermotivierten Beamten in der
Polizeiinspektion und schildere den Vorfall durch das Glasfenster der
Zugangssperre. Die Temperaturen im Raum verleiten eher zu langsamem
Handeln und zur Erschoepfungszustaenden. "Und, wos soin mia jetzt
tuan. Schaun's, des is a taetliche Ehrenbeleidigung, do san mia net
zustaendig", sagt mir der Beamte, der sich hinter der Sperre
verschanzt hat. "San Sie verletzt?" Ein Freund hat einmal gesagt,
meine Ehrlichkeit sei mein groesster Vorzug und meine groesste
Schwaeche. In diesem Fall letzteres. "Nein". "Oiso, wos wuin's von
uns? Des is ka Koerperverletzung". "Aber Tschuldigung, das war
immerhin ein taetlicher Angriff. Da gibt's auch Gerichtsurteile, die
das so sehen". "Gengan'S, mit da offenen Haond? Die Uatoele kennen mia
net. In unsara Oanweisung steht: Taetliche Ehrenbeleidung. Do san mia
net zustaendig". Dass mich der Mann bedroht habe und der Uebergriff
irgendwie ja auch politisch motiviert war - egal. "Do miassn's auf's
Beziaksgericht und an Ausfuaschungsoantrog stoen. Des is a
Zivilgerichtssoch. Vielleicht finden's eam, vielleicht a net". Gut, es
ist kurz vor Feierabend und ich komme mit Arbeit auf die Beamten zu.
Da darf man das mit der polizeilichen Schutzfunktion nicht so eng
sehen. Ob die Polizisten nicht verpflichtet waeren, meine Anzeige
entgegenzunehmen? "Wegen sowos net. I sog Eahna jo, des is ka
Strofrechtssoch. Do miass'n ma goa nix". Nach einer Viertelstunde gibt
man irgendwie innerlich auf. Kein Argument genuegt den Beamten, die
Diskussion dreht sich im Kreis. Irgendwann notiert man gnadenhalber
meine persoenlichen Daten auf der Rueckseite eines Ausdrucks. "Wonn ma
wos hean, moid'n ma si". Ausserordentliches Engagement zweier schwerst
ueberarbeiteter Polizisten. In der Zeit, in der ich dort bin, kommt
kein einziger Anruf. Auch ein zweiter Anzeigender laesst sich nicht
blicken. Wie ich denn haette reagieren sollen, frage ich die zwei
Uebermotivierten. "Des naexte Moi loss'n eam afach red'n. Donn passiat
eahna a nix". Beruhigend zu wissen, dass die Polizei jeden Buerger,
der gegen rassistische Hetze auftritt, umgehend und engagiert zu
schuetzen bereit ist. In den Augen unserer Ordnungshueter sollte am
besten jeder die Zivilcourage zeigen, wie sie die Passantinnen an den
Tag legten, die ich bat, die Polizei zu rufen. Todesmutig im naechsten
Hauseingang verschwinden. Ausser natuerlich, ein Obdachloser oder gar
eine bettelnde Romni lungert vor einem Geschaeft herum. Die muessen
sofort beamtshandelt werden.
*Viktor Englisch*



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