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akin-Pressedienst.
Aussendungszeitpunkt: Dienstag, 6. Mai 2008; 17:40
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Glosse/Fall von Amstetten:
> Sex sells!
"Der Inzestfall von Amstetten" -- die derzeit so heftig reportierte 
Geschichte wird am liebsten mit diesem Ausdruck etikettiert. Und 
niemand stoerts, denn der common sense scheint dies als den zentralen 
Inhalt der schaurigen Saga zu sehen. Erst in zweiter Linie kommen dann 
Noetigung, Freiheitsberaubung und Vergewaltigung vor, denn als das 
eigentliche Verbrechen wird angesehen -- so laesst sich aus der 
Wortwahl schliessen --, dass da ein Vater mit seiner Tochter Sex 
gehabt haben soll.
Tatsaechlich kennt nicht nur die veroeffentlichte Meinung, sondern 
auch das Strafgesetzbuch immer noch einen Tatbestand der "Blutschande" 
(§211 StGB). Wohlgemerkt: Es geht dabei nicht um Vergewaltigung, 
Missbrauch eines Autoritaetsverhaeltnisses oder andere Gewaltdelikte, 
denn dafuer gibt es andere Paragraphen. Nichtmal der Schutz des etwas 
anruechigen Rechtsgutes der "Erbgesundheit" ist hier relevant, es geht 
einfach nur um etwas, was man frueher wohl "Widernatuerlichkeit" 
genannt hatte. Denn selbst wenn Bruder und Schwester, beide 
volljaehrig, gleichberechtigt und einvernehmlich sich vergnuegen und 
sogar auf Schwangerschaftsverhuetung achten, scheissen Staat und 
Gesellschaft auf die sexuelle Selbstbestimmung und fordern 
Haftstrafen.
Neben einer prinzipiell nicht verzeihen wollenden Selbstgerechtigkeit 
ist es genau diese bigotte Sexualfeindlichkeit, die das Geschrei 
danach praegt, Sexualstraftaeter auf Lebenszeit gesellschaftlich zu 
vernichten. Es geht nicht darum, ob sie Gewalttaeter sind, es geht um 
die sexuelle Konnotation. Natuerlich kann man sagen, dass ein 
"Triebtaeter" besser beobachtet werden solle als ein "normaler" 
Gewalttaeter. Aber ist das dann nicht einfach nur das 
liberal-buergerliche Deckmaentelchen fuer einen prinzipiellen Willen 
zur Kriminalisierung jeder ungewuenschten Sexualitaet? Um diesen 
Willen durchzusetzen, amalgamiert man die Begriffe Sex und Gewalt 
unter Zuhilfenahme solcher tatsaechlich grauslichen Verbrechen. 2004 
titelte die Kronenzeitung einmal: "Sex-Skandal in der US-Armee!" Das 
klingt ja einfach so schoen deftig. Dabei ging es in der Geschichte 
gar nicht um Sex! Es ging nicht darum, dass Soldat und Soldatin 
miteinander Spass gehabt haetten, sondern um den Verdacht haeufig 
vorkommender Vergewaltigungen. Gewalt aber reicht immer noch nicht 
fuer einen Skandal, es muss schon Sex sein!
Nach wie vor ist gesellschaftlich nicht kontrollierter Sex trotz aller 
Aufklaerung eine unheimliche Sache. Gerade deswegen laesst sich auch 
der Amstettner Fall noch besser verkaufen als die Causa Kampusch --  
eben, weil Sex da nicht das Thema war. Sex sells, kann man da nur 
sagen; die Berichterstattung ueber Amstetten ist wie ein 
Splattermovie, wo es auch ganz wichtig ist, dass die Darstellerin mit 
zerrissenen Klamotten und daher halbnacktem Busen vor dem finsteren 
Unhold fluechtet. Es ist eine Story, bei der es sich so richtig 
behaglich gruseln laesst. Sex and Crime! Im Amstettner Fall waechst so 
zusammen, was der spiessbuergerlichen Meinung nach zusammengehoert.
Umgekehrt wird aber auch ein Schuh daraus. Denn durch die sexuelle 
Komponente des Falls kann man wieder wunderbar bei einer einzelnen 
Gruppe von Straftaetern inquisitorische Massnahmen fordern und auch 
durchsetzen. Spaeter dann, wenn man auch bei anderen Delinquenten die 
ewige Verdammnis im finstersten Verlies haben moechte, tut man sich da 
schon um einiges leichter.
Im Fall von Amstetten geht es um Vergewaltigung und Freiheitsberaubung 
in extremer Form. Wer aber vom "Inzest-Fall" redet, muss sich die 
Frage gefallen lassen, welches Weltbild da eigentlich noch in seinem 
Kopf rumspukt.
*Bernhard Redl*
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